47. Das Persönliche Ideal
In unserer Spiritualität kennen wir fünf Leitsterne der Pädagogik: Bündnispädagogik, Bindungspädagogik, Freiheitspädagogik, Idealpädagogik, Vertrauenspädagogik. ( Vgl. PT 1950: Grundriss einer neuzeitlichen Pädagogik für den katholischen Erzieher, S. 153f.) Im Leitstern der Idealpädagogik dürfte eine der originellsten und zukunftsweisendsten Lehren Pater Kentenichs liegen: die Lehre vom Persönlichen Ideal. Es kann deshalb nicht ausbleiben, dass darüber in unserem Lesebuch ein repräsentativer Text wiedergegeben ist. Er stammt aus dem Kurs über den Erlösten Menschen im Jahre 1935, vervielfältigte Ausgabe (DIN A4), S. 80 - 101. Die Lehre vom Persönlichen Ideal versteht sich von selbst. Sie braucht hier nicht näher kommentiert zu werden. Die Aufmerksamkeit soll aber darauf gelenkt werden, wie sehr die Darlegung Pater Kentenichs klar durchgegliedert ist. Um dies herauszustreichen ist deshalb auch die Gliederungsform mit arabischen Zahlen eingefügt. Eine solch durchgegliederte Darlegung ist für Pater Kentenich eher typisch in den zwanziger und dreißiger Jahren, zumal, wenn die Kurse für Priester gegeben wurden; auch, wenn es sich um Exerzitien handelte. Die Vorträge waren dann gleichzeitig Schulung von Führern der Bewegung im Jahresstoff. Die Pflege des geistlichen Lebens lief parallel dazu: überwiegend in Einzelgesprächen, die sich meistens bis in die Nächte hinein zogen. Obwohl der Text sehr ausgefaltet die Lehre des Persönlichen Ideals darlegt, darf nicht übersehen werden, dass Pater Kentenich Anknüpfungen an das konkrete Leben oder die Interessenperspektive der Zuhörer einfließen lässt. So die Einbindung der Lehre in das allgemeine Thema des Kurses (der erlöste Mensch) am Anfang. So auch der Hinweis auf konkrete Gefahren für einen Priester, der sich ausschließlich der Jugendseelsorge widmet. Es braucht sicher nicht besonders betont zu werden, dass die Lehre vom Persönlichen Ideal, hier auf Priester angewandt, für alle Schönstätter und sogar alle Menschen gültig ist.
Wir dürfen nicht nur das göttliche Leben in Dankbarkeit annehmen, wir müssen ihm auch in unserer Natur zum Durchbruch zu verhelfen suchen. Darum unsere zwei Thesen: Die Hauptsache bleibt die Tätigkeit Gottes. Aber wir dürfen unsere Nebenrolle nicht total übersehen. Darum die vier Fragen nach Wesen, Erkenntnisquellen, Wirkkraft und Wirkweise des persönlichen Ideals, die wir uns von der Naturphilosophie und Psychologie her beantworten lassen wollen. Wir lassen also die Übernatur ein wenig beiseite.
Das Wesen des persönlichen Ideals
1. Das Wesen des P.I. im Rahmen unseres Kurses: Ich stelle Ihnen das Wesen des P.I. unter einem doppelten Gesichtspunkt dar. Zunächst im Rahmen unseres Kurses. Da verstehen Sie zwei Definitionen sehr schnell.
1.1 Das P.I. ist eine hochgradige originelle Darstellung und Nachahmung der göttlichen Vollkommenheiten:
1.1.1 Eine originelle Darstellung: Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist! Da steht Gott vor mir. Ich bin nach seinem Ebenbilde erschaffen. Ich stelle deswegen in meinem ganzen Sein und meiner ganzen Struktur eine Vollkommenheit Gottes dar. So bin ich eine Darstellung göttlicher Vollkommenheit. Aber auch das andere Wort ist zu betonen: Ich bin auch eine originelle Darstellung: Jeder Mensch ist ja die Inkarnierung eines originellen Gottesgedankens, ist vom andern verschieden, besitzt seine individuelle Eigenart.
1.1.2 Eine Nachahmung: Das Wort fügen wir hinzu, um anzudeuten, dass ich die göttlichen Vollkommenheiten, die ich verkörpere, in mir zu Entfaltung bringen muss: erstens das göttliche Erkennen, zweitens das göttliche Lieben. Bei einem ist stärker das Denken Gottes verkörpert, beim andern stärker das Lieben, aber jeder verkörpert beides in sich. Und Gott will, dass ich beide Keime, die er in mich hineingesenkt hat, entfalte. - Erinnern Sie sich da an all das, was wir voriges Jahr über die Liebe gesagt haben. „Der Mensch ist ein soziales Wesen, damit er Liebe schenken und empfangen kann.“ So sieht das Kolping. Nach ihm ist die Familie ein Feuerherd hochgradiger gegenseitiger werktätiger Liebe. Warum die Begrenztheit in dem andern mir gegenüber? Damit meine Liebeskraft angefacht werde. Diese Liebe muss gliedhaft sein: Ich muss mich als Glied einer großen Gemeinschaft sehen und in ihr meinen inneren Reichtum entfalten.
1.1.3 Eine hochgradige Darstellung: Dieses Wort dürfen wir für uns hinzufügen. Unsere Darstellung und Nachahmung ist auch hochgradig und muss es sein. Wenn wir Priester sind, sind wir in ausgeprägter Weise originelle inkarnierte Gottesgedanken. Darum soll auch unsere Nachahmung, die Entfaltung der Abbildlichkeit hochgradig sein! –
Nehmen Sie jetzt denselben Gedanken von einer etwas anderen Seite, wieder im organischen Zusammenhang mit dem, was wir uns vorher erarbeitet haben.
1.2 Das P.I. ist eine hochgradige originelle Darstellung und Nachahmung der gottmenschlichen Vollkommenheiten:
Das ist der Kerngedanke beim hl. Paulus. Der Gottmensch steht im Mittelpunkt der Weltgeschichte. Gott sieht uns im Zusammenhang mit Christus, und im mystischen Leibe Christi hat jedes Glied eine eigene Funktion zu erfüllen. Ich habe die Aufgabe des Gottmenschen in ganz persönlicher, origineller Weise zu lösen. So ist jede Aufgabe eine Teilnahme an den Aufgaben Christi. Jede Aufgabe kann bei ihm abgelesen werden.
