Bernd BibergerGnädig und barmherzig ist der Herr!
Predigten zur Barmherzigkeit Gottes Leseprobe Bereitet dem barmherzigen Gott den Weg!
2. Adventssonntag, Jkr B, Jes 40,1-5.9-11 „Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott.“ Diese Worte ruft uns der Prophet heute zu. Sie stehen am Beginn des zweiten Teiles des Jesaja-Buches. Seine ganze Kraft entfalten sie, wenn wir uns ihren historischen Hintergrund bewusst machen. Diese Worte sind hineingesprochen in eine Zeit, die zu den dramatischsten Geschehnissen der Geschichte Israels gehört. Das Volk weilt im Exil. Nach heftigen Auseinandersetzungen mit den Babyloniern hat das Volk sowohl die Gabe des Landes verloren als auch den Tempel. Die Babylonier hatten Jerusalem dem Erdboden gleich gemacht, den letzten König aus dem Geschlecht Davids abgesetzt und die Oberschicht des Volkes nach Babylon verschleppt. Das Volk liegt am Boden. Es hat keine Zukunftsperspektive. Im Exil erlebt es seine ganze Erbärmlichkeit. Vor allem leidet es darunter, dass sich Gott von seinem Volk abgewandt hat. Die Zeit im Exil wird nicht nur als eine Zeit erlebt, in der die Menschen fern ihrer Heimat sind, sondern sie wird vor allem als eine Zeit empfunden, in der Israel fern ist von seinem Gott. Nicht einmal der Glaube kann ihnen Trost geben, denn in seiner Untreue hat das Volk den Bund mit Gott gebrochen. Was soll ihm da noch Hoffnung geben? Das Volk hatte kein Interesse mehr an Gottes Geboten gezeigt. Ist es da nicht verständlich, dass Gott nun kein Interesse mehr an Israel hat? Mitten hinein in diese tiefe, deprimierende Erfahrung seiner Erbärmlichkeit verkündet der Prophet nun dem Volk die Worte: „Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott.“ Jetzt, da es erkannt hat, dass die militärische Niederlage und der Verlust des Landes keine Zeichen der Schwäche Gottes sind, sondern eine Folge seiner Untreue, erlebt Israel, wie sich Gott ihm wieder zuwendet. Gott schaut auf das Volk und fordert dazu auf, es in seiner Not zu trösten. Schon diese zweimalige Aufforderung zum Trösten macht deutlich, dass es Gott nicht egal ist, wie es Israel ergeht, mag es noch so untreu gewesen sein. In dem Moment, in dem Israel sich seiner ganzen Erbärmlichkeit bewusst geworden ist und erkannt hat, dass das Heil nicht von den fremden Göttern kommt, denen es nachgelaufen ist und dass es sich sein Heil nicht mit eigenen Kräften bauen kann, in dem Moment darf es erleben, dass dieser Gott, dem es doch untreu geworden ist, nach wie vor zum Volk steht und Israel treu bleibt. Dabei ist die Aufforderung, Israel zu trösten, keine Mahnung an andere, sondern es ist die Ankündigung, dass Gott sich dem Volk heilvoll zuwendet. Im künftigen Heilsgeschehen wird Israel Trost und Hoffnung finden. Noch wichtiger als die zweimalige Aufforderung zum Trösten sind jedoch zwei kleine Worte, die wir in ihrer Unscheinbarkeit als selbstverständlich nehmen. Gott nennt Israel „mein Volk“, und der Prophet nennt Gott „euren Gott“. Was muss das für Israel, das sich von Gott verlassen fühlt, bedeutet haben, dass Gott es „mein Volk“ nennt und dass es nach wie vor sagen darf, dass Gott sein Gott ist. Das Volk, das sich nicht mehr als Volk Gottes und Gott nicht mehr als den Gott Israels erlebt hat, erfährt nun, dass es auch und gerade in seiner Erbärmlichkeit Gottes Volk und er Israels Gott ist. Verstärkt wird dies dadurch, dass im zweiten Teil der Lesung dem Volk zugerufen wird: „Seht, da ist euer Gott.