4 Entwicklung Schönstatts im Zeitraum 1947-1950
Das Generalkapitel 1947 erweist sich als eine entscheidende Wegmarke im Verhältnis Pallottiner – Schönstatt. Obwohl dabei erklärt wird, daß für die Gesellschaft die Arbeit mit der Schönstattbewegung nicht exklusiv und verpflichtend sei, schaffen die Kapitelsbeschlüsse dennoch die Basis für eine immer enger werdende Zusammenarbeit und wachsenden Erfahrungsaustausch. Diese Tatsache bestimmt wesentlich die Entwicklung Schönstatts in der damaligen Zeit. Das vom Generalkapitel geforderte Zusammenwirken von SAC und Schönstatt wurde im Konzentrationslager Dachau mit dem Wort „Vermählung“ bezeichnet. Für J. Kentenich steht fest, daß dieses partnerschaftliche Aufeinanderbezogensein zwischen der Gesellschaft und Schönstatt – wie er es im Plan Gottes zu sehen glaubt – nur unter Berücksichtigung der Originalität beider möglich sei. Daher legt er in seiner Tätigkeit in den folgenden Jahren insbesondere Gewicht auf drei Aspekte der Entwicklung Schönstatts, die sich unmittelbar auf das Verhältnis beider Partner auswirken: den äußeren Ausbau des Schönstattwerkes, seine innere Sicherung und sein Vordringen in die kirchliche Öffentlichkeit.
4.1 Äußerer Ausbau des Schönstattwerkes Hier sei vor allem die Abrundung des Werkes mit seiner vielfältigen Struktur und internationalen Ausbreitung kurz erläutert. 4.1.1 Selbständigkeit der Verbände Schönstatts Die fortschreitende Durchgliederung des Werkes in autonome Gemeinschaften – Verbände, Bünde und Liga – und das auf diese Weise entstandene föderative Gebilde fordert eine entsprechende Dezentralisierung. Sie findet zunächst einen Ausdruck im Streben nach Profilierung und rechtlicher Selbständigkeit der Verbände. J. Kentenich ist sich bewußt, daß diese erstrebte Verselbständigung eventuell zu Spannungen mit der Gesellschaft führen kann, schätzt sie aber durchaus positiv ein, denn dadurch sollte sich die den Pallottinern zugedachte Aufgabe als „pars motrix et centralis“ der Schönstattbewegung klarer als vorwiegend inspiratorisch herausschälen. Nur auf der Basis einer fruchtbaren Ergänzung und Zusammenarbeit der verschiedenen Gemeinschaften im Dienst der gemeinsamen Sendung ist seiner Meinung nach die Möglichkeit gegeben, ein föderatives Werk aufzubauen. 1948 schreibt J. Kentenich aus Uruguay an seine Mitarbeiter über die künftige Arbeit der Schönstätter Diözesanpriester an der Zentrale der Bewegung: „Bald wird die Runde zwei stärker in Erscheinung tretende Gliederungen kennen: auf der einen Seite Vertreter des Verbandes der Pallottiner, auf der anderen Seite [Vertreter] des Verbandes unserer Schönstattpriester. Mag sein, daß die künftige Entwicklung der beiden Gemeinschaften da und dort Spannungen hervorruft. Die Liebe zum gemeinsamen Werk, die innere Hochschätzung füreinander möge dafür sorgen, daß Spannung nie zur Trennung führt, sondern ihre schöpferische Kraft nach beiden Seiten in hervorragender Weise auswirkt.