JoBr52-06_218-227 Die Deutung des Schönstätter Mariengeheimnisses V Maria rettet die Gesellschaftsordnung (Fortsetzung)
Um wenigstens ein Beispiel dafür anzuführen, erinnere ich an den verstorbenen Gründer von Boys Town, Father Flanagan. Vor vier Jahren habe ich sein Lebenswerk besichtigt und in meinem »Amerikabericht« kritisch beleuchtet[11]. Das Geheimnis seines Erfolges erblicken er und andere - ein Gleiches gilt von Don Bosco - in meisterhafter Anwendung der Liebespädagogik.
»Das Größte in seinem Leben war« - so erklärt sein Lebensbeschreiber[12] -, »daß er zu lieben wußte. Das ist der Grund, warum er von den verschiedensten Arten von Menschen, von Christen und Juden, ... so verehrt wurde. Alle Arten von Werkzeugen und Dingen, angefangen von der Schokolade bis zur Psychiatrie, stellte er in den Dienst solcher Liebe.«
»Er konnte die Kinder ... nicht gut tadeln; die Schuld lag nach seiner Auffassung meist bei den Eltern, die ihnen die Liebe versagt hatten, bei der menschlichen Gesellschaft, die kein Interesse gezeigt, und bei der Umgebung, die Versuchung und böses Beispiel zugleich boten.«
»Das Rettungsmittel muß nach ihm eine Demokratie sein, das große Experiment des Christentums, die soziale Struktur, die auf dem Fundament der Wertschätzung jeder individuellen Seele beruht. Die lebendigsten Teile jedes Rückführungsprozesses waren für ihn die Liebe zum Kind.«
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Um die Tragweite solch ehrenvoller Zeugnisse verständlich zu machen, lasse ich einige Merksätze, einige Goldkörner seiner pädagogischen Weisheit folgen:
»Der Wahnsinn wird im Menschen leicht verursacht, wenn man ihn wie eine Nummer, wie eine Maschine behandelt; aber Liebe bringt überreiche Gnaden und kann den Charakter des Menschen vom Bösen zum Guten ändern. [[179]] Das ist so einfach und doch so schwer für unsere überkomplizierte Welt zu verstehen. Die Liebe mag als etwas Sentimentales scheinen, aber am Ende herrscht sie über jeden '-ismus'.«
»Wir müssen uns für das Kind interessieren, seinen Geist verstehen, seine Handlungen beobachten, seine Neigungen und Abneigungen kennenlernen: wir müssen uns auf dieselbe Ebene mit dem Kind stellen und sein Lehrer werden.«
»Das Kind ist vom Tage seiner Geburt an ein Wesen, das für Eindrücke empfänglich ist, und deshalb sind die Vorbilder, die ihm gegeben werden, wichtige Faktoren in seiner Entwicklung.« »Ein Kind, das ein Heim hat, zu dem es gehen kann und seine kleinen Freunde mitbringen darf, ein Heim, worin es sich sicher fühlt und wo Liebe und Friede leben, wird selten ein Problem sein für seine Eltern oder für die Gemeinschaft.«
»Wir haben heute zu viele Menschen, die kein Ziel haben, deren Leben zu vergleichen ist dem Sand der Wüste, der von jedem Windstoß herumgewirbelt wird.« »Um alle Anlagen zu entwickeln, die im Kinde schlummern, ist es notwendig, daß man zuerst herausfindet, was ein Kind gerne hat und was es am liebsten tut.«
»Wenn sich Kindern eine hilfreiche Hand bietet, während ihr Verstand und Herz noch biegsam und für Eindrücke empfänglich sind, werden sie fast ohne Ausnahme brauchbare Führer werden, Stützen für das Volk.« »Der Grund, warum /
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so viele Jungen auf Abwege geraten, ist, daß wir Erwachsene uns nicht genug um sie kümmern und, was noch schlimmer ist, nicht daraus lernen.«
»Es ist Zeit, daß die Eltern verstehen, daß die Schule trotz ihrer großen Wichtigkeit niemals die Stelle des Elternhauses einnehmen kann und daß es ihre heilige Pflicht ist, mit der Schule zu arbeiten und die Probleme ihrer Kinder kennenzulernen und zu lösen.« »Kein Kind will seine Eltern und Lehrer enttäuschen, und alle Kinder wollen wissen, wie sie ihren Charakter am besten weiter ausbilden können, um das Ideal zu erreichen.«
