1. Biblische Grundlagen
2. Schönstättische Ausprägung
2.1. Grundlagen
2.2. Eigenschaften und Ausdrucksformen
- Frei gewählt
- Dauernd
- Um des Herrn willen
- Gesichert
- Vollkommen
2.3. Priestertum und Jungfräulichkeit
Im Sprachgebrauch Schönstatts findet sich als Bezeichnung für die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen (vgl. Mt 19,12) fast durchgänglich der Begriff Jungfräulichkeit. Damit wird entsprechend der spirituellen Tradition der Kirche nicht das Unverheiratetsein als solches in den Vordergrund gestellt, sondern der personale Aspekt dieser Lebensform hervorgehoben.
1. Biblische Grundlagen - Im Unterschied zu dualistisch-leibfeindlichen Vorstellungen und stoisch-utilitaristischen Überlegungen der Umwelt kennt die Bibel eine hohe Wertschätzung der Ehe und der leiblichen Fruchtbarkeit. Im AT wird die enge Beziehung zwischen dem Bundesvolk Israel und seinem Gott im Bild der Vermählung der "Jungfrau Israel" (Jes 62,5; Jer 31,4) mit Gott dargestellt. Das Wesen dieser jungfräulichen Beziehung ist nicht die sexuelle Enthaltsamkeit, sondern die Exklusivität der Zugehörigkeit zu Jahwe im Sinne des ersten Gebotes des Dekalogs. An diese Tradition knüpft die Jungfräulichkeit des NT an. Der tiefste Grund für die christliche Jungfräulichkeit liegt im Vorbild und in der Weisung Jesu Christi. Nach dem einmütigen Zeugnis der Schrift lebte Jesus jungfräulich. Er lebt in einer einzigartig-exklusiven Beziehung zu seinem Gott, die sein ganzes Menschsein durchdringt. Die Ehe, die in den Gleichnissen Jesu transparent wird auf die Welt Gottes hin, kommt nach der Lehre Jesu aus dem Schöpferwillen Gottes. Sie ist eine heilige, große, aber auf die Weltzeit begrenzte Wirklichkeit (Mt 22,30). Mit Jesus ist das Reich Gottes unmittelbar nahe gekommen; alle menschlichen Werte und Beziehungen werden dadurch relativiert. Das gilt für Jesus selbst (Mt 8,20), aber auch für die, die er in seine Nachfolge ruft (Lk 18,29 f.). Die Ehelosigkeit steht im Kontext der Botschaft vom Himmelreich. Alle menschlichen Fähigkeiten werden in Anspruch genommen wie bei der Erwartung des Bräutigams (Mt 25,1-13). Die Jungfräulichkeit Mariens steht ganz im Dienst der Menschwerdung des Sohnes Gottes aus Heiligem Geist. Sie ist leibhaftiger Ausdruck ihres Glaubens und ihrer exklusiven Hingabe an Gott. Darin verkörpert sie die bräutliche Offenheit der Kirche und aller Christen, die im weiteren realen Sinne jungfräulich dem Herrn gehören (2 Kor 11,3). Im Lieblingsjünger Johannes, der in der christlichen Tradition das Ideal des jungfräulichen Jüngers darstellt, sind besonders alle jungfräulichen Christen Maria anvertraut.
In der nachösterlichen Situation der frühen Christenheit wird die Jungfräulichkeit vor allem in der personalen Beziehung zum Auferstandenen begründet und ermöglicht. Gegen leibfeindliche Kreise verteidigt Paulus die Ehe und die eheliche Sexualität; angesichts der endzeitlichen Bedrängnisse, durch die alles relativiert wird, lebt und empfiehlt Paulus die Jungfräulichkeit (1 Kor 7,26). Die Jungfräulichkeit ermöglicht einen ausschließlichen Christusdienst in der Verkündigung des Evangeliums und im mütterlich-väterlichen Dienst am Aufbau der Gemeinden (1 Thess 2,9 ff.). Wie die Ehe den Bund Gottes (sakramental) vergegenwärtigt, so verweisen jungfräuliche Christen auf die exklusive Christuszugehörigkeit der Kirche.
