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Haus Moriah Nachrichten Predigt - 20.01.2009

Paulus -
kein zufälliger Deckname für unseren Vater im KZ Dachau

Predigt von Msgr. Dr. Peter Wolf zum 20. Januar in der Anbetungskirche Berg Schönstatt


Liebe Schönstattfamilie,

wir stehen mitten im Paulusjahr, zu dem der Heilige Vater uns eingeladen hat. Viele von uns haben seine Einladung angenommen und sich innerlich auf den Weg gemacht, Paulus mehr Aufmerksamkeit zu schenken und mit ihm ins Gespräch zu kommen. Manche haben in der ersten Hälfte des Paulusjahres aufgenommen und Freude daran gefunden, wie stark unser Vater und Gründer bei Paulus in die Schule gegangen ist.

Heute am Abend des 20. Januars möchte ich Sie einladen, wahrzunehmen, wie stark unser Gründer das Geschick der Gefangenschaft von Paulus her gesehen hat. Bereits unter den ersten Briefen aus dem Gestapo-Gefängnis in der Karmeliterstraße in Koblenz gibt es Hinweise, die auf Paulus hindeuten. Im ersten Brief an den damaligen Bewegungsleiter P. Mühlbeyer schreibt unser Vater unmittelbar nach der vierwöchigen Dunkelhaft: „Ferner erhält Paulus auf die Frage, was er tun soll, den bedeutsamen Hinweis als Antwort: was er leiden soll um meines Namens willen…“ Ein weiterer Brief eine Woche später an seine Marienschwestern enthält gleich mehrere Bezüge zu Paulus. Herr Pater schreibt: „ein Glück endlich, dass wir nicht nur zu Menschen von Gott, sondern auch zu Gott von Menschen sprechen können. Von dieser Möglichkeit mache ich reichlich Gebrauch, ähnlich wie Paulus das getan (Gal 4,19).“ Dann folgt ein Hinweis nach dem anderen auf Paulus: „Als Oktobergeschenk erflehe ich Ihnen ein starkes Wachstum zum ‚Vollalter Christi’ (Eph 4,13), zur Mündigkeit und Selbstständigkeit und zum Wagemut in Christus. Mit Paulus bete ich: Ich beuge meine Knie vor dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, von dem jedes Geschlecht im Himmel und auf Erden seinen Namen hat …“ Und so zitiert er den ganzen Christus-Hymnus aus dem Brief an die Epheser.

Gegen Ende seines Briefes findet sich eine Passage, in der er die Situation der Gefangenschaft von Paulus her deutet. Hier reift in der Schule des Paulus das Denken, aus dem die Entscheidung des 20. Januars erst eigentlich verständlich wird: „Wir wollen nicht zu denen gehören, die im Gebete zwar von der vollen Hingabe viel zu sagen wissen, die aber alle Pferde der Welt zusammenhalten, um den Wagen wieder zurückzubringen, wenn Gott anfängt, unser Gebet ernst zu nehmen, und mit uns tut, was er will. Das gilt besonders, wenn er uns in die Leidensschule nimmt. Paulus hält es für selbstverständlich, dass wir als Glieder Christi ihm auch in seinem Leiden gleichgeschaltet werden und dass das Leid nicht nur Zusammenbruch der menschlichen, sondern auch und vor allem Aufbruch der göttlichen Kräfte und dadurch reiche Fruchtbarkeit unseres Lebens und Wirkens bedeutet (Kol 1,24; 1 Kor 4,9)“.

Unter den kurzen Nachrichten aus dem Gefängnis Anfang Dezember 1941 findet sich schließlich die viel sagende Notiz: „Jeden Tag lese ich Phil 1.“ Offensichtlich ist unserem Vater der Brief an die Philipper besonders kostbar geworden, so dass er ihn in dieser Zeit täglich liest und sich von ihm in seiner eigenen Gefangenschaft ansprechen lässt. Ich habe angefangen und kann es Ihnen nur empfehlen, dieses erste Kapitel immer wieder zu lesen. Ich entdecke in darin immer mehr, wie viele Aussagen des Apostels Satz für Satz auch für unseren Vater gelten. Hören wir in diesem Sinn noch einmal auf die Worte des Apostels an seine Lieblingsgemeinde in Philippi: „Ich danke meinem Gott jedes Mal, wenn ich an euch denke; immer, wenn ich für euch alle bete, tue ich es mit Freude und danke Gott dafür, dass ihr euch gemeinsam für das Evangelium eingesetzt habt vom ersten Tag an bis jetzt.“ (Phil 1,-5)

Wie Paulus kann auch unser Vater den Seinen schreiben: „Ich vertraue darauf, dass er, der bei euch das gute Werk begonnen hat, es auch vollenden wird bis zum Tag Christi Jesu.“ (Phil 1,6) Satz für Satz kann er mit Paulus wiederholen und sich ihm anschließen: „Es ist nur recht, dass ich so über euch alle denke, weil ich euch ins Herz geschlossen habe.“ (Phil 1,7)