2. Das Wesen des P.I. außerhalb des Rahmens unserer Exerzitien
2.1 Das P.I. ist die idea exemplaris in mente divina praeexistens: Die Idee, die Gott von mir besitzt und Wirklichkeit hat werden lassen.
„Ein jeder hat ein Bild des, was er werden soll. Solang er das nicht ist, ist nicht sein Friede voll!“ - Ich will auf diese Definitionen nicht näher eingehen. - Sie werden mir vielleicht wieder sagen, das sei alles so abstrakt. Ich darf von jetzt an viel konkreter werden, indem ich die Fragen behandle nach Erkenntnisquellen, Wirkweise und Wirkkraft des persönlichen Ideals.
3. Erkenntnisquellen des Persönlichen Ideals
Die Frage nach den Erkenntnisquellen ist nach der alten Aszese gleichbedeutend mit der „Reformwahl“ der ignatianischen Exerzitien. Wir wollen jetzt noch einmal unsern Lebensberuf überprüfen, reformieren, so als wählten wir ihn jetzt zum ersten mal. Das gilt auch von den Vorsätzen, die wir fassen, um unsern Beruf künftig vollkommen zu erfüllen. Nur müssen wir eines beifügen: Die Vorsätze müssen in einem sinngemäßen organischen Zusammenhang stehen mit unserm P.I. Sonst wirken sie nicht, werden vergessen, werden nicht durchgeführt. Das mag auch vielfach ein Grund sein, weshalb wir oft so wenig konsequent tun, was wir in den Exerzitien erkannt haben. Wie soll ich nun noch einmal mein P.I. erkennen?
3.1 Die doppelte Erkenntnisquelle:
3.1.1 der außergewöhnliche Weg:
3.1.1.1 Der Weg der Offenbarungen, so wie Gott oft den Propheten ihre Lebensaufgabe, ihr Lebensideal gegeben hat. Denken Sie etwa an die Berufung des Isaias. Aber solche Offenbarungen haben wir nicht gehabt.
3.1.1.2 Der Weg der außerordentlichen Fügungen und Führungen. Das trifft bei den meisten von uns zu. Gott hat uns z.B. hineingeführt in eine Lage, ohne unser Zutun, ohne unsere Schuld. Wir haben vielleicht langsam, ohne es zu merken, eine Welt gebaut, an die wir selbst nicht dachten: Eine Fügung und Führung Gottes.
Oder wenn ich so ganz still gewachsen bin durch meine Fähigkeiten, durch Anfragen, die man an mich stellt, oder durch Schicksalsschläge. Das sind jedesmal Fügungen und Führungen Gottes, durch die mir meine Aufgabe klar kundgetan wird.
Die Zeit ist für uns heute eine außergewöhnliche Erkenntnisquelle für unsere Aufgabe. Ich muss es nur verstehen, aus ihr Gott zu hören und zu verstehen. Das war ja unser Bemühen, Gott aus der Zeit zu hören und zu verstehen, um uns unsere Aufgaben wieder des näheren bestimmen zu lassen.
3.1.2 der gewöhnliche Weg:
Um die gewöhnlichen Erkenntnisquellen zu verstehen, müssen wir uns daran erinnern, dass Gott nicht nur spricht durch Worte, sondern auch durch Taten. Durch Worte spricht er etwa in der hl. Schrift oder in inneren Erleuchtungen und Anregungen. Aber darüber hinaus spricht er auch durch seine Taten. Dadurch, dass Gott mir eine ganz originelle Art gegeben hat, hat er mich gestaltet für eine ganz bestimmte Aufgabe. Wenn ich also meine Neigungen und Fähigkeiten untersuche, die Gnadenanregungen beifüge, die sich für gewöhnlich der Natur anpassen, darüber hinaus mich orientiere an den gewöhnlichen Fügungen Gottes, die er mir durch meine Vorgesetzten kundtut, habe ich damit die natürlichen Quellen, um mein P.I. zu erkennen. Ich muss nur zuschauen, wie differenziert meine Neigungen sind und die Führungen der Gnade.
Fassen wir das näher ins Auge, so gilt es wieder, eine doppelte Unterscheidung zu treffen:
3.1.2.1 Der rationale Weg: Er geht über eine reflexive Erkenntnis meiner Neigungen, Leidenschaften, meines Temperaments. Aus der Kraft meiner Hauptneigungen darf ich maßvoll sicher schließen, was Gott für Absichten mit mir hat.
Diesen Weg sollen wir beim Volke nie anwenden, auch nicht bei der Jugend. Aber wir als Führer müssen zur rechten Führung anderer uns reflexiv klar sein.
3.1.2.2 Der irrationale Weg: Der ist für Volks- und Jugenderziehung der gegebene.
Ein Beispiel: Da ist ein Junge, der will immer Kirchen bauen. Die ganze innere Haltung dreht sich hierum. Das wächst sich aus zu dem Ideal: Ich will eine Stütze der Kirche werden. So ist er auf irrationalem Weg zu seinem P.I. gekommen.
Haben Sie es im Beichtstuhl mit Beichtkindern zu tun, die schon ein persönliches Seelenleben haben, dann fragen Sie am besten nach den Lieblingsstoßgebetchen: Wenn ich die weiß, kann ich mit leichter Griffsicherheit Hauptleidenschaft, P.I. und Temperament erkennen. Wenn ich das schnell erkenne, muss ich das aber nicht schnell sagen! Das hindert nur die Entwicklung. Es brauchen natürlich keine Stoßgebetchen zu sein, die man mit dem Munde formt. Es kann auch einfach nur ein Hinfliegen des Innern zu Gott sein. Wo mehrere Stoßgebete vorliegen, lassen sie sich leicht auf einen Generalnenner zurückführen. Wenn das erkannt ist, muss ich darauf hinarbeiten, dass das Stoßgebetchen recht häufig gebetet wird und eine Wirkkraft im Alltagsleben ausübt. Und allmählich muss ich auch darauf hinarbeiten, dass das Ideal nicht nur Persönlichkeitsideal, sondern auch Aufgabenideal wird. Sonst verfallen sie einem ungesunden Individualismus.
Eine weitere Möglichkeit ist die Frage nach dem Lieblingsgedanken oder nach den Hauptschwierigkeiten. Zur Abrundung noch ein paar Worte über die Beschleunigungen und Hemmungen für die Idealerkenntnis.
