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Samstag 23.11.2024, 01:34 Uhr
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P. Josef Kentenichs Kritik an Begriff und Praxis herkömmlichen kirchlichen Gehorsams

- Hermann Gedemer -

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Die treffendste Kritik an bestehendem Unzulänglichem ist das Schaffen von Neuem, das angemessen ist. Pater Kentenichs effektivste Kritik am herkömmlichen Gehorsamsverständnis in der Kirche ist sicherlich die Gründung neuer Gemeinschaften, die auf personale und lokale Bindung, auf gegenseitige vollkommene Bindung und übernatürlich fundierten Gehorsam aufgebaut sind.

In diesem Referat geht es allerdings nicht um die Darstellung dieser Kritik durch neues Leben, sondern um die Zusammenstellung (relativ weniger) ausdrücklicher, kritischer Äußerungen über die Gehorsamslehre und die Gehorsamspraxis in der kirchlichen Vergangenheit und der damit zumeist verbundenen Pointierungen des schönstättischen, familienhaften Gehorsams.


I.
Die neue Gehorsamslehre und Gehorsamspraxis ist nicht geschichtslos

Nach unserer Glaubensüberzeugung gehen durch die Geschichte der Kirche Einschlagsfäden göttlichen, zielgerichteten Handelns. Dieses Handeln Gottes ist innerlich folgerichtig, wenn meist auch erst später in seiner Folgerichtigkeit erkennbar. Deshalb kann Neues in der Kirche sich nur als legitim ausweisen, wenn es in seiner Neuheit die Kontinuität mit den früheren göttlichen Initiativen besitzt, wenn es originelle Fortentfaltung von bewährtem Vergangenem ist.

Es ist geradezu ein Erweis für göttliche Führung, wenn "instinktiv" Gegriffenes, der Zeit und der Aufgabe abgelauschte neue Theorie und Praxis nicht absolut neu sind, wenn alte (inzwischen vielleicht verdeckte) Wesensmomente neu entdeckt, neu akzentuiert und mit neuem Eifer und zeitgerecht verwirklicht werden.[1]

Entsprechend dieser seiner Geschichtsauffassung fordert P. J. Kentenich: "Eine Erneuerungsbewegung ... muss bei aller Einstellung auf moderne Problematik und bei aller schöpferischen Orientierung am neuen, kommenden Ufer – sorgfältig alle Aufbaukräfte ... auffangen und in ihren Dienst stellen, alle, die sich im Laufe der Jahrhunderte bewährt haben. So verlangt es Ehrfurcht vor der Wahrheit, katholische Traditionstreue und wurzelfestes Verantwortungsbewusstsein. "[2]

Die Konfrontation des schönstättischen Gehorsamsverständnisses mit der Gehorsamslehre und der Gehorsamspraxis in der Vergangenheit wird daher vor allem mangelhafte Verwirklichung und notwendige Neuakzentuierung zutage treten lassen. Dieser Vergleich ist anzustellen im Bewusstsein, dass mit dem Wertvollen alter Tradition zeitgemäß "gewuchert" werden muss.


II.
Allgemeine Charakterisierung der Vergangenheit

"Wir kommen aus einer Zeit vielfältiger, straffer  und schroffer Gebundenheit."[3] Die bisherigen Denkkategorien und Erziehungsmittel gingen alle auf eine Sicherung der Atmosphäre und des Milieus, in dem der einzelne im Durchschnitt recht leben konnte. Die Gemeinschaft sollte ausgiebig Schutz bieten. Die "Bindungen nach unten", die genauen Vorschriften, Übungen und formen sollten den einzelnen vor Irrwegen schützen.[4] Der Gehorsam erhielt solchen Gemeinschaftsschutz, dass kaum Raum und Zeit blieb zu eigenem Wollen und Tun. (Man denke etwa daran, dass manche Ordensfrauen nur zu zweien aus dem Hause gehen durften.) Indem also die äußeren Bedingungen möglichst bis ins einzelne reguliert wurden, erhielt man den einzelnen in der richtigen Ordnung. Pater Kentenich kennzeichnet solche Gemeinschaftsführung als "Zustandspädagogik"[5].