“ Tatsächlich werfen die kanonische Errichtung und päpstliche Anerkennung der Marienschwestern 1948 sowie das Streben der anderen Verbände Schönstatts nach Verselbständigung Fragen innerhalb der Gesellschaft auf, die eine Reflexion der Aufgabe der Pallottiner im Werk notwendig machen. Auf der Oktoberwoche 1947 legt J. Kentenich den Vertretern der Schönstattfamilie dar: „Jeder soll selbständig sein, Schwestern sind es, auch den Patres gegenüber, Frauen von Schönstatt, und es bleiben selbständig unsere Verbandspriester. Das ist wieder eine Existenzfrage. Wo ist das Genie, das alle regieren kann? Jeder muß den anderen tragen helfen, Einheit der Idee und Einheit in diesen beiden Punkten der Ellipse: ‚An Schönstatt und Pallotti laß uns glauben und dieses Einheitszeichen nie uns rauben.’ ... Wenn wir die Dinge so sehen, ich glaube, dann haben wir eine beispiellose Sendungsquelle in der heutigen Zeit. ... Das ist natürlich, daß ein derartiges Lebensgebilde untereinander spannungsreich sein muß. Es ist ja eine ganze Kirche, was wir vor uns haben. Das Verhältnis muß spannungsreich sein, das heißt aber nicht spaltungsreich, keine Spaltungen.“ Als Pallotti starb, besaß die Vereinigung des Katholischen Apostolates noch keine vollendete Gestalt, weshalb der hier angedeutete Fragenkomplex damals noch nicht hinreichend durchdacht werden konnte. Rheinbay bemerkt, daß das Verhältnis zwischen der Gesellschaft der Pallottiner und der Vereinigung des Katholischen Apostolates „im Zusammenhang mit der Organisation des Schönstatt-Werkes ausdrücklich thematisiert wurde“. Nach dem Generalkapitel 1947 ist das ein Anliegen, das J. Kentenich bewegt, Selbständigkeit und Profil der Gliederungen Schönstatts zu fördern. Dazu berichtet J. Kentenich an seinen General: „Die selbständigen Verbände wollen vorläufig selbständig bleiben, bis sie ausgebaut sind und lehnen eine Einsichtnahme der Provinziale der Genossenschaft der Pallottiner ab. Wenn die Verbandspriester dem General mehr Einblick gestattet haben, so geschah das lediglich als Akt des Vertrauens und als Gegengeschenk für die wertvollen Dienste, die vom Generalat geleistet worden sind. Ich glaube, daß nur auf diesem Wege des Vertrauens ein Verhältnis zwischen den Leitungen der Verbände möglich ist. Wo weitere juristische Eingriffe versucht werden, gibt es untragbare Verhältnisse ...“ 4.1.2 Die internationale Ausbreitung Schönstatts Die klare innere Strukturierung des Werkes hat für seine Ausbreitung auf internationaler Ebene Wege und Ziele vorgegeben und sich damit als hilfreich erwiesen. Seit 1933 haben die Marienschwestern in überseeischen Ländern durch ihre Arbeit in der Seelsorgehilfe, in sozialen Tätigkeiten, in Schulen und in entstehenden Schönstattkreisen den Boden für die Schönstattbewegung vorbereitet. Auch Pallottinerpatres – besonders in Chile – haben bereits vor dem Krieg angefangen, Schönstattkreise zu bilden. J. Kentenich ist es ein großes Anliegen, diesen Prozeß auch persönlich zu stärken. So verbringt er 1947 sechs Monate in Lateinamerika, 1948 drei Monate in Südafrika und zwischen April 1948 und Januar 1950 wiederum 18 Monate in Lateinamerika sowie drei Monate in Nordamerika. Von Uruguay aus fliegt J. Kentenich am 19.1.1950 nach Rom, um am 22.1. an der Feier für die Seligsprechung V. Pallottis teilzunehmen.
