Zum gleichen Text mit mehr Komfort (Fußnoten) [127] Die Bedrohung der christlichen Existenz Wir sprechen von Bedrohung der christlichen Existenz. Wir meinen damit das unentwirrbare Knäuel von Unbegreiflichkeiten im heutigen Weltgeschehen, das allerorten die Wurzel der christlichen Existenz, den Glauben in der konkreten Form des praktischen Vorsehungsglaubens, gefährdet. Der Oktoberbrief 1949 spricht deshalb von der »verwirrenden Haltlosigkeit ob der berghoch sich auftürmenden scheinbaren Sinnlosigkeit und Unverständlichkeit im Zeitgeschehen(1)«. Er stellt fest: »Alle Welt fühlt, daß der bedenklich ins Schwanken geratene Wagen der Geschichte vor einer gefährlichen Biegung steht(2). Niemand weiß verlässig, was dahinter lauert: Ist es ein gähnender, klaffender Abgrund, der Tod und Verderben speit, oder eine steile Bergeshöhe, auf deren Gipfel ein Stück Paradiesespracht winkt, oder eine gefriedete, fruchtbare Ebene? Wer wagt es, den Knoten dieser für Individuum und Gesellschaft bedeutungsvollen Lebens- und Schicksalsfrage zu lösen? Die Besten aller Nationen fühlen instinktiv, daß wir vor einer geschichtlichen Wende von säkularem Ausmaße stehen, daß jetzt die Würfel fallen, die über das Los der Welt für die nächsten vier bis fünf Jahrhunderte entscheiden; sie spüren, daß alle ohne Ausnahme aufgerufen sind zu schöpferischer Mitarbeit am neuen Weltenbild - wenn nicht als Architekt und Baumeister, so doch als Handlanger(3). Deshalb überall / [128] das ängstliche Fragen und Forschen nach dem Warum und Woher, um Klarheit zu bekommen über das Wozu, das Wohin und Wie. Isaias kennt keine größere Strafe für die Völker, als wenn sie von unverständigen Kindern regiert werden(4). Heute hat es den Anschein - so meinen viele -, als wäre der Herr der Welt aus seiner souveränen Ruhe und Griffsicherheit herabgesunken in Ohnmacht und Hilflosigkeit, als überließe er Schöpfung und Geschichte hilflos wie ein Wagenlenker, der die Zügel verloren hat, sich selbst oder der Willkür entarteter Menschen und diabolischer Zerstörungswut. Wie soll man sonst - so sagt man - die Sinnlosigkeiten himmelschreiender Grausamkeiten und die furchtbare Tragik ungezählter Menschen- und Völkerschicksale erklären? Andere gibt es, die die ungeheuren Katastrophen der Gegenwart als außergewöhnliche Gebärnot deuten. Auch sie stehen vor Rätseln(5).« Auch wir sind Kinder unserer Zeit. Auch wir leiden unter all diesen Unbegreiflichkeiten. Wir sind ja nicht etwa nur Zuschauer oder Statisten, sondern Mitspieler - nicht selten mit einer Hauptrolle - in dem großen Drama, in der furchtbaren Welttragödie, die heute als Welttheater über die Bretter geht. Die Antwort des Liebesbündnisses auf diese Bedrohung Wenn die Wurzel unserer christlichen Existenz durch all das nicht angekränkelt, im Gegenteil widerstandsfähiger und tragfähiger geworden ist, so verdanken wir das unserem Liebesbündnis. Der Grund ist ein doppelter: Es fußt im praktischen Vorsehungsglauben und hat als Gegenstand den Einbruch des Göttlichen ins Gewirre des heutigen Lebens. [129] Theoretisch wissen zwar viele Christen um beides, um die Kunst, um den Wert des Vorsehungsglaubens, um den Einbruch des Göttlichen ins Menschliche, des Jenseitigen ins Diesseitige. [[46]] Sie sind auch gern bereit, beide Elemente als Grundkräfte in der Geschichte verflossener Jahrhunderte anzuerkennen - aber das Heute, das Hier und Jetzt will sich bei ihnen nicht willig in diesen Rahmen einfügen. Das ist der Punkt, wo unser Liebesbündnis einsetzt und seine wundersame, zeitüberwindende Wirksamkeit in schlichter Selbstverständlichkeit entfaltet. Es setzt ja - wie wir wissen - ein historisches Ereignis voraus, das nicht unter die allgemeine Glaubenspflicht fällt: das Bündnis der Gottesmutter mit Schönstatt. Seine Existenz und sein Inhalt kann lediglich mit Hilfe des praktischen Vorsehungsglaubens ermittelt werden; und dieser stützt sich auf Deutung der Fügungen und Führungen Gottes im persönlichen Leben, in der Familien- und Weltgeschichte - wir sagen dafür in paulinischem Sinne(6): auf das »Gesetz der geöffneten Tür«. Es handelt sich also hier keineswegs um ein anonymes Liebesbündnis, auch nicht um eine abstrakte Tneorie, sondern