Die
Gefahren solcher Führungs- und Gehorsamspraxis sind vielfältig:

1. Die starke Betonung rechtlicher Bindungen und genau festgelegter Normen führt schnell zu "Versteinerung und Veräußerlichung".[6]

Formen sind zwar notwendig, um Leben, Überzeugung und Haltung zum Ausdruck zu bringen, diese anderen mitzuteilen und sie in der eigenen Person zur Entfaltung zu bringen. Sie sind jedoch Mittel zu diesem Zweck. "Übung der Übung wegen ist widersinnig. Wenn kein Leben im Herzen, in der Person, in der Gemeinschaft ist, bleibt letzten Endes nur noch der Formalismus übrig, der morgen als Pharisäismus abzulehnen ist."[7] Die andauernde Pädagogik durch Zustände-, Milieureform brachte immer mehr Vorschriften, aber kaum Verinnerlichung und personale Entscheidung. Darum musste Pater Kentenich feststellen; "Heute steckt so viel Gebundenheit, und zwar seelenlose Gebundenheit in der Kirche, im Katholizismus. Die kommende Zeit verlangt nach Umorientierung."[8]

2. Die starke Bindung an Formen und durch Vorschriften macht den Menschen unfrei in der Antwort auf den Anruf Gottes. Wenn die Tatsache, dass christlicher Gehorsam disponieren will für die dauernde Verfügbarkeit für Gott, aus dem Blick gerät, wenn die "Seele des Gehorsams", die liebebeseelte Hingabe an Gott, verloren geht, dann wird der Gehorsame zum "Sklaven der Form". Aus lauter Furcht, eine Verordnung zu übertreten, kann er nicht mehr spontan beten, spontan helfen, Rücksicht nehmen oder eine Initiative ergreifen, "Es geht immer um die Beseeltheit der Formen. Wenn sie nicht beseelt sind, sind wir Sklaven der Form, und wir haben den Einfluss Gottes auf uns unmöglich gemacht."[9]

3. Der Gehorsam gegen Gesetze und Formen" allein, die Trennung des Gesetzesgehorsams vom Gehorsam gegen den Gesetzgeber, widerstreitet der Persönlichkeitswürde des Menschen. Wenn der Gesetzgeber (d.i. der liebende Vatergott) nicht mehr hinter dem Gesetz und dem Brauch steht, man sich nicht mehr ihm im Gehorsam an seine Person hingeben kann, muss der Gesetzestreue entweder seelisch verkümmern oder er wird - aus Notwehr - die Bindungslosigkeit suchen.

Die Stetigkeit, die Treue und die Beharrlichkeit haben zwar mit der Form und der Wiederholung zu tun, sie sind auf die Dauer dem freien Menschen aber nur möglich als Antwort auf die Erfahrung der stetigen Treue des Gesetzgebers zu ihm.

Pater Kentenich stellt fest: "Der Mensch ist zu mechanisch in seinem Denken geworden, wo es sich handelt um Gesetze ... Wir sehen ein Gesetz über uns und beugen uns der Gesetzesordnung, vergessen aber, dass dahinter der Gesetzgeber steht, das aber ist Gott. "[10]

Weil zur Überwindung dieser mechanistischen Trennung von Gesetz und Gesetzgeber Vorerfahrungen notwendig sind, legt P. Kentenich großen Wert auf das Vaterprinzip, die Bindung an die Person des Gründers und Gesetzgebers der schönstättischen Gemeinschaften, das er als wesentlichen Teil seiner Sendung betrachtet.

Er selbst gibt nicht eine unpersönliche Ordnung, einfach einen sicheren Weg, den man zum Heil gehen kann, sondern die Satzungen und Gebräuche sollen der Ausdruck seiner Sorge für die Gemeinschaft und der Sicherung seiner Sendung für die Kirche der Zukunft gesehen werden.