3.2 Beschleunigung der Idealerkenntnis
Ich habe z.B. den Trieb, ein bestimmter Ordensmann zu werden. Dann klingt im Ideal des betreffenden Ordens schon ein gutes Stück meines P.I. mit. Das kann die Erkenntnis meines P.I. beschleunigen. Sie dürfen aber nicht übersehen: Die Beschleunigung der Erkenntnis schließt sehr häufig große Gefahren für die Verwirklichung in sich. Die Gefahren für die Ordensleute liegen darin, dass sie, wenn sie einmal im Orden sind, sich tragen lassen von der Atmosphäre, und darum ihr Ideal nicht erreichen. Man schwimmt einfach mit. Heute, in der Zeit der Vermassungstendenzen, müssen wir viel Gewicht darauf legen, Persönlichkeiten zu schaffen! Darum hat Lindworsky recht, wenn er einmal schreibt: Jeder Ordensmann muss sein eigener Ordensstifter sein!
Oder nehmen Sie an, ich habe in meiner Gemeinde eine starke liturgische Atmosphäre geschaffen. Sie dürfen da nicht übersehen: Wo nur Atmosphäre ist, gibt es eine große Gefahr der Vermassung. Es gibt auch ein religiöses Massenmenschentum. Deshalb muss ich darauf hinarbeiten, dass die großen Gedanken immer wieder individuell aufgefasst werden, damit dadurch Persönlichkeiten geformt werden.
3.3 Verlangsamungen der Idealerkenntnis
Ein Beispiel: Ich habe einmal die Idee gehabt, eine Leuchte der Wahrheit zu werden. Ich meine, es wäre fast das Ideal der Dominikaner. Ich will also Professor werden. Plötzlich werde ich durch Krankheit in meinem Lauf gehemmt; vielleicht kann ich noch Schriftsteller werden und so meinem Ideal nachgehen. Ich werde wieder krank. Da bleibt mir noch eins: Eine Leuchte der Wahrheit kann ich sein durch mein Sein! Da ist mein Ideal immer dasselbe geblieben, aber Hemmungen waren vorhanden. Jedes Mal die Umstellung zu finden, ist nicht so leicht. Es ist aber wichtig, dass ich diese Umstellung finde, weil ich dann immer die Überzeugung behalte: Ich bleibe mir treu. Andernfalls fühle ich mich auf der Welt sehr leicht überflüssig, minderwertig.
4. Wirkkraft des persönlichen Ideals
Hier sind drei Aspekte zusammengefasst: Die Wirkkraft einer großen originellen Idee, einer großen originellen Liebe, einer großen originellen Gnade.
4.1 Die Wirkkraft einer großen originellen Idee: Rein psychologisch gesehen hat eine originelle Idee eine große Wirkkraft. „Deinen großen Gedanken will ich wissen“, hat Nietzsche einmal gesagt. Studieren Sie, wie unsere Gegenseite fanatisiert ist von klar erkannten und hinreißend angebeteten Ideen. Schauen Sie in das Leben der Heiligen. Sie haben immer große Ideen gehabt. Das Urchristentum war erfasst von den großen Ideen! Diese Ideen waren lebendig! –
Worin liegt nun die Formkraft einer großen Idee? Sie formt einen kraftvollen Charakter, große Persönlichkeiten.
4.1.1 Die große Idee formt einen ausgeprägten Charakter Die heute so sehr um sich greifende Brunnenvergiftung des Gewissens ist sehr zu bedauern. Sie ist vielleicht viel schlimmer als wirtschaftliche und ähnliche Nöte. Nach außen gibt man sich so, und innerlich ist eine total andere Haltung da. Für den Erzieher gibt es deswegen ernste Probleme, die mit dem Wort ‚Charakter’ verbunden sind.
4.1.1.1 Wesen des Charakters: Der Charakter als Eigenschaft ist die Fähigkeit und Bereitschaft, eine seelische Haltung und Überzeugung unentwegt festzuhalten; wo es notwendig ist, sie zu bekennen, auch wenn es etwa das Leben kosten sollte. - Wir tun gut daran, Definitionen aus letzten Zusammenhängen heraus, aber auch in Anpassung an die Zeit zu geben.
4.1.1.2 Mangel an Charakter: Woher kommt es, dass es heute so wenig charaktervolle Persönlichkeiten gibt? Was erschwert heute das Festhalten innerer Überzeugungen, was deren Bekenntnis?
4.1.1.2.1 Wirtschaftlicher Ruin. Daran zerbrechen so viele Menschen heute. Wenn ihre Überzeugung bekannt wird, wenn sie ihr treu bleiben, droht ihnen wirtschaftlicher Ruin. Das müssen wir verstehen, wo es sich um Beamte handelt. Die Zeitverhältnisse sind für sie äußerst schwer. - Aber ein viel wichtigerer und tiefgreifenderer Grund ist
4.1.1.2.2 Die heute vollständig umgeänderte Wertskala. Es ist klar, wenn ich das Wirtschaftliche als das höchste ansehe, wenn ich nicht die Idee der Wahrheit und Gerechtigkeit als ein überaus hohes Gut anerkenne, werde ich sehr schnell bereit sein, um eines Linsenmuses willen meine äußere Überzeugung preiszugeben. Ja, wir dürfen fragen: Wird eine innere tiefgreifende Überzeugung überhaupt Platz haben? Hier mögen Sie überprüfen, wie es mit Ihrer Wertskala steht. Wir müssten uns alle bemühen, Wahrheit und Gerechtigkeit auch um ihrer selbst willen so zu lieben, dass wir um sie auch wirtschaftliche Nachteile auf uns nehmen. Es ist immer ein großer Nachteil, wenn diese Idee verleugnet wird, auch wenn man es für den Augenblick nicht spürt.
4.1.1.2.3 Es fehlt dem modernen Menschen an Stille, an Einsamkeit. Ohne Stille und Einsamkeit ist die Bildung von Grundsätzen, Haltungen, Überzeugungen, ja insgesamt die Bildung eines feinen Gewissens schlankweg unmöglich. Überprüfen Sie selber, wie sehr es dem modernen Menschen an Stille und Einsamkeit im Hasten und Jagen des Alltags fehlt. Angewandt auf mich: Muss ich nicht persönlich auch wieder mehr die Einsamkeit, die Stille suchen? Alle großen Reformatoren sind aus der Einsamkeit gekommen. Wenn wir einsam sind, während des Gebetes, jetzt während der Exerzitien, dann tun wir dadurch viel mehr für die uns Anvertrauten, als wenn wir aus einer Arbeit in die andere stürzen. Das gilt zumal für emotionale Naturen, die total die Reflexion über sich verlieren, wenn sie sich nicht in der Einsamkeit auf sich konzentrieren.
