Zum gleichen Text mit mehr Komfort (Fußnoten) Das Mariengeheimnis in seinem lnhalt Damit stehen wir bereits, ohne daß wir es recht beachtet haben, mitten in der Beantwortung der Frage nach dem Inhalt des Mariengeheimnisses. Mit dieser Fragestellung betreten wir einen Boden, auf dem wir seit 1914 heimisch sind, auf dem wir Jahr für Jahr heimischer wurden. Rückschauend dürfen und müssen wir gestehen: Die Gottesmutter hat uns in Wahrheit - ich spreche im Sinne der Gründungsurkunde - von ihrem Heiligtume aus ihre Herrlichkeiten in glänzender Weise geoffenbart(18). Sie hat uns in die Geheimnisse ihres Lebens und Wirkens tief eingeführt; und wir haben uns einzeln und in Gemeinschaft nicht ohne Erfolg bemüht, durch unsere Ideale die Strahlen ihrer Herrlichkeit aufzufangen und in uns widerstrahlen zu lassen, um sie wieder hinauszustrahlen in die dunkle heutige Zeit. Exerzitienkurse, pädagogisehe Tagungen und Seelsorgswochen führten theoretisch tief in die Mariengeheim- / [87] nisse ein(19). Sie wiesen gangbare Wege hinein in das praktische Leben. Es hat auch nicht an ernster Sorge und Mühe gefehlt, den Kerngehalt der Mariengestalt, ihren Persönlichkeitskern zu erfassen, um alle einzelnen Strahlen und Geheimnisse auf eine letzte Quelle, auf einen letzten Nenner zu bringen. Die gefundene Antwort durchzieht wie ein roter Faden die Gebete in »Himmelwärts«. Das Marienbild, das ihnen zugrunde liegt und aus ihnen aufstrahlt, ist die Gestalt der amtlichen Dauergefährtin und Dauergehilfin des Herrn beim gesamten Erlösungswerke(20). Schon ein oberflächlicher Blick in das Büchlein genügt, um sich davon zu überzeugen. Ich kann mir deshalb Belege ersparen. Er macht aber auch nachdrüeklich auf Grad und Art der dadurch gespeisten Ganzhingabe an Person, an erziehlichen Einfluß und Interessenkreis der amtlichen Christusgebärerin, Christusträgerin und Christusdienerin aufmerksam. Das MTA-Bild(21) ist für uns weit mehr als eine Erinnerung an ein historisches Ereignis im Leben der Gottesmutter und des Heilandes. Es entschleiert vielmehr ein Daueramt, das die Mutter des Herrn im Reiche ihres Sohnes übernommen hat und vollkommen verwalten / [88] will. Durch ihr Ja bei der Verkündi- [[123]] gung hat sie den besten Teil erwählt, der ihr nicht genommen wird. Gott hat in ihr dem Heiland eine Gehilfin zur Seite gestellt, die ihm in einzigartiger Weise ähnlich ist. Was sie in der Gründungsurkunde versprochen hat - »dann will ich künftig von hier aus die jugendlichen Herzen an mich ziehen, sie erziehen zu brauchbaren Werkzeugen in meiner Hand(22)« -, hat sie gehalten. Dafür legen unsere Toten Zeugnis ab. Das beweist auch die Inscriptio-Atmosphäre, in die die Familie eingetaucht ist. Die Kirchengeschichte kennt vier bedeutsame Mariendokumente der neuesten Zeit: den Welthirtenbrief Pius' X. vom 2. 2. 1904(23), die Weltweihe Pius' XII. an das heiligste Herz Mariä(24), seinen Marien-Epilog in der Enzyklika »Mystici Corporis(25)« und die Dogmatisierung der leiblichen Himmelfahrt Mariens(26). Alle vier sind eine glänzende Bestätigung unseres Marienbildes. Das tritt besonders klar in seinem marianischen Epilog in Erscheinung, den man mit Recht eine Mariologie im / [89] kleinen genannt hat. Wir könnten dafür auch sagen: Er rechtfertigt unsere Marienlehre, wie wir sie seit 1914, also seit den Tagen unserer Familiengeburt, gekündet haben. Oder besser noch: Er veranschaulicht, inwiefern die Gottesmutter amtliche Dauergefährtin und Dauergehilfin des Herrn beim gesamten Erlösungswerke ist. Pius schreibt: »Möge die jungfräuliche Gottesmutter, ehrwürdige Brüder, diesen Unseren Wünschen, die gewiß auch die euren sind, zur Verwirklichung helfen und allen eine unverfälschte Liebe zur Kirche erflehen! Ihre hochheilige Seele war mehr als alle anderen(27) von Gott geschaffenen Seelen vom göttlichen Geiste Jesu Christi erfüllt. Sie hat ihre Zustimmung gegeben 'im Namen der ganzen menschlichen Natur', daß 'sich zwischen dem Sohne Gottes und der Menschennatur eine Art geistlicher Ehe(28)' vollzog. Sie hat Christus den