Anzeigen

 

Haus Moriah Schönstatt-Lexikon Schönstatt-Lexikon ONLINE - Stichwortsuche

 Text
Moraltheologie / Ethik
Lothar Penners

1. Die Reflexion J. Kentenichs auf christliches Handeln
2. Durchgängiges Hören auf "Seins-, Zeiten- und Seelenstimmen"
3. Entfaltung von Werthaltungen
4. Bundesmoral: das Liebesbündnis als Grundnorm
5. Hochherziges Ethos - bei einem Minimum an Moralpositivismus
6. Sittlichkeit als Reifungsweg: das Gesetz der Gradualität - eine ethische Form von Bewegungspädagogik?
7. Akzente in der Tugendlehre
8. Die Pädagogik J. Kentenichs und moraltheologisch-ethische Richtungen

J. Kentenich als Gründer einer religiös-sittlichen Erneuerungsbewegung setzt Akzente in der Moraltheologie bzw. Ethik, auch wenn er keinen systematischen Entwurf vorlegt, was für ihn Aufgabe der entsprechenden Disziplinen der Theologie, bzw. der Philosophie darstellt.

Auf der anderen Seite ist sein Beitrag zur Spiritualität, Pädagogik und Kulturanalyse so grundlegend und umfassend, dass von ihm aus Licht fällt auf die Fragestellungen der philosophischen und theologischen Ethik bzw. Moral. Dies ist angesichts der sachlichen Nähe von "Erziehung" und "Ethik" auch in gewisser Weise zu erwarten, auch dann, wenn das pädagogische Konzept J. Kentenichs entschieden mehr sein will und darstellt als pure, d.h. nicht weiter reflektierte "Anwendung" der der Pädagogik zugeordneten Wissenschaften der Theologie, Philosophie oder Psychologie etc.

A priori kann an ein erneuertes Konzept von christlicher Erziehung die Frage gerichtet werden, inwieweit bei diesem Impulse gegeben sind für eine Neufassung einer Disziplin wie der Moraltheologie, die in den letzten Jahrzehnten parallel zur Gründungsgeschichte Schönstatts in Gang gekommen ist und ausdrücklicher Auftrag des Zweiten Vatikanischen Konzils an diese theologische Disziplin gewesen ist.

Wenn der Rückblick auf die Geschichte der Moraltheologie (im Unterschied etwa zur Ethik oder Moralphilosophie, deren Entwicklung in der Neuzeit weitgehend vom säkularen Raum und seinen Fragestellungen bestimmt wurde) dieser im wesentlichen eine kasuistisch-kanonistische Engführung im Blick auf die Praxis der Verwaltung des Bußsakramentes bescheinigt, dann kann in dieser Engführung eine formale Entsprechung zur jener Form von Pädagogik gesehen werden, die sich vor allem als Einübung in rechtes Verhalten betrachtet hat.

Auf dem Hintergrund der dringlich gewordenen Erneuerung sowohl von "Moral" wie von "Pädagogik" werden folgende Grundlinien namhaft gemacht, die eine "systematische" Erarbeitung u. a. klären und vervollständigen müsste:

1. Die Reflexion J. Kentenichs auf christliches Handeln (bzw. seine erzieherische Anleitung dazu) kennt auch in diesem Bereich die Doppelausrichtung auf "wesenhaft Letztes und konkret Greifbares". D.h.: es findet sich in seiner geistigen Ausrichtung sowohl der Blick für Letztbegründungen der sittlichen Ordnung wie auch der lebendige Sinn für geschichtlich gewachsene Überzeugungen, psychologische Voraussetzungen, für Mentalitäten und Lebenstile, Wertverschiebungen und wechselnde Anknüpfungspunkte in der Verwirklichung des Guten.

Man kann bis zu einem gewissen Grade sagen: seine fundamentale Pädagogik will Verbindungsinstanz sein zwischen der ethischen Grundlagenreflexion, der sittlichen Botschaft des Christentums und dem gelebten Ethos einer Kultur; von Überzeitlichem und Zeitbedingtem in der "Moral".

2. Diese formale Ausrichtung kann verifiziert werden an folgenden Momenten: Im durchgängigen Hören auf "Seins-, Zeiten- und Seelenstimmen" trägt er dem grundsätzlich Normativen Rechnung, beachtet aber auch das situativ Gegebene und psychologisch Wirksame.

Die konsequente Berücksichtung des Prinzips "ordo essendi est ordo agendi" (>>Sein, Seinsordnung) weist aus, dass es ihm um Seinsgrund und Sinn menschlichen Handelns geht oder um eine "Metaphysik der Sitten". Das hindert ihn nicht, in der Verwirklichung des Sittlichen bei einer Persönlichkeitsethik anzusetzen, bei der Würde der individuellen Freiheit, Selbständigkeit und Selbsttätigkeit, Idealfindung und Lebensstil, Selbstwerdung und Gemeinschaftsbildung einen breiten Raum einnehmen. In der Weckung von Verantwortungsbewusstsein, in der Rückbindung von Gewissensbildung an die Führung Gottes (>>Vorsehungsglaube als Erkenntnisquelle des Willens Gottes) ist er darauf bedacht, Seinsordnung und Freiheit; objektiv Vorgegebenes und subjektiv Erstrebtes miteinander zu verbinden.