Von hier aus verstehen wir seine Kritik an der Vergangenheit; "Das Vaterprinzip war in den alten Orden die eiserne Disziplin. Wenn die Zeit mit ihren Auflösungstendenzen fortschreitet wie bisher, dann hält das nicht."[11] "Und wirklich, wenn nicht an Stelle des alten Vaterprinzips ein persönliches Vaterprinzip tritt, dann ist das ganze Unternehmen - zumal wenn es sich um eine Frauengemeinschaft dreht - eine Mißgeburt. Ohne das kann ein solches Institut nicht existieren, es muss zusammenbrechen oder es verwildert morgen.[12]

4. Die Regierungsweise durch viele Gesetze und Verpflichtungen behandelt die Menschen leicht als Unmündige und führt selten zu freier verantwortungsbewußten Mitarbeit und lässt die Persönlichkeit nicht recht zur Entfaltung kommen.

"Das ist schon wahr, die Kirche, in ihrer Führung, hat im Großen und Ganzen das Kirchenvolk aufgefasst als unmündiges Volk und deswegen Dinge bestimmt bis in alle Einzelheiten. Heute soll auch der Laie, soll das ganze Kirchenvolk aufgefasst werden als eine 'mündige Gemeinschaft'. Deswegen muss auch der Gehorsam ein familienhafter, aber mündiger sein."[13]

Der familienhafte Gehorsam hat als Wesensmoment den
Freimut. Durch die Ermöglichung des Freimutes wird der Originalität des Menschen Entfaltungsraum gegeben. P. Kentenich sagt darum: "Der Gehorsam, wie ich ihn erwarte und verlange, muss immer eines adeligen Menschen würdig sein. Immer Ehrfurcht vor der Originalität und vor der Freiheit haben!"[14]  "Freimut, da geht es immer wieder um die Freiheit. Die Kinder der Familie sind das Kostbarste, das Wertvollste, der Schatz unserer Familie, sind halt unsere Kinder. Und zwar jedes Kind, ob es alt ist oder jung, so aussieht oder so. Das ist immer die Ehrfurcht vor der Originalität der Persönlichkeit, die uns in Fleisch und Blut übergehen muss."[15]

Idealistische Erziehung, d.h. eine Erziehung, die eine vorgefasste Meinung (Idee) hat von Mensch oder Ordensfrau oder Franziskaner usw., ohne die Originalität der Verwirklichung in dieser Person und in diesem Lebenskreis erfassen zu wollen - solches Erfassen gelingt nicht ohne die aktive Mitwirkung, das Mitdenken und das Mitentscheiden des konkreten Menschen erzieht bestenfalls einen Durchschnittsmenschen.

Die satzungsmäßige Sicherung der Geistpflege, die strukturelle Verankerung des Spannungsprinzips (Vielzahl der Kurse, freie und Pflichtgemeinschaft), die Verteidigung des persönlichen Vaterprinzips, die Verpflichtung für den Vorgesetzten, in Liebe die ihm Anvertrauten anzunehmen, sind also die effektive Kritik P. Kentenichs am Formalismus, an der Unfreiheit gegenüber dem Anruf Gottes in der Situation, am Impersonalismus der Gehorsamslehre und Gehorsamspraxis und an der Behandlung der Untergebenen als Unmündige in der  Vergangenheit.


III. Akzentuierung
der Forderung der Gegenwart

Die Gehorsamskrise wird nach der Ansicht P. Kentenichs nicht gelöst durch ein Leben in völliger Bindungslosigkeit, wie es von vielen in Reaktion auf die überzogene Bindungsfreudigkeit erstrebt wird. Vielmehr müssen, je mehr die äußeren Bindungen und Sicherungen in unserer schnell sich verändernden Welt und in der außerordentlichen Spezifizierung und Multiplizierung der apostolischen und caritativen Aufgaben weggenommen werden müssen, innere Bindungen, ja gerade die entscheidende innere Bindung an Gott und an die von Gott geschenkte Sendung gepflegt und vertieft werden. Diese Entwicklung der Ersetzung äußerer Bindungen durch innere Bindungen aus persönlichster, immer wieder erneuerter Entscheidung, sieht P. Kentenich nicht als ein notwendiges Übel, sondern als eine Führung Gottes: "Wenn man einmal von unserm originellen Sein, von unserm originellen Typ her, den wir darstellen sollen, rückschauend die Ordensgeschichte betrachtet, dann werden Sie finden - eine fortschreitende Anregung des Heiligen Geistes: Gemeinschaften werden die äußeren Bindungen lockern, um dadurch anzuregen, innere Bindungen zu stärken."[16]