Auf einmal füllen sich die fast 2000 Jahre alten Worte mit Blut und Leben. Sie gewinnen ihre ursprüngliche Kraft und sie bringen ins Wort, was unser Vater seinen Schwestern, seiner Gefolgschaft sagen möchte. Sie sollen beim Lesen nach und nach entdecken, was Paulus damals und ihr Vater und Gründer heute sagen will. So verstehe ich den Hinweis unseres Vaters in einem anderen Brief aus dieser Zeit an die damalige Generaloberin der Marienschwestern: „Im Dezember können Sie statt meines Briefes am Anfang der Betrachtungszeit das 1. Kapitel des Philipperbriefes vorlesen lassen.“ Einen ganzen Monat lang hatten sie also Zeit zu ahnen, was unser Vater in den Worten des Apostels ihnen sagen wollte. Paulus wird zum Dolmetscher. Er bringt ins Wort, was der Vater und Gründer aus der Gefangenschaft den Seinen sagen wollte. Mehr als in jeder Predigt und jedem Vortrag zuvor konnte und durfte jetzt etwas sichtbar werden von der tiefen Verbindung und herzlichen Liebe, die über die Jahre der Gründung gewachsen war: „Gott ist mein Zeuge, wie ich mich nach euch allen sehne, mit der herzlichen Liebe, die Christus Jesus zu euch hat.“ (Phil 1,8)

So kann der Gründer im Gefängnis mit Worten des Apostels seinen Schwestern signalisieren, wie tief er sie ins Herz geschlossen hat und mit dem gleichen Brief zeigen, worauf es jetzt ankommt: „Und ich bete darum, dass eure Liebe immer noch reicher an Einsicht und Verständnis wird, damit ihr beurteilen könnt, worauf es ankommt.“ (Phil 1, 9)

Auch nach Weihnachten 41 bleibt unser Gründer ganz in der Spur des Apostels Paulus. Für einen Kurs der Marienschwestern, der vor seiner Kursweihe steht und sich für das Sponsa-Ideal entschieden hat, beginnt er Vortrag auf Vortrag zu schreiben und nach draußen zu schmuggeln. Diese Vorträge, die uns als „Sponsa-Gedanken“ vertraut sind, enthalten wiederum die Einladung, „bei Paulus in die Schule zu gehen“. Mit spürbarer Begeisterung stellt er den jungen Schwestern Paulus als den „Mann mit 1000 Herzen“, der durch sein Ideal „der neue Mensch in Christus“ so unermesslich fruchtbar geworden ist. Es ist eine höchst anregende Einführung in das paulinische Christusbild, was hier Zettel um Zettel aus dem Gefängnis nach Schönstatt gelangt.

In diesen Texten begegnet mir unser Vater als einer, der Paulus gleichsam von innen heraus versteht. Er steht vor mir als einer, der das Schicksal des Paulus teilt und gleichzeitig Paulus studiert. Unser Vater hatte in seiner Zelle eine Heilige Schrift und das damals bekannte Paulusbuch von Prof. Josef Holzner, der bei ihm in Exerzitien gewesen war.

Der Gefangenschaft von Koblenz folgt im März 42 der Aufenthalt im Konzentrationslager Dachau, wo Pater Kentenich bis zum April 1945 in Haft bleibt. Bereits im ersten Brief aus dem KZ stoßen wir wieder auf die Spur des Apostels Paulus: „Sie warten sicher schon länger auf den ersten Brief aus meiner neuen Heimat. Ich benutze deswegen die erste Gelegenheit, um den Wunsch zu erfüllen. Wie es mir geht? Paulus würde antworten: ‚Alles kann ich in dem, der mich stärkt’…“ (22. März 1942).

Was sich in der Gefangenschaft in Koblenz angebahnt hat, setzt sich im KZ Dachau fort. Jetzt wird „Paulus“ oder das große „P.“ mit Punkt zum Decknamen für Josef Kentenich. In einem Brief aus Dachau vom 19. April des gleichen Jahres heißt es: „Er wird P. nur verstehen, wenn er festhält, dass er in einer Heiden-, Narren- und Todesstadt lebte und wirkte…“ Rückblickend auf diese Zeit berichtet der Gründer von den Themen, zu denen er im KZ ganze Abhandlungen verfasst hat, und sagt dann: „Alles Mögliche habe ich vom Lager aus geschrieben, natürlich alles getarnt: Paulusbriefe! Alles ist ganz exakt durchgegangen durch die Zensur“.

Auf diese Spur in den Briefen aus dem Umkreis des 20. Januar wollte ich aus Anlass des Paulusjahres hinweisen. Für mich ist es alles andere als ein zufälliger Deckname für unseren Vater wenn wir in Briefen aus seiner Gefangenschaft Paulus an der Stelle seines Namens entdecken. Ich stoße auf eine innere Nähe im Geschick der beiden und auf eine Kongenialität in ihrem Denken, die mich reizt, beide immer besser kennen zu lernen. Hier liegen unser Zugang zu Paulus und gleichzeitig eine echte Chance, von Paulus her unseren Vater neu zu verstehen. Amen.

 

 
 

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