4.1.1.3 Die Aufbaugesetze des Charakters Die will ich nur schnell nennen, um sie zu wecken:
4.1.1.3.1 Das Erscheinungsgesetz Jeder Charakter offenbart sich in gewissen äußeren Erscheinungen.
4.1.1.3.2 Das Erkenntnis- oder Ähnlichkeitsgesetz Ich kann einen andern Charakter nur dann verstehen, wenn ich wenigstens keimhaft eine Ähnlichkeit mit ihm habe. Nehmen Sie an: Ich als Mann mit ausgeprägtem Herrentum habe so gar kein Verständnis für Frauenart. Wenn Sie aber Menschentypen verstehen, z.B. den Frauentyp, dann haben Sie immer von allen, die Sie verstehen, eine Anlage in sich entwickelt. Diese Anlage kann ich mir nicht geben, ich kann sie wohl entfalten. Prüfen wir das nach: Wo sind die Menschen, mit denen ich zusammenarbeiten muss und mit denen ich immer wieder zusammenpralle? Es kann freilich auch sein, dass ich sie wohl verstehe, aber so herb erzogen bin, dass ich es nie zu erkennen gebe. Dann müssen die Schranken einmal fallen.
4.1.1.3.3 Das Schichtungsgesetz: Jeder Charakter weist eine bestimmte Schichtung auf. Verschiedene Schichten sind verschieden stark ausgeprägt.
4.1.1.3.4 Das Polaritätsgesetz: Wenn ich die Anlage in mir habe zu einem kraftvollen Sein, ist die Gefahr sehr groß, die einzelnen Momente, die dazu gehören, zu überspitzen. Die Anlagen, die in mir sind, drängen also zu einer extremen Entfaltung. Ein anderes Beispiel dafür: Wenn ich recht gütig bin, kann es leicht sein, dass ich ein Waschlappen werde. Das ist das Polaritätgesetz.
4.1.1.3.5 Das Komplementationsgesetz: Überlegen Sie einmal, mit wem Sie am liebsten verkehren. Mit denen, die für Sie naturgemäß eine Ergänzung bringen. Es imponiert uns, was wir nicht haben oder doch nicht in diesem Grade besitzen. Dieses Komplementationsgesetz ist aber auch im eigenen Individuum selber tätig. Ich habe eine Anlage in mir, eine Hauptleidenschaft, sagen wir die Sinnlichkeit. Aber auch der Geltungsdrang steckt in mir. Beachten Sie nun, wie das Hingabevermögen eine Regulierung findet durch den Geltungsdrang; auch der Geltungsdrang will sich entfalten.
Ich darf hier diejenigen, die ständig in einem bestimmten Kreis tätig sind, auf eine Gefahr aufmerksam machen. Das Gesetz treibt den Erzieher oft dazu, sich stark dem Zögling anzupassen, so dass die Entwicklung des Erziehers darunter leidet. Achten Sie einmal darauf, wenn Sie Spiritual sind. Sie leben das Seelenleben derjenigen, die Ihnen anvertraut sind. Das bedeutet eine große Gefahr, wenn wir uns nicht bemühen, einen Ausgleich zu schaffen, indem wir z.B. die Zeiten des Gebetes auch für uns ausnutzen, nicht nur die Schwierigkeiten der uns Anvertrauten durchbeten!
Ein anderes Mittel: Nebenher noch in einem anderen Kreise tätig sein. Sonst kann es sein, wenn ich dauernd mit der Jugend zu tun habe, dass ich selbst nie aus der Pubertät herauskomme. Umgekehrt: Wenn der liebe Gott mir Menschen schickt, die im geistlichen Leben einen großen Schwung entwickeln, die über mir sind, dann werden wir instinktiv nach oben gezogen. Es liegt eine bestimmte spezielle Providenz in unserer Umgebung. Wenn der liebe Gott uns gern hat, schickt er uns eine Umgebung, die uns ergänzt, die uns emporzieht.
Nun der Kerngedanke:
4.1.1.4 Die große Idee formt den Charakter
4.1.1.4.1 Die Bedingung der Formung: Die Idee muss wertgesättigt sein! Ich muss den ganzen Wertkomplex, der in der Idee liegt, mir innerlich angeeignet haben. Hier liegt auch der Grund für die Tatsache, dass wir in den Exerzitien viel mehr ringen müssen um Werthaftigkeit der einzelnen Gedanken als um Vorsätze. In der Zeit, die so stark wurzellos geworden ist, die uns selber so stark angekränkelt hat, kommen wir nicht weit, wenn wir dauernd Vorsatz neben Vorsatz reihen. Das macht uns nicht besser, macht uns kränker, wenn nicht alles auf einen Wert hin gestrafft ist. Wir müssen sorgen, dass Gedankengänge durch langsames, stetes Sich-damit-beschäftigen ihre ganze Werthaftigkeit entfalten. Derartige Dinge sind so bedeutungsvoll! - Wertgesättigt muss die Idee werden. Aus diesem Grund ist wohl auch das Büchlein von Hock im Großen und Ganzen abzulehnen. Nicht durch vielgestaltige Erinnerung an Gott erreiche ich etwas, sondern Gott muss Wertkomplex werden! Deswegen müssen Sie immer festhalten: Eine Idee wirkt Charakter- und Führer-bildend in dem Maße, als sie einen Wert, ja einen Zentralwert meines Lebens darstellt.
Nehmen Sie einmal das Ideal des Professors, von dem ich sprach: „Beheimatet sein und andere beheimaten im Schoße Gottes“. Wenn das nun jahrelang gewachsen ist, kann ich voraussetzen, dass es schon Wertkomplex ist. Aber wenn ich es erst erzeugen muss, dann muss ich alles, was mir während des Tages an Werten begegnet, an diesem Wert messen. All meine Betrachtungen, geistliche Lesungen, alle Wertschätzungen müssen ausmünden in der Bewertung dieses einen großen Gedankens. Dadurch bekommt mein ganzes geistliches Leben eine starke bestimmte Einheit. Anfangs muss das wohl alles bewusst und reflexiv gemacht werden. Wenn wir aber einmal ausgereifte Persönlichkeiten geworden sind, ist das nicht mehr nötig. Dann ist das ganz selbstverständlich. Meine Seele wird sich dann von selbst nur das aneignen, was diesem Wertkomplex dient.
