1. Hochherzigkeit als sittliche Haltung ist klassisches, abendländisches Erbe, dargestellt und reflektiert zunächst in der Ethik des Aristoteles, für das christliche Ethos gewürdigt durch Thomas von Aquin ("magnanimitas"). Ähnlich wie die Kardinaltugenden ist Hochherzigkeit für Aristoteles eine Tugend der Mitte, in diesem Fall der zwischen Aufgeblasenheit und Verzagtheit: der Mensch mit dem weiten und großen Herzen schätze seine ureigene Möglichkeit "hoch" ein und rechtfertige dies durch sein Handeln. Hochherzigkeit ist für Aristoteles mehr als eine Tugend; sie gibt den Tugenden, d.h. den sittlichen Haltungen, in der Gesamtheit ihren "Schmuck". Sie bildet das sittliche Aroma des Menschseins überhaupt in einer Freiheit, die zu ihren besten Möglichkeiten findet - in sozialer Verbindlichkeit und Freundschaft. Von Aristoteles heißt es, er habe an diesem Teil seiner Ethik mit starker innerer Beteiligung gearbeitet. 2. Auf der Folie dieses geistesgeschichtlichen Erbes gewinnt Hochherzigkeit in der Spiritualität Schönstatts einen Bezugspunkt und ihr eigenes Profil. Auch für Pater Kentenich ist Hochherzigkeit oder Hochgemutheit keine Haltung neben anderen, sondern der Inbegriff eines Menschentyps (>>neuer Mensch) im Schnittpunkt von Natur und Gnade: eines Typs, der nicht zunächst Befehl oder "Pflicht" gehorcht, sondern aus innerem Gespür für seine Wesensanlage (Ideal) oder gegebene konkrete Umstände (Schicklichkeitsempfinden) nach der Vollverwirklichung des Sittlichen und Religiösen strebt: vollkommen zu sein wie der Vater im Himmel vollkommen ist (Mt 5,48) auf seine originelle Weise (>>Persönliches Ideal). Er empfindet die Aufforderung des Evangeliums nicht als drückende Pflicht, sondern als Appell an ein dankbares "Dürfen", auf die personale Liebe des Vaters und im Vertrauen auf die tragende Kraft des Geistes Christi zu antworten. Dem entspricht das Wissen des Menschen um die Begrenzung seiner geschöpflichen Möglichkeiten, die er in der Haltung kindlicher Demut und im Vertrauen auf die Barmherzigkeit Gottes immer mehr zu akzeptieren lernt. Hochherzigkeit ist jene "Tugend", die der >>Idealpädagogik Schönstatts als erzieherischem Ansatz innerlich korrespondiert (>>Pädagogik). Idealpädagogik ist für J. Kentenich immer der Ausgleich von "Humilitas"- und "Magnanimitas"-Erziehung, in diesem Sinne immer ein Geschehen der "Mitte". Demut und Hochherzigkeit sind in der Sicht Pater Kentenichs letztlich keine Gegensätze, sondern bilden die Grundgestalt menschlicher Freiheit: in geschöpflicher Begrenzung nach dem gottverwandten Ideal streben zu dürfen. So wird Hochherzigkeit für ihn zum Inbegriff menschlich-christlicher Freiheit. Eine seiner klassischen Umschreibungen lautet gleich bleibend: Freisein heißt, "aus Großmut sich entscheiden für die leisesten Wünsche Gottes". Literatur: J. Kentenich, Grundriß einer neuzeitlichen Pädagogik für den katholischen Erzieher. Vorträge der Pädagogischen Tagung 1950, Vallendar-Schönstatt 1971 NM, 345 ff. I. Nei, Magnanimitas. Zu einem Zentralbegriff der Schönstätter Spiritualität, Regnum 1 (1966) 65-74. R. Baum / S. Neumeister, Art. Hochherzigkeit, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 3, 1147. Lothar Penners Schönstatt-Lexikon: Herausgeber: Internationales Josef-Kentenich-Institut für Forschung und Lehre e.V. (IKF) Verlag: Patris-Verlag, Vallendar-Schönstatt - All rights by Patris-Verlag - www.patris-verlag.de Online-Präsentation: Josef-Kentenich-Institut e.V. (JKI) - www.josef-kentenich-institut.de |