»Gute Bücher führen zu einem besseren Verständnis und zur Hochschätzung der Bedeutsamkeit und Schönheit der Natur, des Menschen und der unzähligen Beweise der göttlichen Liebe, die so überreich im Leben zu finden sind. Je edler die Sache ist, für die große Opfer gebracht werden, desto größer der Lohn.«
»Wenn man den Menschen retten will, muß man beim Kind anfangen. Es gibt kein Allheilmittel außer der Liebe Gottes im Menschenherzen. Es ist nicht genug, daß man einem armen Kinde gutes Essen, warme Kleider und ein sauberes Bett gibt - das kann ihm auch die Wehrmacht geben. Mehr als Nahrung, Kleidung und Unterschlupf brauchen sie mütterliche Zärtlichkeit, väterliche Weisheit und Liebe einer Familie. Wir werden niemals Erfolg haben in unseren Reformschulen, wenn dieser große Verlust in den jungen Menschenleben nicht ausgeglichen wird. Wir müssen für diese Aufgabe eine neue Art Erzieher heranbilden, die sich der großen, erhebenden Aufgabe widmen, Zärtlichkeit und Liebe, Verstehen und mütterliches Interesse zu schenken, und die für die kleinen Angelegenheiten der Kinder Interesse zeigen.«
Unsere Weihe kennt nicht nur Hingabe an den Symbolgehalt des Herzens, sondern auch an dessen Träger. /
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Sie kennt eine starke personale Gebundenheit, eine warme gegenseitige persönliche Liebe, eine Liebe von Person zu Person. Die Gottesmutter, unser Bündnispartner, ist zweifellos Muster, sie will aber noch viel mehr Mutter der heiligen Ordnung sein, das heißt die schöpferische Gestalterin des Menschenherzens nach dem Bilde ihres Herzens. Sie verlangt für ihre personale Hingabe vom Bündnispartner als Gegengabe die gleiche personale Hingabe, so daß sich mit der Zeit das Wort wiederholen läßt: Zwei Herzen und ein Schlag. Deshalb pflegen wir von der Weihe auszusagen: sie schließt vollkommene gegen- [[180]] seitige personale Preis- und Hingabe in sich.
Weil die Gottesmutter aber nicht das Letzte und Höchste, sondern nur das Spiegelbild, das Transparent Gottes darstellt, gehört zur vollkommenen gegenseitigen Hingabe gleichzeitig die vollkommene Weitergabe an Gott. So kann der Geweihte mit Recht sagen: Drei Herzen und ein Schlag. Da stehen wir wiederum vor der seelischen Dreieinheit, von der oben[13] ausführlicher gesprochen worden ist. Unter »Dreieinheit« will das Herz des Menschen, das Herz der Gottesmutter und das Herz Gottes verstanden werden. Von hier aus erhält auch ein anderes Merkwort eine neue Belichtung; wir kennen es bereits; es heißt:
«Laß uns in heiliger Dreieinheit stehn
und so im Heiligen Geist zum Vater stehn[14]!«
Wegen der vielgestaltigen Liebeseinheit, die das Liebesbündnis herstellt und sichert, wird das vierte Wesens- /
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element der Weihe ohne weiteres einsichtig: gegenseitiger Liebesanspruch. Wahre Liebe kennt ja mit dem Herzens- auch einen Güteraustausch. Wir nehmen kraft der Weihe teil an der Macht unseres Bündnispartners, an der Macht der Gottesmutter, des Heilandes und des dreifaltigen Gottes. Wir haben dadurch Gewalt über deren Herz. Wir sollten uns dessen bewußt sein und recht häufig davon Gebrauch machen.
Wo in einer Seele ausgesprochenes Bündnisbewußtsein, das heißt das Bewußtsein des gegenseitigen Verschenkt- und Angenommenseins, lebendig ist und sie bis ins Unterbewußtsein erfaßt und erfüllt hat, fällt es nicht schwer, Haltung und Praxis der Gottesmutter auf der Hochzeit nachzuahmen und in allen Situationen mit großer Ruhe und Sicherheit, mit Glauben und Vertrauen zu wiederholen: »Sie haben keinen Wein mehr!« (Jo 2,3).