“ Noch einmal wird Israel zugesagt, dass Gott nach wie vor der Gott des Volkes ist. „Mein“, „euer“, diese beiden zunächst fast unscheinbaren Wörtchen drücken Beziehung aus. Jahwe und Israel – sie gehören zusammen. Gott und Volk bleiben verbunden. Gerade in der Erfahrung der größten Schande, gerade im Erleben seines Kleinseins, gerade im Moment der größten Schwäche erlebt das Volk: Unser Gott bekennt sich zu uns. Unser Gott steht zu uns. Unser Gott ist uns treu. „Mein Volk“ – „euer Gott“. In diesen Worten klingt die Bundesformel an, die Formel, die die einzigartige Beziehung zwischen Gott und Israel auf den Punkt bringt: „Ich werde euer Gott sein, und ihr sollt mein Volk sein.“ „Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott.“ In diesen Worten des Propheten, die den zweiten Teil des Jesaja-Buches eröffnen, wird deutlich, dass die Geschichte Gottes mit seinem Volk nach wie vor eine Geschichte des Bundes ist. Auch die Katastrophe des Exils ändert nichts daran, dass Israel im Bund mit Gott gehalten ist. Auch wenn das Wörtchen „Bund“ nicht verwendet wird, so wird schon allein durch diesen Satz deutlich: Die Bundesgeschichte Gottes mit seinem Volk geht weiter, gerade jetzt, da das Volk seine ganze Erbärmlichkeit erlebt. Wie das konkret werden soll, zeigt die Lesung. Zunächst wird das Volk aufgefordert, sich für das Kommen Gottes vorzubereiten. Eine Stimme mahnt: „Bahnt für den Herrn einen Weg durch die Wüste! Baut in der Steppe eine ebene Straße für unseren Gott!“ Gott möchte Israel sein Heil schen-ken. Er möchte Israel eine neue Zukunft schenken. Doch damit das Volk Gottes Gabe empfangen kann, muss es zuerst umkehren und sich Gott zuwenden. Es kann das Erbarmen Gottes nur empfangen, wenn es sich zu seiner Erbärmlichkeit bekennt und von seinem Gott alles erwartet. Wenn die Wege nicht gebahnt sind, kann Gott nicht ankommen. Aber wenn die Wege gebahnt sind, dann, so der Prophet, offenbart sich die Herrlichkeit des Herrn, dann verherrlicht sich Gott an Israel. Entsprechend kündigt der zweite Teil an: „Seht, Gott, der Herr, kommt mit Macht, er herrscht mit starkem Arm.“ Gott wird dargestellt als mächtiger Gott. Er ist nicht der ohnmächtige Gott, der nichts gegen die Babylonier ausrichten konnte, so dass Israel die Gabe des Landes verloren hat. Vielmehr ist er der Mächtige, der dann, wenn sein Volk dafür bereit ist, sich für Israel einsetzt und alle Not überwindet. Gerade in seiner Ohnmacht erfährt das Volk die Allmacht seines Gottes. In seiner Ohnmacht erlebt das Volk: Jetzt ist die Stunde seines Gottes gekommen. Jetzt ist die Stunde des Hirten gekommen, der die zerstreute Herde sammelt und sie heimführt in das verheißene Land. Jetzt ist die Stunde gekommen, in der Gott jeder Not ein Ende bereitet und Israel eine neue Zukunftsperspektive eröffnet. „Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott.“ Das gilt nicht nur für Israel, das gilt auch uns in unserer Ohnmacht. So sind auch wir eingeladen, dem Herrn den Weg zu bereiten, denn auch zu uns kommt er mit Macht. Inhaltsverzeichnis - Aus dem Vorwort
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