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GdL-1949-10 Geschichtliche Berufung
Aus: Oktoberbrief 1949

Niemand kann in diesen gigantischen Kampf schöpferisch und führend eingreifen, der nicht ähnlich wie Jakob mit Gott siegreich gerungen, der nicht den Todessprung für Verstand, Wille und Herz gewagt hat und sich dadurch selbst losgelassen und Gott und seinen Wünschen bedingungslos ausgeliefert hat. Die Heilige Schrift berichtet:

„Jakob blieb allein zurück. Da rang einer mit ihm bis zum Anbruch der Morgenröte. Als dieser nun sah, dass er ihn nicht bezwingen könne, berührte er ihn am Hüftgelenk, während er mit ihm rang. Jener sagte: 'Lass mich los; denn die Morgenröte bricht an!' Doch er erwiderte: 'Ich lasse dich nicht los, ehe du mich gesegnet hast.' Jener fragte ihn: 'Wie heißt du?' Er antwortete: 'Jakob.' Jener aber sagte: 'Du sollst hinfort nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und den Sieg davongetragen.' Da bat Jakob: 'Tu mir doch deinen Namen kund!' Er erwiderte: 'Warum fragst du mich nach meinem Namen?' Alsdann segnete er ihn daselbst. Jakob nannte den Ort Phanuel: 'denn', sagte er, 'ich habe Gott von Angesicht gesehen und bin doch mit dem Leben davongekommen.' Als er Phanuel hinter sich hatte, ging vor ihm die Sonne auf. Er hinkte aber wegen seiner Hüfte.“1

Wie Gott sich mit seiner ganzen Last auf Jakob warf, so lastet er mit der unergründlichen Unfassbarkeit, mit der er sich heute beim Schreiten durch die Zeit umgibt, auf begrenzten Menschen, auf denkenden, aber – wie Pascal die Menschen nennt – schwankenden Rohren. Wie Jakob mit Gott die ganze Nacht hindurch bis zum frühen Morgen rang, so muss jeder schöpferische Gotteskämpfer die dunkle Nacht der geistigen Unklarheit und Unsicherheit wegen Sinn und Zweck der geheimnisvollen, rätselhaften Zeitgeschehnisse und Lebensnöte durchwandern, er muss sich durch sittliche Schwächen und Hilflosigkeiten, durch religiöse Abgestumpftheiten durchringen zum Licht, zu geistiger Klarheit, zu religiöser Tiefe und sittlicher Kraft. Er muss mit Gott kämpfen, bis der Allweise und Allgütige sein Antlitz entschleiert, bis er ihn segnet mit dem Segen der Einsicht, der Sicherheit, des Wagemutes und der Sieghaftigkeit.

Es mag nicht viele Menschen und Gemeinschaften geben, die aus diesem Kampf als vollendete Sieger hervorgehen und deshalb eine Namensänderung verdienen wie Jakob, der von nun an Israel, das heißt, Gotteskämpfer per eminentiam, hieß. Viele glauben zwar; sie bemühen sich, in allen Schickungen und Fügungen, in Leid und Freude einen Gruß Gottes, seine Liebesgabe und sein Liebeswerben zu erblicken und mit Liebestaten zu beantworten. Der praktische Vorsehungsglaube ist ihnen aber noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen. Er ist noch nicht zu einer ausgesprochenen Weltanschauung geworden und deshalb nicht tragfähig für die außergewöhnlichen Belastungen der heutigen Zeit, noch viel weniger für eine große geschichtliche Sendung. Gott mag sich wie einst zu Moses herabneigen und bestimmen:

„Ich habe das Elend meines Volkes ... wohl gesehen und sein Wehklagen ... vernommen. Ich weiß, wie sehr es leidet. Daher komme ich herab, um es aus der Gewalt der Ägypter zu erretten und aus diesem Lande in ein schönes, geräumiges Land zu führen, in ein Land, das von Milch und Honig überströmt. So gehe nun! Ich sende dich.“2

Er spricht zu tauben Ohren, zu verhärteten, diesseitsversklavten Herzen. Er mag noch so oft versprechen:

„Ich werde mit dir sein ... so gehe denn hin, ich will mit deinem Munde sein und dich lehren, was du sagen sollst.“3 Die Antwort bleibt stets dieselbe: „Nein, Herr, sende, wen du willst...“4 Lass mich in Ruhe...

Gottes Güte und Barmherzigkeit hat in dieser Weise auch Schönstatt gerufen und ihm ohne jedes Verdienst solch hohe Sendung angeboten. Er hat sein Antlitz, seine Wünsche durch das Zeitgeschehen deutlich entschleiert, und demütig, großmütig und vertrauensvoll hat Schönstatt geantwortet: Ecce adsum, mitte me5. Tag für Tag hat es sich durch den Gott des Lebens in den Kampf des Lebens führen lassen. Stets waren es die Rufe der Zeit – nicht wie bei der Jungfrau von Orleans geheimnisvolle Stimmen –, die Wege und Ziele wiesen.

1 Gen 32, 25-32.
2 Vgl. Ex 3,7 f.
3 Vgl. Ex 4,12.
4 Vgl. Ex 4,13.
5 d.h. hier bin ich. Sende mich. Vgl. Is 6,8.

Aus:
Josef Kentenich,
Oktoberbrief 1949,
Ein Beitrag zum christlichen Auftrag: Neuer Mensch
Schönstatt-Verlag, Vallendar-Schönstatt
ISBN: 978-3-920849-01-0
S. 23 - 27

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Eingestellt von
O B
KM
Eingestellt am: 08.12.2010 10:05
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