um eine historisch gewordene konkrete Form, die nur im Lichte des Vorsehungsglaubens erfaßt, bejaht, verwirklicht vnd wiederholt werden kann. Wir haben oben(7) darauf hingewiesen, daß das »Gesetz der schöpferischen Resultante« die Aufgabe hat, zuverlässige Kriterien für die Richtigkeit unserer Deutung der göttlichen Planung anzugeben. Wir haben uns auch bemüht, kurz und gedrängt die Probe auf das Exempel zu / [130] machen. Das Resultat war und ist die beglückende Überzeugung, daß wir in alleweg richtig gegriffen haben, daß Schönstatt kein bloßes Menschenwerk ist, sondern eine eindeutig klare göttliche Planung verwirklicht. Wer sich die Zeit nimmt, die angedeutete Denkoperation zu wiederholen und von da aus Linien durch die reichhaltige Familiengeschichte bis zum heutigen Tage zu ziehen, dem dürfte bald aufleuchten, daß der in der Familie lebende Vorsehungsglaube von Anfang an als übernatürlicher Spürsinn, als »göttliche« Instinktsicherheit, als jenseitig orientierter und gespeister Glaubenssinn, als feinnervige Einfühlungsfähigkeit in jenseitige, in übersinnliche, in übernatürliche Wirklichkeiten in einem Grade vorhanden gewesen ist und sich im Laufe der Jahre so vervollkommnet hat, daß der Dogmatiker sich berechtigt glaubt, einen habitus fidei(8) konstatieren zu dürfen, der hier durch die Gaben des Heiligen Geistes, besonders durch die Gabe der Wissenschaft, des Rates und der Weisheit, ein hohes Maß der Vollendung erreicht hat. So dürfte einsichtig werden, mit welchem Recht in der Familie die gläubige Überzeugung lebt, Gott habe ihr das Charisma des praktischen Vorsehungsglaubens und damit eine eigenartige, rein natürlich nicht erklärbare Griffsicherheit in Deutung, Verwirklichung und Weitergabe göttlicher Wünsche in nicht geringem Grade geschenkt; er habe ihr die Verkündigung dieses Glaubens als besondere Botschaft an die heutige Welt anvertraut und als deren Wirkung die seelische Beheimatung im Gottesherzen nach Art einer besonderen Wallfahrtsgnade angeboten. Darum lehrt uns »Himmelwärts« täglich in der Vesper beten: [131] »So willst in unserem Heiligtum du werken, das Glaubensauge in uns Schwachen stärken, daß wir das Leben sehn in Gottes Sicht und wandeln allezeit im Himmelslicht. Laß mich in diesem Lichte gläubig sehen, wie Vaters Lieb' zur Seit' mir heut wollt' gehen: Für Gaben, die sie schenkte ohne Maß, sei Sendungstreu' das Deo gratias(9).« Die Kunst, das Leben stets in Gottes Sicht zu sehen und allzeit im Himmelslicht zu wandeln, eignet aber nur Menschen des immerwährenden Gebetes und Opfers. Dessen wird sich Sext und Non bewußt. Die Sext betet: [[47]] »So willst in deinem Heiligtum du bilden ein Beterheer auf öden Weltgefilden, uns führen zu der Liebe höchsten Höhn, daß wir im Kampf dir treu zur Seite stehn. Laß den Gebetsgeist mehr und mehr mich lernen, heb meinen Geist stets zu des Himmels Sternen, laß mich die Christussonne allzeit schaun, auf sie in allen Lebenslagen baun(10).« Die Non ergänzt: »Im Heiligtum willst Seelen du gestalten, die priesterlich sich allezeit verhalten, als Diakone unterm Kreuze stehn, mit dem Erlöser Kreuzeswege gehn. Laß durch mein Opferleben mich ersetzen, wie's frommt nach ewig gültigen Gesetzen, [132] und wie es der Inscriptio gefällt, was Christi Kreuz und Leid an Fülle fehlt(11).« Hochgemuter Gebets- und Opfergeist setzt hochgradige Entfaltung der drei göttlichen Tugenden voraus. Deshalb der Flehruf: »In deinem Leben sehn wir, Mutter, fluten des Glaubens, Hoffens und des Liebens Gluten: Laß dieses Dreigestirn mit seiner Pracht durhstrahlen unseres Lebens dunkle Nacht: Erfleh' vom Vater uns mit deinem Sohn, daß Gott allein herrscht auf des Herzens Thron(12).« 1. Oktoberbrief 1949 an die Schönstattfamilie, 16. 2. Vgl. A. Schütz, Gott in der Geschichte, 5. 3. Vgl. ebd. 4. Jes 3,4; vgl. Schütz, a.a.O., 57. 5. Oktoberbrief 1949 an die Schönstattfamilie, 16 f. 6. Vgl. 1 Kor 16,9; 2 Kor 2,12. 7. S. oben S. 67. 8. Übernatürliche Glaubensfähigkeit und -willigkeit. 9. Himmelwärts, 54. 10. A.a.O., 52. 11. A.a.O., 53. 12. A.a.O., 92. Aus: Joseph Kentenich, Das Lebensgeheimnis Schönstatts. I. Teil: Geist und Form, Vallendar-Schönstatt 1971, 242 S. www.Patris-Verlag.de |