Diese inneren Bindungen sind, wenn wir das organische Ineinander einmal der klareren Sicht wegen auseinandernehmen, Bindung an Gott und Bindung an das von Gott geschenkte Ideal.

1. Die Seele des Gehorsams kann nur die Gottesliebe sein. Denn ohne die Liebe ist alles Tun wertlos. Darum kann Pater Kentenich sagen; "Unsere Klostermauern müssen heißen: Ständiger inniger Wandel mit Gott! Je geringer die äußeren Klostermauern, um so stärker müssen die inneren Klostermauern sein, um so inniger muss der ständige Liebesverkehr mit Gott sein."[17]

Nicht umsonst steht auf den ältesten Gruppenführerbriefen und auf der Schedula der Satz: "Die Liebe Christi drängt uns!"[18]

2. Der von Gott der Gemeinschaft durch den Gründer geschenkte Auftrag bringt Zielgerichtetheit, Entscheidungssicherheit und Gemeinschaftsbewusstsein als Elemente in den Gehorsam ein. An dem klar geschauten und freudig ergriffenen Ziel hat es in der Vergangenheit oft gefehlt. Ein Blick in die Ordensgeschichte zeigt, dass alle neuen Ordensgemeinschaften keine volle Fruchtbarkeit entfaltet haben, die - im Gegensatz vor allem zu den alten klassischen Orden - kein klares Ordensideal herausgearbeitet, sich daran entzündet und miteinander verbunden haben.  Die Institute müssen davon lernen, wenn sie nicht viel Idealismus verbrauchen wollen, um schließlich nur Trümmer in der Hand zu haben. Weil sie keine pflichtmäßige vita communis perfecta kennen, sind sie stärker als bisherige Orden auf die einigende Kraft eines gemeinsamen Ideals angewiesen."[19]

Das Ineinander beider Bindungen kommt im Oktoberbrief 1948 zur Darstellung: "Die innere Geschlossenheit lässt sich durch gemeinsame äußere Formen, die Ausdruck und Mittel der inneren Gemeinschaft sind, erstreben und gewährleisten. Je weniger äußere Mauern und pflichtmäßig geforderte, wenn auch beseelte Formen vorhanden sind, um so stärker muss die Klausur des Herzens, desto unzerreißbarer die Bindung an das gemeinsame Ideal, an Gott, Gotteswerk und Gemeinschaft sein: Körperschaften, die als fliegende Inseln mitten in der Welt leben, mit ihr verkehren und sich aus apostolischem Geist anpassen müssen, stehen und fallen mit diesem inneren Bindungsorganismus, der trotz aller äußeren Fühlung einen geistigen Schützengraben zieht, trotz aller Überwindung und Durchdringung der Welt und ständiger Verbindung mit ihr innerlich von ihr getrennt, frei und unabhängig macht."[20]

Diese seelische Ergriffenheit von Gott und dem von Gott geschenkten Ideal, die im Gehorsam gerade aus freier Entscheidung und aus Gottesliebe handeln lässt, wird erreicht und gepflegt durch die Bewegungspädagogik, durch die Förderung und Beachtung von Strömungen in der Gemeinschaft.