4.2 Innere Sicherung des Schönstattwerkes Das besondere Anliegen J. Kentenichs auf diesen Reisen ist es zunächst, „die Marienschwestern in Übersee mit jener Entwicklung in Verbindung zu bringen, die die Bewegung in Europa während der Verfolgungszeit genommen hatte“. Damit ist die Abrundung des Werkes im Sinne der „dritten Gründungsurkunde“ gemeint. Dazu gehört die Sicherung der wesentlichen Elemente Schönstatts als Voraussetzung für ein partnerschaftliches Verhältnis Pallottiner – Schönstatt, wie es mit dem Ausdruck „Vermählung“ bezeichnet wird. Die Zentrierung des Werkes um das Heiligtum, die Vertiefung des Liebesbündnisses im Sinne der „Inscriptio“ und die Bejahung des Charismas Schönstatts ist für J. Kentenich zudem stark mit dem Anliegen verknüpft, daß der übernatürliche Charakter des Werkes und seine originelle Prägung innerhalb der Gesellschaft der Pallottiner anerkannt werden. Diese Stellungnahme wird von ihm oft in einer ungewöhnlichen bis drastischen Weise vorgetragen, die konsequenterweise die Spannungen verstärkt. So schreibt er zum Beispiel 1949 über die SAC: „Erst muß sie sich grundsätzlich und praktisch ins Schönstattgeheimnis eingeschaltet haben und Schönstatt – so wie es in der ersten Gründungsurkunde vorgesehen – als ihren Wallfahrts- und Gnadenort anerkennen. ... Niemand denkt dabei an Änderung oder Umbiegung ihrer Rechtsbasis, Rechtsnorm oder Rechtspraxis. Juristisch ist sie ein in sich geschlossenes Gebilde und will genommen werden, wie sie kirchlich anerkannt ist. Gemeint sind hier zunächst nur aszetische Antriebe ... Möge das Jubeljahr 1950 uns nach der Richtung ein gutes Stück weiterbringen!“4.2.1 Die Zentrierung des Werkes um das Heiligtum 1943 entsteht in Nueva Helvecia, Uruguay, die erste architektonisch getreue Nachbildung des Schönstattheiligtums. Diese Initiative der dortigen Marienschwestern verhilft den Schönstattkreisen zu einer geistigen und psychologischen Erfahrung der Gnadenstätte Schönstatts. Die Idee erweist sich im Laufe der Jahre als fruchtbar für die Ausbreitung der Schönstattspiritualität auf Weltebene. Aus der gläubigen Überzeugung heraus, daß es in den Plänen Gottes liegt, an vielen Orten Nachbildungen des Schönstattheiligtums als Zentren geistiger Beheimatung und Teilhabe am Segensstrom der Urgnadenstätte zu errichten, regt J. Kentenich während seiner Reise den Bau von „Filialheiligtümern“ an, die das internationale Werk mit einem Ort verknüpfen und Symbol für seine Ideenwelt und den gesegneten Ausgangspunkt seines Entstehens sind. J. Kentenich mißt den Filialheiligtümern eine große Bedeutung zu, insofern sie in dem universal gedachten Weltapostolat eine zum Zentrum hin gerichtete Kraft entfalten können und dadurch dem Werk inneren Zusammenhalt zu verleihen imstande sind. Am 11. April 1948 nimmt er an der Einweihung des Heiligtums der Mater ter admirabilis in Santa Maria/Brasilien teil. Am 20. Mai 1949 weiht er das Heiligtum in Bellavista/Chile ein, am 27. November 1949 nimmt er die Grundsteinlegung für das erste Schönstattheiligtum in Argentinien vor. Die Hinweise J. Kentenichs auf einen in Brasilien ausgebrochenen Konflikt zeigen, welche Bedeutung er dem Heiligtum Schönstatts beimißt: In Südafrika erhält er einen Brief vom Generalsekretär der Pallottiner, Augusto Michelotti, datiert auf den 22.2.1948, in dem dieser über das Anliegen einiger junger Mitglieder der Gemeinschaft berichtet. Sie möchten das Bild der „Königin der Apostel“ statt der MTA von Schönstatt im werdenden Heiligtum von Santa Maria anbringen. In seiner Antwort faßt der Generaldelegat die Grundsätze zusammen, die nach seiner Auffassung die Arbeit mit Schönstatt bestimmen sollen. Sie lauten u.a.: „1) An sich ist es denkbar, eine Erneuerungsbewegung sowohl mit dem Bilde der Apostelkönigin als auch der MTA zu verbinden. ... 