Dieser starke personale Charakter der Weihe bedeutet einen Todesstoß für den weitverbreiteten religiösen Impersonalismus und Kollektivismus der heutigen Zeit. Er stellt die Gottesmutter in ihrer urpersönlichen Eigenart und in ihrer eigenständigen, persönlich tätigen Mitarbeit an der Heilsordnung, besonders bei Überwindung der gegenwärtigen Massendämonie, dar. Er verlangt aber auch eine urpersönliche Entscheidung des Partners in persönlicher Hingabe an den Liebespartner und in vollkommener Ziel-, Wirk- und Lebenseinheit miteinander.
Wer den Atem der heutigen Zeit in sich aufgenommen hat, wird hier überaus hellhörig und hellsichtig. Die Massendämonie nimmt dem Menschen den Persönlich- /
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keitskern. Sie entwertet ihn und macht ihn zum ersetzbaren Stück einer Maschine. Das »Ich« soll erdrosselt werden und an seine Stelle das »Es« treten. Persönliche Entpersönlichung, Entpersönlichung des Menschen und Entpersönlichung Gottes stehen in einer Linie. Sie sind drei Seiten desselben Lebensvorganges. Sie entrollen mit greifbarer Deutlichkeit die furchtbare Verheerung der Massendämonie in Individuum und Gesellschaft.
Es ist nicht von ungefähr, daß demgenüber sofort die Schlangenzertreterin auf dem Plane erscheint: daß Gott ihre persönliche hochwertige Mitarbeit am gesamten Erlösungswerk durch die Lehre von der allgemeinen Gnadenvermittlerin in den Vordergrund stellt und durch die Weihe an ihr unbeflecktes Herz unsere persönlichste Mitverantwortung für ihre ureigenste Sendung weckt vnd so beides zu einer dauernden, vollkommenen Ziel-, Wirk- und Lebenseinheit zusammenwachsen läßt. Es mag noch lange dauern, bis idealistische Einstellung hier den Finger Gottes richtig erkennt und seine Schriftzüge versteht.
Ein einfacher Fall möge diese Behauptung schlaglichtartig beleuchten. Irgendwo soll ein Heiligtum eingeweiht werden. Schlicht-gläubiger Sinn hatte als Transparent das Wort vorgesehen: »Clarifica te[15]!« Der Text wird mit der Begründung abgelehnt: Die Gottesmutter kann sich nicht selbst verherrlichen. So stark reißt mechanisches Denken lebensvolle Einheiten aus dem Gesamtorganismus heraus und schwebt so ständig in Gefahr, dem Impersonalismus zum Opfer zu fallen. Organisches Denken hält es für selbstverständlich, daß /
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die Gottesmutter sich nicht ihretwegen, [[181]] sondern Gottes wegen verherrlicht, daß sie sich selbst nie getrennt von Gott und Gottes Wunsch und Plan sieht, daß sie die Ordnungsgesetze kennt, daß sie vor allem um die Funktion der niederen Ordnung für die höhere und um die Bedeutung ihrer Verherrlichung für die Verherrlichung Christi und des dreifaltigen Gottes weiß.
Wir nennen die Gottesmutter die stellvertretende personale Spitze der Schöpfung. Was sie durch ihre persönliche Mitwirkung am Heilsgeschehen im großen sein und tun darf, das können und sollen wir im kleinen wagen. So verstehen wir Sankt Augustins Ausspruch: »Der uns erschaffen hat ohne uns, wollte uns nicht erlösen ohne uns[16].« Wir denken an das Wort von der All-, aber nicht Alleinwirksamkeit der Gnade, an Würde und Bedeutung freier menschlicher Mitwirkung an eigenem und fremdem Seelenheil. Wir erinnern uns, welche Kräfte in der Seele wach werden, wenn der Mensch jemandem etwas sein darf, wissen aber auch, daß er sonst einem Streichhölzchen auf der Straße gleicht, das jedermann willkürlich zertreten kann.
Alle diese Wahrheiten werden uns in überaus sinnenhafter, anschaulicher und anziehender Weise im Bilde der Gottesmutter nahegebracht. Sie werden uns durch die Weihe tief ins Herz eingeprägt und zur persönlichen Lebensaufgabe gemacht. So wachsen wir ideen- und lebensmäßig tief in den marianischen Werkzeugsgedanken hinein.
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Ich weiß nicht, ob es eine wirksamere Überwindung der Massendämonie gibt, als sie durch eine solche richtig getätigte und gelebte Weihe verwirklicht wird. Es ist schon bedeutungsvoll, daß sie uns theoretisch das Lehrstück von der Persönlichkeit der Gottesmutter, von der Persönlichkeit Gottes und des Menschen immer wieder lebendig vor Augen stellt. Das alles bedeutet einen dauernden Protest gegen jegliche Art Impersonalismus. Dazu kommt als wesenhafte Wirkung des Liebesbündnisses die praktische gegenseitige Lebensübertragung: also Verschmelzung von Herz mit Herz, innigste Verbindung von Person mit Person.
