Ich erinnere mich an die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Da brachen so viele Wasser im Raume des Katholizismus neu auf. Dann überall die Frage, auch unter Ordensleuten: Wie sieht denn das arteigene Christusbild unserer Ordensgemeinschaft aus? Es waren damals vor allem drei Orden, die sich bemerkbar machten, die studierten, um öffentlich kundzutun, worin ihr eigenes Christusbild bestände. Das war zunächst einmal das franziskanische Christusbild, es ist ja das populäre: der leidende und gekreuzigte Heiland. Sie müssen schon gestehen, unsere Festtagskinder haben davon viel entlehnt. Nicht reflexiv entlehnt. Der leidende, gekreuzigte Heiland ist hier in außergewöhnlich starker Weise gezeichnet, gekennzeichnet. Etwas Bedeutungsvolles in einer Zeit, die nicht mehr leiden will! Und wir umarmen das Leid. Das Weizenkorn will in die Erde versenkt sein. So war es beim Heiland, so war es im Laufe der Jahrhunderte überall, wo man sich Gott ganz auslieferte. Das ist schon wahr, das Bild des leidenden und sterbenden Heilandes ist wohl zutiefst das Heilandsbild des Volkes geworden. Das mögen wir recht verstehen, denn unser armes Volk ist ein tief leidendes Volk. Und wo ein Volk, ein Mensch so am Kreuze hängt, kann man nur zweierlei tun, entweder das Kreuz abschütteln oder das Kreuz umarmen. Und wahr ist und bleibt das, auch wir als jungfräuliche Menschen müssen dem Kreuz nicht entfliehen; wir dürfen nicht meinen, daß das nicht häufig geschähe. Wir müssen das Kreuz umarmen. Dann zweitens waren es die Benediktiner, die damals auch stärker in den Vordergrund traten, dieweilen die liturgische Bewegung mehr von sich reden machte. Ihr Heilandsbild ist der herrschende und alles beherrschende Christkönig. Das benediktinische Heilandsbild! Seitdem hat sich im katholischen Raum ungemein viel gewandelt. Man spricht darum heute auch sehr gerne, zumal im Zusammenhang mit Ostern, dem Pascha, von der Teilnahme nicht nur am leidenden, sondern auch am auferstandenen und verklärten Heilandsleben. Christkönig! Es ist selbstverständlich, daß wir auch heute das so gefärbte Heilandsbild klarer und tiefer sehen, als das vorher ganz allgemein im Raume des Christentums geschehen. Früher ist man schier mit einer außergewöhnlichen Einseitigkeit immer beim leidenden, sterbenden, verachteten Heiland stehengeblieben. Die Jesuiten haben dann für sich eine mittlere Linie requiriert, haben dann sagen dürfen: Unser Heilandsbild ist der leidende, kämpfende Heiland auf dem Wege zum Siege. Also im gewissen Sinne eine Vermählung von beiden Heilandsbildern. Weshalb ich das so sage und frage? Weil ich darauf aufmerksam machen will: Früher oder später müssen wir auch einmal die Frage stellen: Wie sieht denn unser Heilandsbild in unserer Schönstatt-Aszese aus? Die Antwort haben unsere Festtagskinder gestern abend und wohl auch heute sehr klar und sehr gut gegeben. Ich darf es kurz umreißen, muß dann sagen: Das ist der Heiland in seinem Grundverhältnis zum Vater und in seinem Grundverhältnis zu seiner gebenedeiten Mutter. Er will das eingeborene treue Kind des Vaters sein, ein Kind also, der eingeborene Gottessohn, der immer nur kreist um das Bild des ewigen, des unendlichen Vatergottes. Gedankengänge, die hier naheliegen, mögen Sie selber in sich wach werden lassen, selber überprüfen. Cor unum in Patre. Verstehen Sie jetzt, was das heißt? Das ist also nicht zufällig, daß die ganze Familie sich jetzt auf diesen Boden stellt. Sehen Sie, mein Grundverhältnis zum Heiland müßte das Grundverhältnis zum Vater-Kinde sein. Deswegen hören wir es ja auch im Evangelium: Niemand kommt zum Vater, es sei denn durch mich (Joh 14,6), den Sohn! Was will das heißen? Wir haben in der Natur ein ganz spontanes Drängen hin zu echter Kindlichkeit. (...) Dann zweitens das Grundverhältnis des Heilandes zur Gottesmutter, aber zur Gottesmutter als Symbol der gesamten Schöpfung. Grundverhältnis des Heilandes zum Vater, Grundverhältnis des Heilandes zur ganzen Schöpfung. Per eminentiam ist dieses Grundverhältnis zur Schöpfung wiedergegeben in der lieben Gottesmutter. Und hier brauchen wir uns nur zu erinnern an Gedankengänge, an Formulierungen, die uns geläufig sind und sein sollten. Wie steht die Gottesmutter da dem Heiland gegenüber? Das ist alles hüben und drüben reziprok. Wie steht also die Gottesmutter da? Amtliche Dauerhelferin und Dauergefährtin beim gesamten Erlösungswerke. Was sollen also auch wir sein? In Abhängigkeit von und in etwa nach dem Vorbild der lieben Gottesmutter auch Dauergefährtinnen mit ihr und in ihr, Dauergefährtin und Dauerhelferin des Heilandes beim gesamten Erlösungswerke. Erschienen in: Joseph Kentenich Christus mein Leben Ausgewählte Texte zum Christus-Jahr 1997 Herausgegeben von Günther M Boll, M. Pia Buesge, Peter Wolf Patris-Verlag Vallendar-Schönstatt www.patris-verlag.de |