2) Will man aber das Bild der Königin der Apostel zum ausgesprochenen Gnadenbild und dadurch zum Träger einer Erneuerungsbewegung machen, so heißt das, eine ganz neue Bewegung ins Leben rufen. Diese mag meinetwegen System und Methode von Schönstatt übernehmen. Dadurch ist sie aber nicht dispensiert von dem Beweis eindeutig göttlicher Sendung, den sie neu erbringen muß. Nimmt man aber das MTA-Bild, so leitet man dadurch ohne weiteres den ganzen Gnaden- und Lebensstrom von Schönstatt in die dortige Gegend. Damit berühre ich das Kernproblem. Man mag Schönstatt auffassen als eine große Ideen- und fruchtbare Erziehungsbewegung. Sieht man in ihm aber keine machtvoll aufbrechende Gnadenbewegung, ... so wird man ihm in keiner Weise genügend gerecht. ... 3) Sollten unsere Brasilianer jedoch darauf bestehen, eine ganz neue Bewegung, wenn auch nach dem Vorbild Schönstatts zu schaffen, so kann ich meinerseits das nicht hindern. Sie mögen aber überlegen, wie schwer es ist, ein solches Werk lebensfähig zu erhalten. Wäre es da nicht auf jeden Fall klüger, statt eines bedenklichen Risikos ein bereits bewährtes und gesegnetes Lebensgebilde in Anpassung an die Verhältnisse zu übernehmen und dadurch die gemeinsame Stoßkraft zu vermehren. ... 4) Wie bedeutungsvoll mich der dargelegte Zentralgedanke dünkt, mögen Sie daraus schließen, daß ich überall auf meinen Reisen für Filial-MTA-Heiligtümer eintrete.“ Die hier kurz behandelten Kernfragen werden in späteren Jahren zu unterschiedlichen Positionen bei SAC und Schönstattwerk führen. Sie hängen letztlich mit der Deutung des Ereignisses vom 18. Oktober 1914 als „neue göttliche Initiative“ zur Verwirklichung der Sendung Pallottis zusammen. 4.2.2 Die Sicherung des Charismas im Gründer In der lokalen Bindung ans Heiligtum liegt eine Sicherung des Werkes. Diese wird durch personale Bindung ergänzt. Hier wirkt die Person des Gründers als bindende Instanz, die zugleich Achtung und Gehorsam vor jeder legitimen Autorität fördert. Vor allem nach dem Ereignis des 20. Januar 1942 findet diese personale Bindung einen „Kristallisationspunkt“ in der Reflexion und Herausarbeitung der Gründerstellung J. Kentenichs im Schönstattwerk. Um das Werk zu sichern und zu profilieren, glaubt J. Kentenich, seine Person mit dem Heiligtum und dem Lebensprozeß des Liebesbündnisses in die geistige Mitte der Spiritualität Schönstatts stellen zu müssen. Er sieht seine zentrale Stellung als Gegengewicht zum Universalismus Schönstatts. Seine internationale Ausbreitung und föderative Gliederung setzt für ihn – wenn das Werk nicht Profil verlieren soll – eine tiefe Verankerung in den Wesenselementen Schönstatts voraus. Diese wesentlichen Elemente sind der Glaube an das Schönstattgeheimnis, das Liebesbündnis mit Maria und seine Person – nicht nur als affektives oder vitales Zentrum des Ganzen, sondern als Sicherung der Einheit im Charisma. In einem Brief vom 15.12.1948 schreibt J. Kentenich an alle Führungskreise Schönstatts: „Daß Sie sich bewußt um ein gemeinsames Haupt scharen wollen, dürfen Sie als wertvollen Schachzug der göttlichen Vorsehung werten. Je vielgestaltiger die Gliederungen in der Familie, je stärker die Dezentralisation, desto kraftvoller muß auch die Zentralisation sein. Für die nächste Zeit wird Letztere von besonderer Bedeutung sein. Ob und wieweit sie in einer lebenden Person verewigt werden kann und soll, muß der liebe Gott durch die Verhältnisse zeigen. Seine Absicht ist für die nächsten Jahre zweifellos klar. Das ist die große Bedeutung der neuen Strömung.“ Ein zweites nicht weniger wichtiges Motiv für die zentrale Stellung J. Kentenichs im Werk ist die Suche nach der Anerkennung Schönstatts in der Kirche. Obwohl das Werk in der Verbindung mit der Idee Pallottis in der Tradition der Kirche bereits verankert ist, drängt es ihn, die originellen Elemente Schönstatts, besonders sein pädagogisches System, der Kirche als Beitrag anzubieten. Auch hier ist er der Kirche gegenüber Träger des Charismas.