2. Schönstättische Ausprägung - Wie in allen geistlichen Aufbrüchen der Kirchengeschichte und der Gegenwart findet die Jungfräulichkeit als Lebensform in Schönstatt hohe Wertschätzung und anziehende Ausprägung. Es gibt neben Gemeinschaften von Familien und verheirateten Männern und Frauen zahlreiche Gemeinschaftsformen für ehelose Menschen, für Frauen und Männer, für Laien und Priester. Auf dem Hintergrund der neuzeitlichen Infragestellung (vor allem durch die Psychologie), hat P. Kentenich den Fragen einer zeitgemäßen Ausprägung der Jungfräulichkeit große Aufmerksamkeit geschenkt und in seiner seelsorgerlichen Praxis für Individuum und Gemeinschaften originelle Antworten gefunden. Dabei wurde der Reichtum der spirituellen Tradition aufgenommen und in Auseinandersetzung mit modernen Fragestellungen weitergeführt.
2.1. Grundlagen - In Absetzung leib- und sexualfeindlichen Tendenzen der Spiritualitätsgeschichte betont P. Kentenich den positiven Wert der menschlichen Sexualität (>>Geschlechtlichkeit). Die Jungfräulichkeit ist nicht eine Missachtung oder Verdrängung, sondern eine reife Form der Geschlechtlichkeit, deren gesunde Entfaltung zu einem heilen und heiligen Menschsein gehört. Im Zentrum der schönstättischen Spiritualität und Pädagogik steht die organische Verbindung von >>Natur und Gnade; in Anwendung auf den Bereich der Geschlechtlichkeit bedeutet dies die Entfaltung und Integrierung der naturhaften, der natürlichen und übernatürlichen Liebesfähigkeit des Menschen. Die Jungfräulichkeit verzichtet nicht auf den Geschlechtstrieb, was einer Verstümmelung gleichkäme, sondern sie verzichtet um Gottes und hoher Werte willen darauf, mit einem (Ehe-)Partner die körperliche Vereinigung zu vollziehen und sexuelle Befriedigung zu finden. Der jungfräuliche Mensch entfaltet aber alle gesunden Formen echter menschlicher Liebe; nur die bräutliche und intime Form der Liebe richtet er - ohne Vermittlung durch eine partnerschaftliche Beziehung - auf Gott bzw. auf Jesus Christus selbst. Hier liegt nach der Lehre P. Kentenichs das Wesen der Jungfräulichkeit. Analog zur >>Ehe vollendet sich auch die jungfräuliche Liebe in einer geistlichen Vater- bzw. Mutterschaft und in einer Fruchtbarkeit für das Reich Gottes. Die Jungfräulichkeit ist neben der Ehe die großmütige evangeliumsgemäße Entfaltung der menschlichen Liebesfähigkeit; ihr kommt eine besondere Wertschätzung zu, da sie eine besondere Erwählung und vollkommene Form der Christusnachfolge und Gottesliebe darstellt.
2.2. Eigenschaften und Ausdrucksformen - Damit jungfräuliches Leben gelingen kann, braucht es eine intensive Pflege, da es in gewisser Weise auf natürliche Hilfen verzichtet. Auch die starke Infragestellung durch die (außer- und innerkirchliche) Öffentlichkeit verlangt eine größere Klarheit und Entschiedenheit. Nach P. Kentenich lassen sich u. a. fünf Eigenschaften nennen, die die christliche Jungfräulichkeit auszeichnen sollen:
- Frei gewählt: Jungfräulichkeit beruht nicht auf Unfähigkeit oder Zwang, sondern auf einer freien Entscheidung. Die Erziehung muss darauf achten, die Freiheit und menschliche Reife zu fördern.
- Dauernd: Diese Entscheidung muss analog zur Ehe auf Dauer und Endgültigkeit angelegt sein. Eine halbherzige Entscheidung stört die Möglichkeit der Integrierung der Geschlechtlichkeit und verhindert Fruchtbarkeit.