Endlich halten wir fest, daß das Sein der Gottesmutter ihr Wirken bestimmt. Das heißt in unserem Fall: Die Wirksamkeit ihrer Gnadenvermittlung geht nach Richtung der Rettung und Vollendung der Persönlichkeit und der Überwindung der Massendämonie mit ihren erschütternden Begleiterscheinungen, kurz: nach der Neugeburt Christi in Individuum und Gesellschaft, nach seiner Inkarnation aus Maria der Jungfrau im neuen christlichen Ordnungskosmos und vielgestaltigen Bindungsorganismus, wie er sich in Kirche und Familie am anderen Ufer verwirklicht.
Wenn wir die religiösen Strömungen der Gegenwart richtig deuten, so erhält die mitwirkende Tätigkeit der Gottesmutter im Heilsgeschehen gegenüber mittelalterlich stärker hervortretender statischer Einstellung eine kraftvolle, vorwärtsdrängende, dynamische Sendung. Daraus folgt, daß das Liebesbündnis mit ihr sich bei uns nach derselben Richtung auswirken muß. Je tiefer Ziel-, Lebens- und Wirkeinheit mit ihr als Wirkung der Weihe gesehen und bejaht wird, desto kraffvoller /
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und wagemutiger muß auch unser Lebensrhythmus sich ihrem Leben und Wirken angleichen, desto vollendeter muß er von ihm aufgesogen und in Dienst genommen werden.
Hat man sie früher vornehmlich als Hüterin einer bestehenden Ordnung, als Wächterin des »hortus conclusus[17]« aufgefaßt, so möchte sie jetzt vor allem als Retterin der zerstörten Ordnungen angesehen werden und wirksam sein. So kommt eine bedeutsame Umschaltung in unser Marien- und Menschenbild. In beiden will die persönliche freie Entscheidung, die freie, persönliche, verantwortungsbewußte Mitarbeit am Neuaufbau einer zerstörten christlichen Gesellschaftsordnung mehr betont werden: mag es sich dabei um die Keimzelle, die Familie, oder um andere Ausdrucksformen der Gesellschaft handeln.
[[182]] Dadurch wächst in uns ein ausgesprochenes Werkzeugsbewußtsein, das ein gesundes Demuts- und ein persönliches Hochwertigkeits- und Siegesbewußtsein weckt und das Massenbewußtsein wirksam überwindet. Welche Ausmaße die persönliche Mitwirkung des Werkzeugs mit dem Werkmeister annehmen kann und soll, um die Neugeburt des christlichen Ordnungskosmos in Kirche und Familie am neuen Ufer zu verwirklichen, beweist die Botschaft von Fatima. Davon weiß auch unsere Familiengeschichte ein gewichtiges Wort zu sagen. Sie hat von Anfang an in organischem Wachstum um vollkommene Entbindung von jeglicher Kreatur und vollkommene Bindvng an die Gottesmutter und ihre Interessen gerungen, angefangen von gelegentlichen Beiträgen zum Gnadenkapital der Mater Ter /
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Admirabilis bis zur Blankovollmacht, zur Inscriptio und zum Josef-Engling-Akt. So tief will das Liebesbündnis mit der Gottesmutter gesehen und vollzogen werden. Seine Höhe kennen wir bereits. Es weitet sich mit der Zeit bis zum bewußten Bündnis mit dem dreifaltigen Gott.
Aus: Das Lebensgeheimnis Schönstatts. II. Teil: Bündnisfrömmigkeit, Vallendar-Schönstatt 1972, 278 S. – www.patris-verlag.de
[11] Vgl. den als Manuskript gedruckten 2. Teil des Nordamerikaberichtes 1948, 13-19. [12] Die Zitate stammen wohl aus einer englischen Biographie. Vgl. F. Oursler, Pater Flanagan von Boys Town, Zürich 1951. [13] Vgl. oben, S. 128 f. und 154 ff. [16] Predigten über die Hl. Schrift, 169 (PL 38,923): »Qui ergo fecit te sine te, non te iustificat sine te.« [17] Verschlossener Garten (Hl 4,12).
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