4.3 Die Verankerung Schönstatts in der Kirche Das im dritten Kapitel dieser Arbeit zitierte Wort J. Kentenichs: „Wir müssen überall vorwärts machen, damit das Werk noch in unserer Generation einen gewissen Abschluß findet“, bezieht sich nicht nur auf die äußere Konsolidierung des Werkes und seine innere Sicherung im Heiligtum und im Gründercharisma, sondern auch auf die Suche nach dem richtigen Platz des Werkes im juristisch-organisatorischen Gefüge der Kirche und darüber hinaus auf das Angebot, seine inneren Kräfte im Schoß der Kirche wirksam zu machen. Seit seiner Rückkehr aus Dachau bemüht sich J. Kentenich, Schritte in dieser Richtung zu unternehmen. 4.3.1 Die Verbände Schönstatts im Rechtsorganismus der Kirche 1947 veröffentlicht Pius XII. die Apostolische Konstitution „Provida Mater“. Seitdem gehören die Säkularinstitute zum kanonischen Stand der Vollkommenheit in der römisch-katholischen Kirche. Dadurch finden auch nach und nach die Verbände Schönstatts ihren Platz im Rechtsorganismus der Kirche. 1948 erhalten die Schönstätter Marienschwestern das päpstliche „Prodecretum laudis“, eine Vorstufe zur endgültigen Anerkennung der Gemeinschaft als Institut päpstlichen Rechtes. Die Bedeutung und Tragweite dieser rechtlichen Approbation erörtert J. Kentenich aufschlußreich, vor allem im Maibrief 1948 an die Verbände und im Brief zum Oktober 1948. 4.3.2 Die Auseinandersetzung mit dem deutschen Episkopat Zur gleichen Zeit setzt sich die deutsche Bischofskonferenz von neuem mit Schönstatt auseinander. J. Kentenich sieht hier eine Möglichkeit, anhand der offenen Fragen die Prinzipien des Werkes ausführlich darzulegen. Bereits 1943 stand Schönstatt als Thema auf der Tagesordnung der Fuldaer Bischofskonferenz. Das war für J. Kentenich Anlaß, in Dachau zwei Verteidigungsschriften zu verfassen: „Schönstatt als Gnadenort“ und „Schönstatt und Fatima“. Damit sollte erreicht werden, daß man sich mit der Frage, ob Schönstatt als Gnadenort von der Kirche anerkannt werden kann, auseinandersetzt. Der Dogmengeschichtler und Bamberger Weihbischof A. Landgraf legt der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz von 1948 ein Gutachten über die Schönstattbewegung vor, in dem es heißt: „Aber die Dinge, betreff deren wir Bedenken erhoben haben, sind von einer Art, daß sie nicht einem Werk des HI. Geistes und der ‘Lieblingsbeschäftigung Mariens‘ anhaften können“. In den folgenden Wochen werden einige Forderungen formuliert und an das Bistum Trier zur Weiterleitung nach Schönstatt geschickt. J. Kentenich, der in Südamerika weilt, teilt Menningen seine Einschätzung dieser Angelegenheit wie folgt mit: „Die Reaktion der Bischofskonferenz ist so gewesen, wie ich erwartet und gewollt, eigentlich noch ein paar Grade günstiger. Deswegen sind wir zu Dank verpflichtet. Es hängt jetzt nur alles davon ab, daß wir die Gelegenheit benutzen, den Episkopat aufzuklären über unser Wollen im Anschluß an die vorgetragenen Schwierigkeiten. Im Wesentlichen ist das bereits vor 2 Jahren geschehen. ... Ich bin froh, daß die Diskussion an dem Punkte angelangt ist, wo sie vernünftiger Weise aufgenommen werden kann. Jetzt tritt die Form in den Hintergrund, es handelt sich um den Inhalt. ... Früher oder später wird ja ohnehin eine unmittelbare Klärung beim Hl. Stuhl nötig sein. Wir wollen sie aber so lange vermeiden, als es geht, schon allein, um den Episkopat nicht unnötiger Weise zu reizen.