Also halten Sie den Satz fest: Idee muss Wert werden, wenn sie Charakter bilden soll.
4.1.1.4.2 Die praktische Auswirkung der Formung durch die Idee: Wie wirkt sich nun praktisch diese Idee aus? Sie muss tatsächlich mit der Zeit das ganze Leben formen. Wenn sie nur Wert im Innern ist, entfaltet sie nicht ihre Kraft. Sie muss wirksam werden. Wodurch wird sie das? Ich lese es an einem charaktervollen Menschen ab.
4.1.1.4.2.1 Die Idee muss richtunggebend werden in meinem Handeln: Ich muss also zunächst dafür sorgen, dass die Idee insgesamt mein Wirken befruchtet. Die Idee muss motorische Kraft werden.
4.1.1.4.2.2 Die Idee muss entscheiden in allen Fragen und Zweifelsfällen: Sowohl bei Vorsätzen, wie bei Anwendungen. Nehmen Sie an, Sie wollen jetzt Vorsätze fassen. Wenn Sie nach jedem Vortrag fragen: was ist praktisch?, kämen Sie zu einer Unmenge von Vorsätzen. Das tut es nicht. Ich muss fragen: Wie passt dieser Vorsatz zu meinem P.I.?
Aber auch da, wo es sich um Ausführung eines Vorsatzes handelt, muss die Idee entscheiden. Lindworsky beschreibt das Ende des Heiligkeitsstrebens des jungen Ordensmannes: Der Zusammenbruch seiner Nerven! Seine Aufgabe ist die wissenschaftliche Leistung. Der Ältere, dem er zur Seite gegeben ist, drückt und ruiniert ihn. Ob es nicht da die größere Demut gewesen wäre, dem Älteren zu widerstehen? Und was ist mit der Demut? Fragen Sie sich selbst: Wie sieht eine gottgewollte Demut aus? Wir haben oft so viele verkehrte Begriffe. Ein halbes Leben schleppen wir sie mit, die andere Hälfte werfen wir sie weg, und dann haben wir nichts mehr! Demut und Zielstrebigkeit ist sehr wohl miteinander vereinbar. Demut besteht nicht darin, mir den Kern meiner Persönlichkeit rauben zu lassen und meine Nerven zu ruinieren!
4.1.1.4.2.3 Das P.I. wirkt beseelend auf die indifferenten Handlungen. Da möchte ich hinweisen auf das Gemeinschaftsleben in Gemeinde, Pfarrei, Kloster, Internat. Man hört so oft: das Kloster- oder Internatsleben ist nicht fähig, große Charaktere zu schaffen. Grund: Weil das Gemeinschaftsleben so leicht nivelliert. Was sollen wir da tun? Wir sollen dafür sorgen, dass die Arbeiten, die der Tag mir bringt, von mir aus meinem P.I. heraus gesetzt werden. Dann werden die indifferentesten Handlungen persönlichkeitsbildend. Anfangs darf ich das reflexiv tun, später aber ist das alles selbstverständlich. Nur muss ich hier und da wieder nachprüfen, ob auch alles aus meinem Persönlichkeitskern herauswächst oder neben ihm liegt.
4.1.1.4.2.4 Das P.I. drängt zu Werken der Übergebühr: Wenn ich mich so erzogen habe, drängt es mich mit der Zeit zu Werken der Übergebühr. Es ist dann ein heiliger Drang und Zwang in mir. Dann „hat mich das Ideal“. Das ist eigentlich der Zustand, den der Charakter mit der Zeit bekommen muss.
4.1.2 Die große Idee formt eine überragende Führerpersönlichkeit. Der Grund: Jede wertvolle Führerpersönlichkeit wird von drei Elementen geformt:
4.1.2.1 Rückhaltlose Hingabe an eine große Idee.
4.1.2.2. Gänzliche Hingabe an die einzelnen Glieder der Gefolgschaft.
4.1.2.3 Mehr als mittelmäßige Begabung auf dem Gebiet, auf dem einer führen will.
Die Formkraft der Idee wird ergänzt durch die Formkraft der Liebe.
4.2 Das P.I. besitzt die Wirkkraft einer großen originellen Liebe:
Wo wir Frauen zu erziehen haben, müssen wir Gewicht auf das Ideenbetonte legen, weil das der Frau nicht so liegt, weil sie da ergänzt werden muss. Wo wir es aber mit uns selber zu tun haben, müssen wir zwar auch unsere Idee reformieren, aber vor allem die Formkraft einer überzeugenden originellen Liebe einsetzen: einer personalen Liebe! Nehmen Sie z.B. wieder das Ideal: Beheimatet sein und beheimaten in der Übernatur. Das ist als Idee schön. Aber wenn dieses Ideal wirksam werden soll, muss ich auch an die Personen gebunden sein, die hier mitschwingen; eine große Liebe zu Gott also. Letztlich muss jedes Ideal die personale Liebe zu einer Person der Übernatur in sich schließen! Sonst kann es nicht wirksam werden.
Wenn ich nun einmal frage: Warum machen wir so wenig Fortschritte? Woher kommt es, dass mein P.I. so wenig wirksam ist? Entweder hat es gefehlt an dem Hingegebensein an die große Idee und Aufgabe - diese Aufgabe muss ich mir immer wieder neu als Wertskala nahebringen - oder ich bin zu wenig warm gebunden an eine bestimmte Persönlichkeit der Übernatur. Eine personale warme Liebe muss ich mein eigen nennen, sonst hört auch die Motivkraft der Liebe zu wirken auf. - Alles, was wir sagten, um die Ehrfurcht vor Gott zu pflegen, das ist alles Vertiefung unseres Ideals!