3. Aus dieser Grundmentalität ergibt sich ferner, dass J. Kentenich in der sittlichen Erziehung nicht auf Verordnungsmoral setzen kann, sondern auf die Entfaltung von Werthaltungen über die Weckung der vorhandenen Wertempfänglichkeit. Moralpädagogik ist für ihn im Zentrum Wertpädagogik: wo Werte nicht aufleuchten, um intuiert werden zu können, hat letztlich jede Normativität, so begründet sie in sich sein mag, ihre Wirksamkeit eingebüßt.

4. Bundesmoral: das Liebesbündnis als Grundnorm - Das Zentrum je vorhandener Werthaltungen bildet die dialogische Entsprechung zum Anderen, d.h. letztlich zum göttlichen Du. Der Bund mit Gott und die Liebesbindung an ihn ist für J. Kentenich nicht nur Grundsinn, Grundform und Grundkraft, sondern auch Grundnorm (>>Bundesspritualität). Der Bund in seiner spezifischen, von J. Kentenich herausgestellten Struktur von Vorsehungsglauben und Bündnis, d.h. als Erkenntnisquelle (des Willens Gottes) und Lebensquelle (in der Liebe) eröffnet gerade auch die Dimension spezifisch ethischer Verantwortlichkeit. Er ruft die Person in ihrer konkret-geschichtlichen Situation und leitet den Menschen an, hinter dem konkreten Anruf der Situation den Liebeswillen des Bündnispartners zu sehen. Die Mitte einer schönstättisch inspirierten Moral wäre deswegen zu umschreiben mit dem Begriff: Bundes- oder Bündnismoral. In einer solchen ist, soweit sie seit Jahrzehnten bereits gelebtes Leben ist, vermieden, dass ethisch relevante Kriterien, Normen und Werte, losgelöst von der Mitte des Glaubens und seinen heilsgeschichtlichen Quellgründen, in Anschlag gebracht werden. In einer Bündnismoral ist es immer die Person des vorgängig liebenden und geliebten Du, des geschichtlich führenden Gottes, welcher in die Verantwortung ruft und den Menschen moralisch verpflichtet. Es ist der Gott, der in Jesus Christus seine rückhaltlose Liebe gezeigt und ihn zum "Bund mit dem Volk" gemacht hat. Maria ist in einer solchen Bundesmoral gegenwärtig als der Inbegriff der natürlich-übernatürlichen Lebensfülle; der Bündniskontakt mit ihr schenkt eine "Entzündbarkeit für alles Gute", d.h. er disponiert zur Realisierung des heilshaft Aufgegeben.

5. Hochherziges Ethos - bei einem Minimum an Moralpositivismus - Ist die Wertanlage des Menschen geweckt und zunehmend entfaltet und der Mensch geöffnet für den Bundeswillen Gottes, kann nach J. Kentenich die ethisch-soziale Ordnung so konkret gestaltet werden, dass diese unter der Voraussetzung einer kontinuierlichen positiven Wertbewegung mit einem Minimum an positiv Verhaltensnomen auskommt. Das schönstättische "Organisationsprinzip": "Freiheit soviel wie möglich, Bindung soweit als notwendig und Geistpflege so viel wie möglich", erweist sich als durchgängig relevant und deswegen auch im moralischen Grundstil als bedeutsam. Für J. Kentenich geht es dabei um nichts anderes als den Geist des Neuen Bundes. Er beruft sich in diesem Zusamenhang auf die Sentenz des hl. Thomas von Aquin, wonach die Prälaten der Kirche kein Übermaß an Gesetzen erlassen sollen: Das "Gesetz" des Neuen Bundes sei der Hl. Geist und seine Liebe in den Herzen der Glaubenden. Schönstättisch inspirierte Ethik lässt bewusst Raum für Freiwilligkeit und Hochherzigkeit. Ethische Hochziele wie die sittliche Botschaft der Bergpredigt sind nur erstrebbar in der Kraft dankbar-freudigen "Dürfens", nicht durch von außen kommende gesetzhafte Bindungen, die immer nur das sinngemäß Notwendige letztlich sichern können - und müssen.