- Um des Herrn willen: Wesentlich gehört zur christlichen Jungfräulichkeit die Bereitschaft zum ungeteilten Christusdienst. Es gibt auch rein menschliche Gründe für eine Ehelosigkeit (z.B. Beruf); für das gelebte Charisma der Jungfräulichkeit ist aber nur die zentrale Motivation, d.h. die persönliche Liebe zum Herrn, tragfähig.
- Gesichert: Die jungfräuliche Lebensform braucht maßvolle, aber verlässliche Sicherungen und prägende Formen. In den Schönstatt-Gemeinschaften wird die Jungfräulichkeit nicht durch ein Gelübde gesichert, sondern durch das Liebesbündnis mit Maria und durch die familienhafte (zum Teil vertragliche) Bindung an die Gemeinschaft.
- Vollkommen: Für jeden Christen ist standesgemäße Keuschheit verpflichtend. Der jungfräuliche Mensch will nicht nur die pflichtmäßige Reinheit im Sinne der jungfräulichen Enthaltsamkeit und Pflege der Schamhaftigkeit einhalten, sondern eine sehr hochherzige Reinheit anstreben, die über das verpflichtende Maß hinaus auf Anhänglichkeit und Ausdrucksformen der Zärtlichkeit und Nähe verzichtet, die über das landesübliche Maß der Höflichkeitsbezeigung hinausgehen. Ohne Sündenangst und in großer Unbefangenheit halten jungfräuliche Menschen eine klare Unberührtheit ein. Als besonderes Gnadengeschenk wird darüber hinaus eine "triebmäßige Reinheit" erbeten, in der die Geschlechtlichkeit und alle Strebekräfte der Seele vollkommen integriert sind nach dem Bild der Immaculata.
Zum Gelingen der Jungfräulichkeit braucht es tragende Ausdrucksformen und eine entsprechende Lebenskultur. Neben der hochherzigen Pflege der Ehrfurcht und einer gesunden Schamhaftigkeit nennt P. Kentenich als Elemente dieser jungfräulichen Lebenskultur: hochgradige Gottesliebe, tiefgründige Demut, erleuchtete, wirksame Abtötung, schöpferischer Arbeitseifer und entspannende edle Freude. Der jungfräuliche Mensch braucht die Integrierung der gegengeschlechtlichen Anteile und eine entsprechende seelische Ergänzung sowie die Heilung und Entfaltung der Liebesfähigkeit. Der Beziehung zur Gottesmutter Maria kommt in dieser Hinsicht eine wichtige Bedeutung zu.
2.3. Priestertum und Jungfräulichkeit - P. Kentenich hat vielen Priestern geholfen, die Jungfräulichkeit zu leben. Für die Angemessenheit der Verbindung von Priestertum und Jungfräulichkeit nennt er vor allem drei Gründe: Der ethische Grund legt nahe, dass der Priester vorbildlich und exemplarisch das Sexualproblem löst. Der mystische Grund sieht die Jungfräulichkeit als die engste personale Verbindung zu Christus, dem der Priester durch das Weihesakrament vollkommen angeeint ist. Von entscheidender Bedeutung für die Jungfräulichkeit des Weltpriesters sieht P. Kentenich die geistliche Vaterschaft im Dienst an den Menschen ("soziologischer Grund"). P. Kentenich bemühte sich um eine lebensmäßige Lösung des sog. Zölibatsproblems der Weltpriester, weil er wußte, dass die kirchenrechtliche Regelung allein dazu auf Dauer nicht in der Lage sein würde.
Literatur:
J. Kentenich, Marianisch-priesterliche Lebensweisheit. Priester Exerzitien 1933/1934, verv.W, A 5 quer, 185 S., 160-169
Unser Gründer spricht zu uns III
J. Kentenich, Rom-Vorträge. Vorträge für die Leitungen der Schönstätter Verbände in Rom (17. November 1965 - 2. Februar 1966), verv., A 5, vier Bände, 237+321+283+308 S. Bd III, 61-81
J. Kentenich, Weihnachtstagung 1967. Vorträge vom 27. bis 30.12.1967 an die Delegierten des internationalen Schönstattwerkes, verv.O, A 5, 221 S., 100-126
B. Warth, Vom Reichtum des Reinseins, Vallendar 1968