Die Strömungen, die Erarbeitungen von Kurs-  und anderen Gemeinschaftsidealen, bedeuten dauernde engagierte und mit der Aktion verbundene Reflexion über die Gemeinschaftssendung. Die gläubigen Reflexionen schenken Sendungsbewusstsein und Sendungsergriffenheit. Sie bewirken Entscheidungs- und Durchsetzungsfähigkeit bei gleichzeitiger Eingliederung in die Gemeinschaft und freigewähltem Gehorsam gegen Gottes Anruf. Pater Kentenich formuliert die Notwendigkeit der Erziehung durch Strömungen in einem Gebet: "Eine Familie, die so groß ist, so viele, verzweigte Arbeitsgebiete aufgegriffen und so wenig äußere Bindungen hat, ist für alle Zeit angewiesen auf sorgfältiges Auffangen und zarte Pflege solcher Strömungen. Das drängt uns mit großer Innigkeit die Bitte auf die Lippe: Gottesmutter, sorge mit mütterlicher Güte und Weisheit dafür, dass deine Lieblingsschöpfung und -beschäftigung bis zum Ende der Zeit von geistigen Eltern und Erziehern geleitet wird, die die Kunst verstehen, durch solche Strömungen zu erziehen und eine innere organische Einheit und Geschlossenheit zu fördern, die wirksamer ist, als bloß äußere Abgeschlossenheit und einheitlicher Drill."[21]


IV.
Bemerkungen zu einzelnen Ordensstiftern und Ordensgemeinschaften

Die Orientierung an der Gehorsamstradition und die bewusste Neuakzentuierung der Gehorsamsauffassung und der Gehorsamspraxis bei Pater Kentenich zeigt sich nicht nur in den allgemeinen Bemerkungen über die kirchliche Vergangenheit und über die Anforderungen der sich wandelnden Gegenwart, sondern auch in seinen Aussagen über einzelne Ordensstifter und Ordensgemeinschaften. Alle Hinweise in diesem Zusammenhang sind getragen von einer Haltung der Dankbarkeit und einem Sendungsbewusstsein gegenüber den älteren Gemeinschaften. Dies mag folgender Satz belegen: "Wahr ist, dass alle Systeme uns reichlich beschenkt haben, aber auch von uns durch eine schöpferische Synthese und durch Anpassung an Bedürfnisse und Forderungen der Zeit beschenkt worden sind."[22]

1 . Die
benediktinischen Gemeinschaften sind gekennzeichnet durch die dauernde Bindung an das Kloster und die dort unter der Führung des Abt-Vaters lebende Gemeinschaft. Bei dieser lokalen und personalen Gebundenheit kann man mit relativ wenigen Sicherungen gegen Gehorsamsfehler auskommen. Denn hier sind die Gemeinschaft und der Leiter der Gemeinschaft sofort wirksame Korrekturinstanzen. Fehlentwicklungen können nicht lange unbemerkt bleiben. P. Kentenich urteilt: "Der Benediktiner rechnet von vornherein mit Gehorsamsfehlern; er weiß aber auch, dass durch vita communis perfecta bei gesunder Gemeinschaftsführung ein Gegengewicht geschaffen wird, das größere Schäden verhindert.“[23]

Der benediktinische Gehorsam wird von Pater Kentenich familienhaft genannt. Er erhält damit das gleiche Attribut wie der schönstättische Gehorsam. Sofern freilich die Weltgemeinschaften nur wenige Interne kennen, muss hier die Familienhaftigkeit des Gehorsams eine eigene Pflege erfahren.

2.
Franziskanische Art zeichnet sich durch schlichte Vorsehungsgläubigkeit aus. Die Definition spricht von vorsehungsgläubigem Gehorsam. Jeder katholische Gehorsamsbegriff baut auf diesem Fundament auf."[24]

Der besondere Aspekt dieses Vorsehungsglaubens ist nicht der allgemeine Glaube an Gottes allgegenwärtige Sorge, sondern er liegt vor allem in der Sicht des Oberen, der als Zweitursache anerkannt wird. "Die große Tragik der heutigen Zeit ist der Mangel an Glaubensgeist"[25], sagt Pater Kentenich im Zusammenhang mit dem vorsehungsgläubigen Gehorsam. Zuvor hat er ausgeführt: "Nur der religiöse Mensch sieht hinter den Vorgesetzten Gott. Wer nicht religiös ist, sieht den Vorgesetzten bloß als Menschen, sieht bloß seine Stellung im wirtschaftlichen Getriebe oder in der äußerlichen Ordnung."[26]