Herrn, der schon in ihrem jungfräulichen Schoße mit der Hoheit des Hauptseins über die Kirche umkrönt war, in Wundern geboren, den Quell allen himmlischen Lebens. Sie hat den Neugeborenen denen, die ihm aus Juden- und Heidenland die erste Anbetung zollten, als Prophet, König und Priester dargereicht. Ihr Einziggeborener hat auf ihre Mutterbitte 'zu Kana in Galiläa' das Wunderzeichen gewirkt, auf das hin 'seine Jünger an ihn glaubten' (Jo 2,11). Sie hat, frei von jeder persönlichen oder erblichen Verschuldung und immer mit ihrem Sohne aufs innigste verbunden, ihn auf Golgotha zusammen mit dem gänzlichen Opfer ihrer Mutterrechte und ihrer Mutterliebe dem ewigen Vater dargebracht als neue Eva für alle Kinder Adams, die von dessen traurigem Fall entstellt waren. So ward sie, schon zuvor Mutter unseres Hauptes dem Leibe nach, nun auch auf Grund eines neuen Titels des Leids und der Ehre im Geiste Mutter aller seiner Glieder. [90] Sie war es, die durch ihre mächtige Fürbitte(29) erlangte, daß der schon am Kreuze geschenkte Geist des göttlichen Erlösers am Pfingsttag der neugeborenen Kirche in wunderbaren Gaben gespendet wurde. Sie hat endlich dadurch, daß sie ihr namenloses Leid tapfer und vertrauensvoll trug, mehr als alle Christgläubigen zusammen, als wahre Königin der Märtyrer, 'ergänzt, was an den Leiden Christi noch fehlt ... für seinen Leib, die Kirche' (Kol 1,24). Sie hat den geheimnisvollen Leib Christi, der aus dem durchbohrten Herzen des Heilandes geboren ward(30), mit derselben innigen Mutterliebe und Sorge begleitet, womit sie das Jesuskind in der Krippe und an ihrer Brust umhegte und nährte. Ihrem unbefleckten Herzen haben Wir vertrauensvoll alle Menschen geweiht. Möge sie, die hochheilige Mutter aller Glieder Christi, strahlend jetzt in der Himmelsglorie mit Leib und Seele und herrschend droben mit ihrem Sohn(31), von ihm inständig erflehn, daß reiche Ströme der Gnade unaufhörlich herabfließen vom erhabenen Haupt auf alle Glieder des geheimnisvollen Leibes. Möge sie mit ihrer [[124]] wirksamen Fürsprache(32) wie in vergangenen Zeiten so heute die Kirche schützen und ihr sowie der ganzen Menschheit endlich friedlichere Zeiten von Gott erlangen(33).« DAS MARIENGEHEIMNIS BEI GRIGNION VON MONTFORT Bei solcher Grundeinstellung, die wir alle Jahre hindurch sorgfältig gepflegt haben, fällt es uns nicht schwer, bei Grignion in die Schule zu gehen, ihn zu verstehen und Lehre von ihm anzunehmen. Auch hier gilt das / [91] Wort: Gleich und gleich gesellt sich gern. Leo XIII. und Pius X. haben ein Gleiches mit Nutzen für ihre großen marianischen Weltrundschreiben getan. Wenn wir ihrem Beispiel folgen, sind wir in guter Gesellschaft. Grignion versteht unter dem »Mariengeheimnis« die Stellung der Gottesmutter im objektiven Heilsplane und die darin gründende Heilsmacht der Ganzhingabe an ihre Person und ihren erziehlichen Einfluß. Danach kennt das Geheimnis eine doppelte Seite: eine objektive und eine subjektive. Die objektive ist die Stellung Mariens. Sie wird »Geheimnis« genannt, weil sie in ihrer Ganzheit zu wenig bekannt ist, aber auch dort, wo man sie erkennt und anerkennt, nicht vollkommen erfaßt und durchdrungen werden kann, weil Maria ein Kompendium des Glaubens darstellt, weil sie ein »speculum iustitiae(34)« - ein einzigartiges geschöpfliches Spiegelbild der göttlichen Herrlichkeiten -, weil sie eine »Bibliothek Gottes(35)«, weil sie ein »miraculum miraculorum(36)« ist: ein Wunder - wie Leo XIII. das Wort des heiligen Johannes Damaszenus deutet - in der Ordnung der Natur, der Gnade und der Glorie(37). Die subjektive Seite ist die Ganzhingabe des Christen an Person und erziehliche Tätigkeit der Gottesmutter. Auch sie verdient den Namen »Geheimnis«, und zwar / [92] aus einem doppelten Grund: Die Ganzhingabe ist in der Form und in dem Grade, wie Grignion sie erstrebt und lehrt, sie ist aber auch in ihrer erstaunlichen Wirkung für die persönliche Umformung in Christus für die meisten Christen eine unbekannte Größe, ein Buch mit sieben Siegeln: ein Geheimnis. Hier