4.3 Das P.I. besitzt die Formkraft einer großen originellen Gnade:
Das müsste ich noch beifügen, damit wir nicht zu stark als Psychologen erscheinen. Sie mögen ein aszetisches System, ein pädagogisches System wählen, welches Sie wollen, Sie werden einmal sehen, wie klein wir später werden, wenn wir die Früchte der Erziehung sehen. Der Mensch hat einen freien Willen und ist belastet durch die Erbsünde. Darum werden Sie ohne Gnade keinen Charakter erziehen können. Wir sind in allem begrenzt: Unser Leben, unsere Erkenntnis ist begrenzt. Wäre ich darum auch den Gesetzen der Natur ideal nachgegangen, ohne Gebet und Opfer werde ich doch nichts erreichen. Wenn ich darum erziehen will, muss ich der Mann eines großen Gedankens, einer großen Liebe und eines großen Opferns und Betens sein. Alle psychologische Orientierung ohne Gebet und Opfer wird nicht zum Ziel führen. Darum gibt es keine Methode, kein noch so glänzendes System, das absolut sicher wäre. Es muss eine große und originelle Gnade hinzukommen. Eine originelle Gnade, weil sich die Gnade ja der Natur anpasst.
Es bleibt eine letzte Frage, die Frage nach der Wirkweise des persönlichen Ideals.
5 Die Wirkweise des Persönlichen Ideals
Ich gebe drei Antworten: Die Wirkweise des persönlichen Ideals ist eine positive - eine organische - eine energische.
5.1 Das P.I. wirkt positiv:
Wenn wir bei der Medizin Anleihe machen, so können wir ein chirurgisches und ein heilendes Verfahren unterscheiden.
5.1.1 Chirurgisches Verfahren Da werden unsere Neigungen und Leidenschaften einfach abgeschnitten. Das ist aber ganz verkehrt. Das fühlen wir. Denn der liebe Gott hat uns die Leidenschaften gegeben als Hilfen und Stützen. Darum ist Sinn der Erziehung nicht abschneiden, sondern veredeln. Zuweilen aber haben wir den Eindruck, als ob manche in der Erzieherwelt wohl das Wort verstehen vom Ausziehen des alten Menschen, als ob sie meinten, das Erziehen bestände in dauerndem Ausziehen. Es heißt aber doch: Ziehet aus... und ziehet an! Die Haupttätigkeit in der Erziehung muss in dem Anziehen liegen! -
5.1.2 Heilendes Verfahren Es kann wieder ein Doppeltes sein: Allopathisch oder homöopathisch. Ich kann dafür sorgen, dass das gesamte Wohlbefinden des Körpers gehoben wird, oder dass ein bestimmter kranker Teil wieder gesund gemacht oder maßvoll abgeriegelt wird gegenüber den gesunden Teilen. Im ersten Fall haben wir das positive, im andern Fall das negative Verfahren. So haben wir auch in der Aszese ein positives und ein negatives Verfahren zu unterscheiden:
5.1.2.1 Negatives Heilverfahren Es bemüht sich, wo die Seele an irgendeinem Scheinwert hängt, diesen Scheinwert zu entlarven und zu entwerten. Nehmen Sie an, ich hänge an einem Geschöpf, vielleicht an einem Mädchen oder einer Zigarre. Ich will nun die ungeordnete Anhänglichkeit daran überwinden. Da habe ich zwei Möglichkeiten: Ich kann diesen Wert, an dem ich hänge, umnebeln. Oder ich kann dafür sorgen, dass er überstrahlt wird. Umnebeln meint: Ich sage mir: Eitelkeit der Eitelkeiten. Mensch ist Mensch. Staub und Asche. So umneble ich den Wert, an dem ich hänge. Die andere Art ist:
5.1.2.2 Positives Heilverfahren Eine Überstrahlung. Morgens, wenn die Sonne noch nicht aufgegangen ist, sehe ich eine Menge Sterne. Wenn aber die Sonne aufgegangen ist, verschwinden sie, machen keinen Eindruck mehr auf mich. So könnte ich auch meine Anhänglichkeit an die Geschöpfe überstrahlen, indem ich, wo sich die ungeordneten Neigungen melden, mich darauf einstelle, das höhere Gut, Gott selbst, mit der ganzen Inbrunst meiner Seele zu lieben.
Der Heiland und die Heiligen haben zwar beide Methoden angewandt, aber sie haben die positive Methode in den Vordergrund gerückt. Betrachten Sie die Forderungen des Apostels Paulus im dritten Teil des Römerbriefes. Wie positiv ist da alles geformt und formuliert.
Der Heiland wendet allerdings auch die negative Methode an. Aber im Allgemeinen werden Sie merken, wie er und die Apostel durchweg Dolmetscher der positiven Methode sind. Sie wollen Sonnen aufgehen lassen, damit der Mensch in dem Lichte dieser Sonnen nach oben gezogen wird. Wir sollten für uns persönlich nun vor Augen halten: Im allgemeinen, besonders aber für das heutige Menschentum, angesichts der heutigen so entwurzelten Seelenlage, die so wenig positiv nach oben schauen kann, müssen wir die positive Methode ganz stark betonen. Das gilt besonders:
5.1.2.2.1 Wenn es sich um Kämpfe und Versuchungen handelt, bei denen körperliche Veränderungen vorkommen. Als wir voriges Jahr von der Liebe sprachen, sind wir uns klar geworden, dass bei der Enge des menschlichen Bewusstseins eine Konzentration auf einen Wert meist eine gewisse Indifferenz bedeutet für entgegengesetzte Werte. Das müssen Sie einmal durchdenken, um griffsicher diese positive Methode anzuwenden. Wenn ich z.B. meine ganze Liebeskraft auf Gott konzentriere, ist es da wegen der Enge des menschlichen Bewusstseins nicht selbstverständlich, dass eine gewisse Indifferenz gegen alle Dinge in mir lebendig wird, die nicht eine gewisse Verbindung mit Gott haben? Dieses Gesetz müssen wir jetzt anwenden.
Ich hänge zum Beispiel leidenschaftlich an einer Frau in meinem Seelsorgsbereich. Ich merke, es regen sich Triebe, die nach unten ziehen. Wenn ich mich nun bemühe, meine ganze Liebe Gott zu schenken, darf ich dann nicht erwarten, dass mit der Zeit eine gewisse Reserve der Frau gegenüber eintritt? Geht bei Versuchungen eine körperliche Veränderung vor sich, dann ist es besonders notwendig, die positive Methode anzuwenden. All diese Versuchungen müssen mit der Zeit möglichst schnell aus der Seele herausgetrieben werden. D.h. die Seele muss möglichst schnell ihre Aufmerksamkeit von diesen Dingen abwenden, weil sonst die Konzentration während des Kampfes sich stärker um das Körperliche dreht und dieses damit an Kraft gewinnt. Jedes längere Sichbeschäftigen mit den Dingen dagegen ist eine Disposition für spätere ähnliche tiefergehende Versuchungen. Wenn ich mich dagegen bemühe, mein ganzes Sein auf ein großes Ziel, auf einen großen Wert zu konzentrieren, mag ich zwar leiden, habe mich aber positiv eingestellt. Und das ist hier die einzig richtige Methode.