Die vorsehungsgläubige Sicht schließt ein, dass die Vorgesetzten Fehler machen, auch sündigen.  Sie weiß aber: Denen, die Gott lieben, gereichen alle Dinge zum Besten - sogar die Fehler anderer![27]

3. Zu den Jesui
ten stellt Pater Kentenich eine Wahlverwandtschaft fest. Er vergleicht den Jesuitenorden mit einer "fliegenden Truppe"[28] . Jeder ist da auf seinem Posten verantwortlich, mitverantwortlich für das Ganze.[29] Darum muss der Gehorsam hier möglichst fehlerlos geleistet werden, damit die "Strategie" auch ohne dauernde Korrektur gesichert ist.[30] Der jesuitische Gehorsam hat so etwas Militärisches an sich. P. Kentenich bezeichnet ihn als "strategisch-mystisch, keineswegs metaphysisch"[31]. Der blinde, willenlose Gehorsam begründet sich vor allem aus der Besonderheit der weltweiten Aufgabe. Dabei wird der Obere jedoch nicht nur als Organisator und Stratege mit natürlichem Auge betrachtet, sondern er ist umgeben vom "Glanz des Vorsehungsglaubens"[32].

Wenn auch in der Lehre des Jesuitenordens die militärische Disziplin im Vordergrund steht, hat im tatsächlichen Vollzug des Gehorsams die personale Bindung auch eine große Bedeutung. An der Gestalt Franz Xavers zeigt dies Pater Kentenich auf: "Trotzdem wurde die junge Gemeinschaft nicht nur durch die Disziplin des bekannten jesuitischen Gehorsams, sondern auch durch einen inbrünstig bejahten Bindungsorganismus zusammengehalten. Nur so versteht man, wie ein Franz Xaverius in seiner indischen isolierten Stellung und in seinem äußeren Abgeschnittensein von seinen europäischen Mitbrüdern mit einer großen Innigkeit und Selbstverständlichkeit sich das biblische Schwurwort aneignet, das ein Ausdruck tiefer Familienergriffenheit ist: „Verdorren soll, o Gott, hier meine Rechte, wenn ich meines Ordens nicht gedächte."[33]

Trotz der Ähnlichkeit der Situation ("fliegende Truppe") und der starken Herausstellung der Eigen- und Mitverantwortlichkeit im Gehorsam beim Jesuitenorden und bei den schönstättischen Gemeinschaften konstatiert Pater Kentenich einen wichtigen Unterschied, durch den die "moderne Prägung"[34] der Gehorsamsauffassung bei letzteren sich anzeigt. Der Unterschied liegt in der Zuordnung des Freimutes zum Gehorsam. Im jesuitischen Gehorsam ist nach der Auffassung von P. Kentenich der Freimut nur ein Akzidenz, bei den schönstättischen Gemeinschaften gehört der Freimut zum Wesen des Gehorsams.

Am 17.11.1965 sagte Pater Kentenich in Rom: "Nach unseren Begriffen gehört zum Wesen des Gehorsams - nicht accidentaliter - ein Stück Freimut ... Bei den Jesuiten ist Freimut akzidentell." Diese Zuordnung zum Wesen ist also typisch für den Gehorsamsbegriff P. Kentenichs: "Zum Wesen des familienhaften Gehorsams gehört Freimut. Ich sage absichtlich: zum Wesen. - Der Jesuit kennt auch Freimut
... Aber, wenn ich einen Verlegenheitsausdruck suchen will, dann muss ich sagen, das ist mehr ein akzidenteller Freimutakt. Ehe der Jesuit 'aber und aber' sagt, dauert das länger, als wenn wir 'aber und aber' sagen."[35]