will das Wort »Geheimnis« anders genommen werden als im ersten Falle. Hier hat es einen ähnlichen Klang wie andere gleichlautende geläufige Wendungen, etwa wie ein »Geheimnis des Erfolges«, »Geheimnis der Willens- und Herzensbildung«. »Wie es in der Natur Geheimnisse gibt, in kurzer Zeit, mit geringen Kosten und mit Leichtigkeit gewisse natürliche Handlungen zu vollbringen« - erklärt Grignion -, »so gibt es auch Geheimnisse in der Ordnung der Gnade, in kurzer Zeit, mit Lust und Leichtigkeit übernatürliche Handlungen zu vollziehen, sich der Eigenliebe zu entäußern, sich mit Gott zu erfüllen, um vollkommen zu werden. Die Andacht, die ich offenbaren will, ist eines dieser Gnadengeheimnisse, das der Großzahl der Christen unbekannt, nur wenigen Frommen bekannt ist und von einer noch viel geringeren Zahl geübt und verkostet wird« (Nr. 82). Was uns Schönstätter von vornherein an Grignion sympathisch berührt, das ist seine Denkstruktur, in der wir uns wiederfinden. Alle religiösen und sittlichen Forderungen führt er - ähnlich wie wir - bewußt und zielstrebig auf eine objektive Seinsordnung zurück. Für beide Teile gilt als unabänderliche Norm das Gesetz: Ordo essendi est ordo agendi, die objektive Seinsordnung ist Norm für unsere Lebensform. Dasselbe besagt die andere Prägung: operatio seu agere sequitur esse(38). [93] Deshalb bei beiden - bei Grignion und bei uns - die Sorgfalt um Entdeckung und Erforschung einer göttlichen Gesamtplanung und um Ermittlung der Stellung der Gottesmutter darinnen. Ich erinnere an alles, was darüber bereits an anderer Stelle geschrieben worden ist(39). »Himmelwärts« wird nicht müde, alle Aussagen über Unsere Liebe Frau auf diesen göttlichen Plan zurückzuführen. 18. Vgl. Schönstatt, Die Gründungsurkunden, 24. 19. Z.B. die Tagung »Der marianische Mensch« 1924, die Exerzitien »Salve Regina« Juli 1928, »Marianische Erziehung« 1934 (1971 im Patris-Verlag erschienen), »Der marianische Priester« 1941, »Krönungswoche« 1946, »Bündniswoche« 1947, Oktoberwoche 1950. 20. Im Exerzitienkurs »Der marianische Priester« 1941 wurde diese Definition des übernatürlichen Personalcharakters Mariens erstmalig in dieser Formulierung gegeben. 21. Am 19. 4. 1915 wurde das von dem Lehrer Huggle geschenkte Marienbild, das Maria mit ihrem Kinde darstellt, im Heiligtum zu Schönstatt aufgehängt. Luigi Crosio (1835-1915) hat es um 1898 gemalt und »Refugium peccatorum«, Zuflucht der Sünder, genannt. Wegen der »Parallele Ingolstadt-Schönstatt« nannten es die Schüler des Studienheimes »Mater Ter Admirabilis«, Dreimal Wunderbare Mutter, ein Titel, der auf eine Vision des Jesuiten Jakob Rem vom 6. 4. 1604 zurückgeht. 22. Schönstatt, Die Gründungsurkunden, 27. 23. »Ad diem illum« (ASS 36,449-462), deutsch bei: R. Graber, Die marianischen Weltrundschreiben der Päpste in den letzten hundert Jahren, Würzburg ²1954, Nr. 137-154. 24. Vom 31. 10. 1942 (AAS 34,345 f); deutsch bei Graber, Nr. 168 f. 25. AAS 35 (1943), 247 f.; deutsch bei Graber, Nr. 170 f. 26. AAS 42 (1950), 753-771; deutsch bei Graber, Nr. 190-200. Als ein ebenfalls sehr bedeutsames Mariendokument ist das achte Kapitel der Kirchenkonstitution »Lumen gentium« (Vaticanum II) zu erwähnen. 27. Im Urtext: »magis quam ceterae una simul omnes«. 28. Thomas, S.th. III, q.30, a.1. 29. Im Urtext: »validissimis suis precibus«. 30. Off. Ssmi. Cordis in hymno ad vesp. 31. Im Urtext: »unaque simul cum Filio suo«. 32. Im Urtext: »praesentissimo patrocinio«. 33. Zitiert nach Graber, a.a.O., 170 f. 34. Spiegel der Gerechtigkeit. Aus der Lauretanischen Litanei. 35. Dieses Wort wird dem hl. Augustinus zugeschrieben. 36. Ein Wunder der Wunder. Joh. Damasc., Or. 1 de Nativ.B.V. 37. Vgl. Leo XIII., Enzyklika »Augustissimae Virginis« vom 12.9. 1897 (ASS 30,129). Leo spielt hier auf Grignion, Abhandlung Nr. 12, an, wo diese Deutung zuerst gegeben wurde. 38. Das Handeln hat dem Sein zu folgen. 39. Vgl. Bd. I, S. 152. Aus: Das Lebensgeheimnis Schönstatts. II. Teil: Bündnisfrömmigkeit, Vallendar-Schönstatt 1972, 278 S. www.patris-verlag.de |