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Erleben / Erlebnis
M. Erika Frömbgen

Erleben ist die individuelle innere Anteilnahme an einem aktuellen Prozess des Geschehens, meist der direkten Beobachtung entzogen und darum von außen nicht objektivierbar. Es kann daher nur über begleitende Verhaltensweisen erschlossen werden (Körpersprache, Handlungen, Beschreibungen).

Erlebnis ist eine als relativ abgeschlossen eingeschätzte Einheit des vorausgegangenen Erlebens mit Anteilen von besonderer Dichte und Qualität, die als solche zur inneren Erfahrung wird und entweder direkt (bewusst) oder indirekt (unterbewusst) erinnerlich bleibt. Die in einem konkreten Erlebnis sich zu einer Ganzheit verbindenden inneren und äußeren Teilerfahrungen (Erkenntnisse, Einsichten, Gefühle, lokale und personale Besonderheiten) verbinden sich assoziativ mit bereits vorausgegangenen Erinnerungen und werden aufgrund von Vorerlebnissen qualitativ wie quantitativ verändert.

P. Kentenich hat dem Erlebnis, speziell dem religiösen Erlebnis und den sich darauf beziehenden Vorerlebnissen (>>Familie, >>Vater, >>Mutter, Gemeinschaft, >>Heimat), in seiner Pädagogik und Religionspsychologie eine besondere Bedeutung zuerkannt (vgl. PT 1951). Er definiert "das Wesen des religiösen Erlebnisses" als "ein gemüthaftes Aufnehmen und Verarbeiten der religiösen Wahrheiten" und hebt folgende Gesetzmäßigkeiten hervor:

- Das Erlebnis hat "eine integrierende, ganzheitliche Funktion". Diese Funktion ist abhängig (a) von der "Kenntnis der religiösen Wahrheiten", (b) von einer entsprechenden "geistigen Hingabe des Willens" an diese und (c) von dem "Erfasst werden und Durchdrungen sein des Gemütes" von diesen Wahrheiten.

- Das Erlebnis berührt die Tiefenseele mit ihrer "schöpferischen Kraft" und "tiefen Innigkeit" im Sinne von Voreinstellungen.

- Das Erlebnis setzt entsprechende Vorerlebnisse in der natürlichen Ordnung voraus. Diese Vorerlebnisse bedingen je originäre Voreinstellungen und haben nach P. Kentenich eine nicht auszuschließende psychologische Bedeutung im Sinne positiv fördernder oder negativ behindernder Erlebnisübertragung. Da Erlebnisse von primär gemüthafter und irrationaler Qualität und in der Regel dem Bewusstsein nicht direkt zugänglich sind, sondern als un bzw. unterbewusste Vorerfahrung zur Disposition stehen, sind sie vital wirksamer als rationale Glaubensunterweisung (>>praeambula fidei, >>Psychologie der Zweitursachen, >>Übertragung und Weiterleitung).

Die religiöse Werdegeschichte des einzelnen im Sinne von Unterweisung, Glaubensannahme und "Leben aus dem Glauben" ist daher weitgehend von assoziativ übertragbaren Vorerlebnissen abhängig. Fehlen diese oder sind sie ungeeignet bzw. gegenläufig, bedarf es der positiven Nacherlebnisse bzw. Kontrasterlebnisse, um die Seele für die christlichen Glaubensinhalte zu disponieren und diese bis ins un und unterbewusste Seelenleben zu integrieren (vgl. PT 1951). P. Kentenich spricht in diesem Zusammenhang von einer "Glaubenspsychologie", deren Beachtung in einer pluralistischen Kulturgesellschaft darüber entscheidet, ob der Glaube als Lebensqualität an die nachwachsende Generation weitergegeben werden kann. Die von P. Kentenich vertretene und praktizierte Glaubenspsychologie beachtet und pflegt sorgfältig eine Erlebnisstruktur (auch durch Ergänzungserlebnisse), in der vor allem die personalen Vorerfahrungen (z.B. Vater Gott, Mutter Maria) bis in ihre tiefenpsychologische Wirksamkeit ernst genommen werden (vgl. PT 1950). Die Dreiheit von Denken, Lieben und Leben, die es nach P. Kentenich in ihren Werdegesetzen zu beachten gilt, verdichtet sich nicht nur als Erlebnis, sondern ist in ihrer Entwicklung maßgebend mitbestimmt von der Qualität der Erlebnisfähigkeit bzw. unfähigkeit und der Erlebnistiefe bzw. flachheit (vgl. den Universalismus bzw. Infinitismus der Tiefe als Erziehungsziel: 3GU 1944). Ziele, die in der Schönstattspiritualität auf Ergriffenheit ausgerichtet sind (Gott , Vater , Sendungs , Idealergriffenheit), bedürfen dieser Tiefendimension des Erlebens.

Im modernen Sprachgebrauch finden wir Erlebnis auch mit "Erfahrung" bezeichnet, wobei der Unterschied zu beachten bleibt: "ein Erlebnis hat man" und "eine Erfahrung macht man".

Literatur:

J. Kentenich, Kindsein vor Gott. Priesterexerzitien 1937, Vallendar-Schönstatt 1979, 87-91

J. Kentenich, Daß neue Menschen werden. Eine pädagogische Religionspsychologie. Vorträge der Pädagogische Tagung 1951. Bearbeitete Nachschrift, Vallendar-Schönstatt 1971, 264 S., 36-110.

H. Czarkowski, Psychologie als Organismuslehre, Vallendar-Schönstatt 1973, 102 105

E. Frömbgen: Neuer Mensch in neuer Gemeinschaft, Vallendar-Schönstatt 1973, 199 215

P. Vautier, Maria die Erzieherin, Vallendar-Schönstatt 1981, Stichwort "Erlebnisfähigkeit".

M. Erika Frömbgen

 

Schönstatt-Lexikon:
Herausgeber: Internationales Josef-Kentenich-Institut für Forschung und Lehre e.V. (IKF)
Verlag: Patris-Verlag, Vallendar-Schönstatt - All rights by Patris-Verlag -
www.patris-verlag.de
Online-Präsentation:  Josef-Kentenich-Institut e.V. (JKI)

Eingestellt von
O. B.
B. M.
Eingestellt am: 24.11.2010 10:04
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