5.1.2.2.2 Wenn wir schon älter geworden sind. Dann sollten wir auf jeden Fall die positive Methode bevorzugen. Denn dann reagieren wir nicht mehr so stark auf die negative Methode. Ein großes Licht müssen wir anzünden, dann sind die negativen Dinge schnell überwunden und verlassen. Und wenn wir uns unter die Leuchtkraft dieses großen Lichtes stellen, ist immer noch ungemein viel aus uns herauszuholen.
5.1.2.2.3 Wenn wir schwach und müde geworden sind, wenn wir keine innere Schwungkraft mehr haben, die die Seele in Bewegung setzen will. Auch dann können wir durch ein leuchtendes Ideal immer noch am meisten aus uns herausholen.
Darum mehr Idealpädagogik! Mehr positive Einstellung! Mehr positives Wirken und Kämpfen! Dieses positive Vorgehen in einer Zeit der Zerfaserung der menschlichen Seele mögen wir fast in überspitzter Weise anwenden.
Sie brauchen nicht Mangel an Demut oder Leichtfertigkeit zu fürchten. Sonst übersehen Sie die großen organischen Zusammenhänge. Vor meinem Ideal werde ich viel eher klein, als wenn ich immer nach unten schaue. Idealpädagogik treibt immer nach oben; nicht des Müssens wegen, sondern des Dürfens! Wir dürfen nicht in die Gefahrenzone unserer Gegner hineinkommen. Sie nehmen dem Menschen alles Weite, Schwunghafte, indem sie den kategorischen Imperativ, das Militärische anwenden bis zum Überdruss. Der Mensch kann nicht lange das Müssen ertragen.
Die menschliche Natur ist von Hause aus wesentlich angewiesen auf die Liebe. Liebe ist der wesentliche Urtrieb der menschlichen Natur! Nicht die Furcht! Wer darum die Liebe zu wecken versteht, hat damit den Menschen an dem Zipfel gepackt, von dem aus er die ganze menschliche Natur bekommt. Je größer die Liebe, desto sicherer ist der ganze Mensch gewonnen. Wenn der Mensch ausgepowert wird durch das ständige „Du musst!“ geht die Schwungkraft, das Schönste und Feinste verloren. Sehen Sie sich einmal solche Menschen an, die dauernd die Peitsche spüren. Gewiss, es ist auch Müssen notwendig. Eine tiefgreifende Liebe schließt ja immer auch Furcht ein. Aber das Wesentlichste dürfen wir in der Erziehung nicht übersehen. Auf den Schiffen Gottes gibt es keine Galeerensklaven, nur freiwillige Ruderer, sagt Franz von Sales. Ich darf schon wehe tun, nur darf ich keine Sklavennaturen erziehen.
Wie schön weiß das der hl. Ignatius in seinen Wahlbetrachtungen darzustellen. Wir sehen auf der einen Seite den Teufel. Er sucht seine Gefolgschaft durch Donner und Blitz zu fassen, also durch Gewalt. Der Heiland auf der andern Seite: Wenn du vollkommen sein willst.... Das ist also eine positive Einladung.
Damit habe ich wohl gut veranschaulicht, was ich meine. Es ist klar: Wenn das Ideal immer vor mir steht, drängt ja alles zur Orientierung nach der Richtung. Das Ideal gibt den Ausschlag, die Liebe zum Ideal ist normgebend. Dann darf ich auch annehmen, dass meine Seele ständig sich auf dem Weg des Fortschritts bewegt.
5.2 Die Wirkweise des persönlichen Ideals ist eine organische
Das Wort ‚organisch’ hat heute einen guten Klang. Das Mechanistische soll heute überwunden werden. Die organische Ganzheit soll im Vordergrund stehen. Wann sprechen wir nun von einem organischen Wachsen? Drei Momente: Es ist ein langsames Wachsen - ein Wachsen von innen heraus - ein Wachsen aus einer organischen Ganzheit in eine organische Ganzheit.
5.2.1 Das persönliche Ideal wirkt langsam. Organisches Wachsen ist ein langsames Wachsen! Wie machen wir es vielfach in Fremd- und Selbsterziehung? Da ist oft eine so starke Betriebsamkeit, ein Drängen und Drücken, so wie Münchhausen das Wachsen des Grases beschleunigen wollte, indem er daran zupfte und zerrte. Ob wir es nicht auch oft so machen?! Damit aber lassen wir ein Anwachsen überhaupt nicht zu. Wie wenig angewachsene Religiosität finden wir heute bei unsern Katholiken! Ein Grund dafür: Es fehlt am langsamen Vorgehen! Wo ich als Erzieher merke, dass meine Gefolgschaft mir im Augenblick zufliegt, da mache ich immer ein Fragezeichen. Wenn es aber ein langsames Sich entwickeln ist, dann hat das Verhältnis auch Bestand. Gesundes Leben ist immer langsam organisch wachsendes Leben! Prüfen Sie, ob das P.I. nicht dieses langsame organische Wachsen in sich schließt. Gewiss, äußere Erfolge mag ich schnell bekommen. Aber ein langsames Anwachsen ist etwas anderes. Je langsamer etwas wächst, desto mehr wächst es an und wächst es von innen.
5.2.2 Das P.I. wirkt von innen heraus. Es ist fähig, wirkliche Gesinnungen und Haltungen zu schaffen. Das P.I. ist der maßvolle Ausdruck meiner Gesinnungen, aber es soll sie auch schaffen und vertiefen. Gegenüber den heutigen Aushöhlungstendenzen ist es besonders wichtig, dass das Ideal die Gesinnungen von innen heraus schafft. Allerdings müssen sich dann diese Gesinnungen und Haltungen auch nach außen offenbaren in Akten und einzelnen Übungen. Es gibt ja kein gesundes Leben, das sich nicht auch eine Atmosphäre schaffte, so wie der Baum sich seine Rinde schafft.