4. Fran
z von Sales hat besonders auf die Verbindung von Gehorsam und Liebe aufmerksam gemacht: "Salesianische Art macht besonderen Anspruch auf die Liebebeseeltheit des Gehorsams."[36] - "Vor allem und in allem kommt es ihm auf die Grundhaltung der Liebe an. Darum legt er viel Gewicht auf die bedingungslose grundsätzliche liebebeseelte Entscheidung für Gott. Um diese Kehr ganz zu finden, leitet er seine geistlichen Söhne und Töchter möglichst früh zu einer Weihe an, die diese vollkommene Hinordnung aller Seelenkräfte auf Gott feierlich zum Ausdruck bringt ... Nicht so sehr Übungs-, sondern vielmehr Gesinnungsfrömmigkeit ist sein Ideal.“[37]

Nach dem Urteil von Pater Kentenich ist Franz von Sales es nicht gelungen, diesen Grundgedanken in die Struktur und die Satzung seiner Gemeinschaft zu übertragen. Die Ursache sei die übergroße Ehrfurcht vor der Tradition gewesen:

"Franz von Sales hat wegen seiner originellen Einstellung zum Leben, wegen seines starken Glaubens an das Gute im Menschen eigentlich eine Leitidee, die er aus Bescheidenheit nicht durchgeführt hat. Es gibt Männergenossenschaften, sagte er, die die alten Formen gesprengt haben. Sie haben die Bindung nach unten gelockert, um mehr für Gott arbeiten zu können. Sollte dies nicht auch - so fragte er - für die Frauen möglich sein, und so wollte er eine Ordensfrauengemeinschaft gründen, die die Klausur nicht im alten Sinne hatte, eine neue Gemeinschaft also, die eine gewisse Freiheit gegenüber den alten Bindungen hätte, um. sich mehr für Gott betätigen und bewegen zu können. Aber er hat es nicht fertig gebracht - aus Ehrfurcht.

So ist aus seinem Orden ein Orden alten Stils geworden. Aber
Vinzenz von Paul hat den Gedanken aufgegriffen, er hat den Mut und auch das Geschick gehabt, die alten Ordensformen zu sprengen."[38]

Bei seiner Kritik an den alten Orden und Gemeinschaften geht es Pater Kentenich keineswegs darum, durch die Herabsetzung der anderen seine eigene Einstellung hochzuheben. Vielmehr will er die Grenzen der traditionellen Theorie und Praxis aufzeigen, damit die Gegengabe für das Partizipieren an der Tradition, nämlich die Neuakzentuierung durch das Spannungselement gegenüber den neuen schönstättischen Gemeinschaften auf dieser Seite sendungsbewusst gelebt, auf jener Seite nach Prüfung entgegengenommen wird.


V.
Die Kritik an heutiger Einstellung zum Gehorsam

Seinen konkreten Gegnern, die Unverständnis für die schönstättische Art der Pflege des Gehorsams bekunden, macht Pater Kentenich den harten Vorwurf, sie könnten nicht metaphysisch denken und urteilen. Ziemlich objektiv in der Formulierung, beinhalten folgende Sätze doch einen sehr schwerwiegenden Vorwurf: "Normalerweise genügt heute nicht gesunder Sinn und pädagogischer Instinkt. Auch Allgemeinbildung reicht nicht aus ... Wenn zu beiden der Metaphysiker hinzukommt, ist die Ausrüstung ausreichend."[39]

Der Metaphysiker muss aber die Gesetze des Zusammenspiels von Erstursache und Zweitursachen, von Gott und Transparent Gottes kennen.

Obwohl in der Theologie Ansätze dafür gegeben sind, vermag man es nicht, diese auf konkrete Menschen anzuwenden.“Unter dem Einfluss der liturgischen Bewegung begeistert man sich für altchristliche Lebensweisheit, wie sie im Satze wiederklingt: vidisti fratrem tuum, vidisti Christum, kann aber praktisch nicht viel damit anfangen, weil das Gesetz der gläubigen Durchsichtigmachung des begnadeten Menschen, sowie alles Geschöpflichen und Geschlechtlichen zu wenig bekannt ist und gelebt wird."[40]