“ Drei Wochen später konkretisiert J. Kentenich in einem an seine Mitarbeiter adressierten Brief den Punkt, auf den es seiner Meinung nach ankam. Er ist überzeugt, mit dem pädagogischen System Schönstatts Antworten auf die Fragen geben zu können, die von der gegenwärtigen Kultur und Gesellschaft der Kirche gestellt werden: „Die große Aufgabe der Kirche besteht gegenwärtig darin, den Weg zu finden an das andere Ufer. Nach der Richtung haben wir zweifellos von Gott eine ausgesprochene Sendung. ... Ich schlage deswegen auch vor, in der Diskussion nicht so sehr eine Rechtfertigung Schönstatts zu suchen, wenigstens nicht zunächst, sondern vielmehr die großen Prinzipien herauszuarbeiten, auf denen wir aufbauen und zu zeigen, von welcher Bedeutung sie für die heutige Gesamtkirche sind. Von da aus fällt dann von selber entsprechendes Licht auf die konkrete Form, die die Prinzipien in Schönstatt angenommen. ... Wollen wir der Kirche einen wirklichen Dienst erweisen, tun wir klug und gut daran, die Diskussion direkt auf das pädagogische und seelsorgerliche Geleise zu schieben. Die dogmatische Frage dürfte zur Genüge geklärt sein. ... Das Wohl der Kirche drängt nach dieser Richtung.“ In Übereinstimmung mit Schönstatt entschließt sich die Trierer Behörde, die Forderungen der Bischofskonferenz nicht unmittelbar weiterzuleiten, sondern durch einen Fachmann eine Überprüfung in Schönstatt vorzunehmen, deren Ergebnis der Bischofskonferenz als Unterlage für eine Klärung der offenen Fragen dienen könne. Bevor dieser Plan durchgeführt werden kann, sendet das Bistum Trier 1949 – von der Bischofskonferenz, die Anfang Februar tagte, gedrängt und abweichend von der ursprünglichen Vereinbarung – den Weihbischof Dr. Bernhard Stein zu einer kanonischen Visitation nach Schönstatt. Die Visitation dauert vom 19. bis 28. Februar 1949 und betrifft schwerpunktartig die Gemeinschaft der Marienschwestern. Im April 1949 wird der offizielle Visitationsbericht mit der Aufforderung zur Stellungnahme an J. Kentenich nach Südamerika gesandt. Er enthält – so seine Einschätzung in einem Brief an die Verbände Schönstatts – „eine aufrichtige Anerkennung und eine wohlwollende Mahnung“. Im selben Brief berichtet er, worin die Anerkennung besteht und interpretiert die kritischen Anmerkungen als Warnung „vor der Gefahr der Vermassung, der Menschengebundenheit und der Geschlossenheit“. Der Fragenkomplex, der dadurch angesprochen wird, überschreitet die Grenzen dieser Arbeit. Hier wird er nur aufgrund des Widerhalls angedeutet, den seine Folgen im Verhältnis Pallottiner – Schönstatt fanden. 4.3.3 Die „Epistola perlonga“ J. Kentenich antwortet auf den Visitationsbericht mit einer umfangreichen Studie, die wegen ihrer Länge „Epistola perlonga“ genannt wird. Sie beinhaltet eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Problematik, die nach seiner Überzeugung das Kernproblem der Kirche darstellt: er bezeichnet das „mechanistische Denken“ als gefährlich und bedrohend für die Zukunft der Kirche. J. Kentenich erkennt im Abschlußbericht des Visitators – vor allem in seiner Kritik über das Erziehungssystem der Marienschwestern und seine eigene Stellung als geistlicher Vater der Schönstattgliederungen – den Einfluß des idealistisch-mechanistischen Denkens im Raum der Kirche und bringt dies in seiner Abhandlung deutlich zum Ausdruck. Das Trierer Ordinariat reagiert ablehnend auf diese umfangreichen Darlegungen. J. Kentenich ist sich der möglichen Folgen seines Handelns bewußt. Er rechnet damit, daß diese Studie einen Konflikt mit der kirchlichen Autorität heraufbeschwören wird. Er nimmt dieses Wagnis aus der Überzeugung auf sich, es handelt sich nicht nur um Schönstatt, sondern um „die pädagogische Problematik des ganzen Abendlandes“. – An General Turowski schreibt er diesbezüglich am 29.6.1949: „Gott will, wie mir scheint, gegenwärtig eine klare Auseinandersetzung über pädagogische Grundfragen mit der Kirche, teils im Interesse der Kirche selber, teils auch in unserem eigenen Interesse. Seitdem ich diese Zielsetzung klar erkannt, habe ich meine ganze Methode geändert, habe einen Weg beschritten, der voller Gefahren ist, der viel Wagemut verlangt, der aber – so glaube ich – letzten Endes doch zum Ziele führt und auch der Gesellschaft dient.“
Fortsetzung
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