5.2.3 Das P.I. wirkt aus einer organischen Ganzheit in eine organische Ganzheit. Nehme ich z.B. einen gemalten Baum. Da ist Stück für Stück gemalt. Wo aber Leben ist, da habe ich auch schon am Anfang einen fertigen Baum en miniature. Das ist ja auch so oft der Fehler unserer Aszetik. Ihr Vorgehen ist logisch, aber nicht psychologisch. Wie hat man es vielfach getan? Da steht im Buch: Die Demut hat so und so viele Stufen. Ich mache dann Längsschnitte durch die Seele entsprechend den Stufen, aber keine Querschnitte durch die augenblickliche Lebenssituation. Es wächst nicht eines mit dem andern gleichmäßig mit. Dann kann es so leicht vorkommen, dass ich schon auf jener Stufe bin und dann erst recht stolz werde. Daher kommt es dann auch, dass wir in den Jahren, die ausschließlich der Erziehung gewidmet sind, Heilige zu sein scheinen. Aber sobald wir heraus sind, ist alles weg! Es war nichts Gewachsenes da! Treibhauskultur! Diese Dinge müssen wir deshalb so ernst nehmen, weil der liebe Gott von uns Erziehern Arbeit für die Dauer der Zeit erwartet.
Prüfen Sie deswegen, ob es nicht wahr ist, dass das P.I. dieses gesunde Wachstum wirklich sichert. Ich darf aus meiner Erfahrung sagen: Wenn ich einen Menschen vor mir habe, der sich langsam entwickelt, der auch den Mut hat, einmal gegen den Strom zu schwimmen, dann bin ich überzeugt, er wird viel reifer als die andern, die immer Hurra schreien. Meine Fähigkeit, in einem kleinen Kreise suggestiv zu wirken, muss zurücktreten. Sonst gibt es Vergewaltigung. Erziehung heißt, Dienst am Leben betätigen. Ich kann ja kein Leben schaffen. Ich kann nur dem Leben dienen. Und darin werde ich viel sicherer sein, wenn ich erziehe durch Idealpädagogik!
5.3 Die Wirkweise des persönlichen Ideals ist eine energische:
Das P.I. bewirkt auch ein ständiges tatkräftiges, wenn auch langsames Arbeiten. Der tiefere Grund: Weil in dem P.I. der Mensch an dem Zipfel gepackt wird, der an sich seinen wesenhaftesten Urtrieb ausmacht, am positiven Liebestrieb. Weil wir zu viel mit dem Furchtmotiv arbeiten, deswegen erziehen wir so viele Krüppel, deswegen sind wir selbst so krüppelhaft, kommen nicht über eine gewisse Grenze unseres Wesens hinaus.
Ich weiß nun nicht, was Sie auf all das sagen möchten. Vielleicht, dass Sie meinen, es sei alles doch zu sporadisch hingeworfen. Da mögen Sie recht haben, wenn Sie seither sich noch nicht damit auseinandergesetzt haben. Aber das eine Konkrete dürfen Sie doch wohl mitnehmen: Wie sieht mein Ideal aus? Wie sieht der Zentralgedanke meines Lebens aus? Darf ich Sie als Seelsorger fragen: Wie sieht der Leitgedanke meiner Seelsorge aus? Wenn Sie in die Zeitungen hineinschauen, lernen Sie den Leitgedanken des jetzigen Parteitags in Nürnberg kennen. Wurzellose Zeiten müssen immer wieder von neuen Leitgedanken gespeist werden. Darum jetzt den Zentralgedanken festhalten für das nächste Jahr. Dann aber auch das ganze Jahr unentwegt nach dieser Richtung hin arbeiten. Die großen Gesetzmäßigkeiten des Ideals gelten ja auch für mein Pfarrideal, Gemeinschaftsideal, Ordensideal. Wenn wir uns darauf mehr einigen würden, unsere Predigtweise und alles andere darauf einzustellen! Wenn der Zentralgedanke anfängt zu wirken, werden die entsprechenden Haltungen geschaffen! Und das ist so wichtig gegenüber den Aushöhlungstendenzen der heutigen Zeit. Freilich, das Volk braucht das alles nicht bewusst zu haben, aber wir! . Download pdf . Schönstatt-Lexikon ONLINE: Persönliches Ideal vgl. Mt 5,48 Gemeint sind die Priesterexerzitien über die „vollkommene priesterliche Lebensfreude“. Wörtlich: die beispielhafte Idee (eines Menschen), wie sie in Gottes Geist voraus existiert. Angelus Silesius (1624-1677). Bezieht sich auf die Darlegungen des hl. Ignatius über die richtige Wahl bei Entscheidungen des Lebens, damit sie zum Lobe Gottes und zum Heil meiner Seele gefällt werden. (Exerzitienbüchlein Nr. 169-189) Johannes Lindworsky, SJ, beschäftigt sich eingehend mit der Willenspsychologie, an der sich P.Kentenich auch inspiriert hat. Siehe: Lindworsky, Johannes, Experimentelle Psychologie. (Philosophische Handbibliothek, Bd.5), 1.Auflage 1921. In den folgenden Jahren folgten mehrere Auflagen. Der um sich greifende Nationalsozialismus übt mit seiner Ideologie vom arischen Herrenmenschen auf die Zeit einen entscheidenden Einfluss aus. Eigenständige Überzeugungen, die die Stimme des Gewissens respektierten, waren nicht willkommen. Daher der Ausdruck „Brunnenvergiftung des Gewissens“. Konrad Hock war Spiritual im Priesterseminar Würzburg. Er propagierte die „Übung der Vergegenwärtigung Gottes“, eine sehr schematische Methode, die auf die individuelle Befindlichkeit des Subjekts kaum Rücksicht nahm. Siehe dazu sein Buch: Die Übung der Vergegenwärtigung Gottes, Augsburg-Stuttgart (Verlag Dr.Benno Filser). Gemeint sind wohl die Kapitel 12 – 15, insbesondere die Lehre von den verschiedenen Gaben an dem einen Leib Christi im Kap. 12. P.Kentenich denkt dabei an Versuchungen wie Zorn, Angst, sexuelle Versuchungen, die sich nicht nur in der Seele abspielen, sondern unmittelbare Auswirkungen auf den Körper haben. Münchhausen ist im deutschen Sprachraum die literarische und deshalb sprichwörtliche Symbolfigur eines Aufschneiders. Er erzählt von seinen Heldentaten in einer Weise, die „un-glaublich“ ist.
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