Das metaphysische Denken sieht im Vorgesetzten Gott selbst dargestellt, kann ihm daher blinden, willenlosen Gehorsam leisten, der eigentlich nur Gott geleistet werden kann. Verschiedentlich betont dies Pater Kentenich: "Christlicher Gehorsam beugt sich nicht dem Menschen, sondern Gott im Menschen."[41] Den Werktagsheiligen charakterisiert er: "Im Lichte des Glaubens weiß er als Untergebener, dass Gott durch seine Vorgesetzten zu ihm spricht, ihn leiten und heiligen will."[42] "Alles Theoretisieren über den Gehorsam hat nicht viel Sinn, wenn nicht ein beherztes Ja des Untergebenen erfolgt zum Einbruch der göttlichen Autorität in sein Alltagsleben, wie der Stellvertreter - das Transparent Gottes - sie darstellt."[43]

"Persönlich mag der Obere fehlen und sündigen. Seine Weisungen sind zuverlässige Dolmetscher des göttlichen Willens, der den Untergebenen und das Werk zu bestimmten Zielen mit göttlicher Sicherheit führt."[44]  Die Originalität des katholischen Gehorsams "liegt ja in der Auffassung, dass der rechtmäßige Obere die Toga Gottes um seine Schultern trägt, dass er Transparent Gottes
ist"[45].

"Christlicher Gehorsam kennt nur willenlose Werkzeuge in der Hand Gottes, der seinen Willen durch Menschen kundtut oder absolute Abhängigkeit von einem Menschen, der Gottes Stellvertreter, sein Transparent ist und seine Wünsche übermittelt."[46]

Wer so im Vorgesetzten gläubig Gott sich nahe weiß - trotz der Fehlerhaftigkeit desselben -, für den ist Gehorsam Hingabe an Gott. "Der Gehorsam ist Ausdruck des Hängens am Vater Gott."[47]



 

[1] vgl. J. Kentenich, Oktoberwache 1950, 346; 3. Kentenich, Oktoberbrief 1948, 30

 

 

[2] J. Kentenich, Studie 1949, 49

 

 

[3] J. Kentenich, Unser Gehorsa (Aphorismensammlung ), 1 40f

 

 

[4] vgl. Oktoberbrief 1943, 25

 

 

[5] Studie 1949, 15

 

 

[6] ebd.

 

 

[7] Unser Gehorsam, 14

 

 

[8] ebd.

 

 

[9] ebd. 148

 

 

[10] ebd. 13

 

 

[11] J. Kentenich, Chileterziat, 53

 

 

[12] ebd. 69

 

 

[13] Unser Gehorsam. 137

 

 

[14] ebd. 139

 

 

[15] ebd. 138

 

 

[16] J. Kentenich, Exerzitienkurs über die Gotteskindschaft 1939, Bd. I, 122

 

 

[17] ebd. 124

 

 

[18]  2 Kor 5,14

 

 

[19] Studie 1949, 36f

 

 

[20] Oktoberbrief 1948, 17

 

 

[21]  J. Kentenich, Sponsagedanken, 10f

 

 

[22] Studie 1949, 51

 

 

[23] ebd. 50

 

 

[24] ebd. 51

 

 

[25]  Gehorsam, 77

 

 

[26]  ebd. 76

 

 

[27]  vgl. ebd. 77

 

 

[28]  vgl. Studie 1949, 34

 

 

[29]  in Rom am 17. 11. 1965

 

 

[30]  vgl. Studie 1949, 50

 

 

[31]  in Rom am 17. 11. 1965

 

 

[32] Studie 1949, 8

 

 

[33] Oktoberbrief 1948, 24f

 

 

[34]  Studie 1949, 8

 

 

[35] Unser Gehorsam, 153f

 

 

[36] Studie 1949, 51

 

 

[37]  ebd. 60

 

 

[38] Exerzitienkurs über die Gotteskindschaft. Bd. I, 122f

 

 

[39] Studie 1949, 4

 

 

[40] ebd. 9

 

 

[41] ebd.

 

 

[42] M.A. Nailis, Werktagsheiligkeit, Limburg 1964, 201

 

 

[43] Studie 1949, 24

 

 

[44]  ebd. 31f

 

 

[45] ebd. 31

 

 

[46] ebd. 10

 

 

[47] in Rom am 18.11.1965

 

 

 

 

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