6. Sittlichkeit als Reifungsweg: das Gesetz der Gradualität - eine ethische Form von Bewegungspädagogik? - Im Blick auf "hoch" erscheinende Werte und Ziele - und dazu gehört immer auch die christliche Sexualethik - betont das kirchliche Lehramt seit Johannes Paul II. das "Gesetz der Gradualität" oder der schrittweisen Annäherung an das Ideal. Es erscheint wie die moraltheologische Modalität dessen, was J. Kentenich generell unter >>"Bewegungspädagogik" verstanden und praktiziert hat: dass die Erziehung dem Reifungsweg des Menschen Rechnung tragen muss; sie deswegen nur hilfreich ist, wenn, vom Ist-Zustand ausgehend, beiträgt, dass von aktuellen Motivationen eine Bewegung auf das Ideal hin zustandekommt.

7. Akzente in der Tugendlehre - In der Lehre und Pflege humaner und christlicher Werthaltungen setzt J. Kentenich offensichtlich spezielle Akzente, ohne in eine ausdrückliche Diskussion über ein "System" der Tugenden einzutreten. Zumal er in der Analyse verschiedener Lebens- und Kulturstile beobachtet, dass Werthaltungen sich nach der jeweilig vorherrschenden "Interessenspektive", die letztlich vom ausdrücklich angestrebten oder latent wirksamen Ideal bestimmt werden, herauskristallisieren.

Mit der katholischen Tradition behalten für ihn die göttlichen, d.h. eingegossenen Tugenden (Glaube, Hoffnung und Liebe) und die sog. "Kardinaltugenden" ihre zentrale Bedeutung. Es scheint aber, dass verschiedene Tugenden einen systematischeren Ort und Stellenwert bekommen: Demut und Hochherzigkeit. Betont die Demut die geschöpfliche Abhängigkeit des Menschen (bis in die Erfahrung von Schwäche, "Nichts und Sünde"), so die Hochherzigkeit den Adel des Menschen auf Grund seiner Gottverwandtschaft, die sich zeigt in der Sehnsucht und Kraft zum Streben nach Gottähnlichkeit.

Demut und Hochherzigkeit gehören für ihn deswegen zusammen und nur in der Verbindung von beiden ist für den Menschen letztlich geistig-seelische Gesundheit zu wahren. Es scheint, dass mit der speziellen Wertung beider Haltungen die seelische Befindlichkeit des (nach-)neuzeitlichen Menschen und seiner (nur) relativen Autonomie angesichts des Unendlichen in der Sicht J. Kentenichs speziell Rechnung getragen ist.

8. Die Pädagogik J. Kentenichs und moraltheologisch-ethische Richtungen - Die sittlichen Grundmotive bei J. Kentenich sind ausgesprochen reich und, weil dem unmittelbar pädagogischen Prozess verbunden, wenig systematisch aufgearbeitet. Wie in der Denkweise Kentenichs jedoch durchweg konstatierbar, zeigt sich auch in dieser Hinsicht sein Grundzug zum Organischen und zur Synthese. So finden sich Motive sowohl einer Gesinnungs- wie einer Verantwortungsethik. Er betont auf der einen Seite den heilsgeschichtlichen Kontext seiner Bündnisspiritualität und ihrer immanenten Bundesmoral samt der Bedeutung der christlichen Tradition für eine Ethik des Glaubens. Das hindert ihn nicht, im Gesetz ordo essendi est ordo agendi der vernunftgemäßen Begründung von Normen Rechung zu tragen und selbst nach seinsgemäßen Begründungen zu fragen in Fragestellungen, die nicht einfach durch die kirchliche Tradition abgedeckt sind. Von solchen Grundsträngen seines Denkens aus wäre sowohl eine umfassende Aufarbeitung wie eine Bezugnahme auf theologische wie außerkirchliche Richtungen anzugehen.

Literatur:

M. A. Nailis, Werktagsheiligkeit. Ein Beitrag zur religiösen Formung des Alltags, Limburg 1937 (1964) - Vallendar-Schönstatt 1974

J. Kentenich, Schlüssel zum Verständnis Schönstatts (September 1951), in: TxtSchö, 148-228, 148.

Johannes Paul II., Enzyklika Familiaris Consortio (1981).

W. Brugger, Art. Ethik, in: Philosohisches Wörterbuch, Freiburg 111964

B. Häring, Art. Moraltheologie, in: Herders Theologisches Taschenlexikon, Band 5, Freiburg 1973, 116 ff.

W. Kluxen, Ethik des Ethos, Freiburg-München 1974.

Lothar Penners

 

Schönstatt-Lexikon:
Herausgeber: Internationales Josef-Kentenich-Institut für Forschung und Lehre e.V. (IKF)
Verlag: Patris-Verlag, Vallendar-Schönstatt - All rights by Patris-Verlag -
www.patris-verlag.de
Online-Präsentation: Priester- und Bildungshaus Berg Moriah, Simmern, in Zusammenarbeit mit dem Josef-Kentenich-Institut e.V. (JKI)

Eingestellt von
O. B.
BM
Eingestellt am: 05.03.2008 20:03
  Zurück zur Übersicht
 
 

Seite drucken Seite versendenImpressum