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JoBr52-05_040-049.html
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JoBr52-05_040-049 Überlegungen zur Substanz des Grund und Baugesetzes II

Bindungen - Geistpflege - Spannungsgesetz


Das Maß äußerer Bindungen

Sind sie zu stark, so bringen sie die Gefahr der Formversklavung mit sich. Sie werden dann leicht geisttötend und lebenserdrosselnd. Das will die schroffe Formulierung besagen: Die Form frißt den Geist auf. Das Gebilde, das so entsteht, der Mensch, der der Form zum Opfer gefallen ist, ähnelt dem Pharisäer. Pharisäertum darf offenbar nicht nur als eine Zeiterscheinung zu Lebzeiten des Heilandes aufgefaßt werden; es muß eine immanente Gefahr für Individuum und Gesellschaft auch innerhalb der Kirche sein - sonst hätte der Heiland schwerlich so nachdrücklich die Geißel darüber ge- /

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schwungen. Manches Mal erweckt es den Anschein, als hätten er und Sankt Paulus, in den Fußspuren des Herrn einherschreitend, seinen Lebenskampf nach besagter Richtung umsonst gekämpft, so viel Formversklavung und Pharisäismus gibt es heute noch vielerorts! Deshalb verlangt der erste Teil unseres universellen Prinzips »Bindung nur soweit als notwendig«.

Der zweite Teil hebt hervor: »Bindung aber auch soweit als notwendig«. Dafür sagen wir in unserem Zusammenhang: Die Bindung nach unten darf nicht zu schwach sein, noch viel weniger dürfen wir an vollendete Bindungslosigkeit denken. Sie läuft ständig Gefahr, über Nacht zur Zügellosigkeit zu werden. Es mag nicht leicht sein, im Einzelfalle hier das rechte Maß zu finden.

Das Maß der Geistpflege

Dort, wo unser Prinzip am reinrassigsten angewandt wird - wie bei unseren Ver- [[10]] bänden, vor allem beim Institut der Marienschwestern -, sind diese Bindungen so abgewogen, daß der Verband ohne außergewöhnlich starke, organisatorisch gesicherte Geistpflege auf die Dauer nicht existenzfähig und fruchtbar ist. So ernst wird hier das Ideal des geistbeseelten Menschen gesehen und erstrebt. Häufig haben wir früher das Wort geprägt: Wir wollen so durchorganisiert sein, daß wir auf die Dauer ohne Geist nicht existieren können: Entweder existieren wir -, und dann kann es nur geschehen, mit Geist; oder aber wir haben den Geist verloren, und dann haben wir auch das Recht auf Existenz eingebüßt und können und wollen zugrunde gehen. Dabei sind wir keine Utopisten. Der Bindungen sind so viele /

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und so starke, daß wir im Falle des Niederganges von Geist und Leben die Familie längere Zeit über Wasser halten können, um ihr so Gelegenheit zu geben, aus der Asche sich gleichsam zu erneuern oder aus den halben Ruinen wieder ein vollendetes Gebäude erstehen zu lassen.

Aber auch die anderen Gliederungen der Familie orientieren sich in ihrer Art am Maßhalten in den äußeren Bindungen. Das ist allerdings nur möglich, wenn andererseits die Geistpflege ausnehmend hochragend, dauernd und wenigstens einigermaßen gesichert ist. Darauf weist unser Grundprinzip hin: »Geistpflege soweit als möglich«.

Der Rückblick in die Familiengeschichte fördert in vorzüglicher Weise das Verständnis für innere Zusammenhänge der in ihr wirksamen Gesetzmäßigkeiten und Kräfte sowie für die ungemein starke Zielstrebigkeit, die alle Gliederungen bewiesen haben.

Ein Ausblick in die Zukunft unter dem Gesichtspunkt des Endstadiums der Entwicklung in Welt und Kirche klärt in lichtvoller Weise die Art, wie die Familie ihrer Aufgabe treu geblieben ist - ob diese darin gesehen wird, »den neuen Menschen in der neuen Gemeinschaff« zu schaffen oder eine »vollkommene Gemeinschaff« ins Leben zu rufen »aufgrund vollkommener Persönlichkeiten«, die getragen werden von der »elementaren Grundkraft der Liebe«, oder ob wir sprechen vom »universellen Neuaufbruch der Kirche im Sinne des neuen Ufers«. Alle drei Formulierungen besagen dasselbe. Sie heben nur verschiedene Seiten des gleichen Lebensvorganges hervor.

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Die so vermittelte Schau erhält die volle Abrundung, wenn gleichzeitig der ungemein stark sprudelnde Lebens- und Gnadenstrom einkalkuliert wird, der vom Heiligtum durch alle Kanäle der Familie in unwiderstehlicher Weise hindurch gerauscht ist und auch jetzt noch nicht zur Ruhe kommt. Wenn nicht alles täuscht, ist er auf einem unaufhaltsamen Siegeszug begriffen. Das gilt sowohl vom Inland als auch vom Ausland. Die Schwierigkeiten im Inland sind einem Stauwerk zu vergleichen, das die Wassermassen so lange zurückhält, bis ihre Kraft alle Hindernisse durchbricht und sich segenbringend in weitesten Landen auswirkt. Im Ausland baut die Gottesmutter sich offensichtlich eine neue Welt. Es mag bald die Zeit kommen, wo In- und Ausland enger miteinander in Verbindung treten, sich gegenseitig ergänzen und Schulter an Schulter als Werkzeug unserer Dreimal Wunderbaren Mutter und Königin von Schönstatt den gemeinsamen Weltfeind bekämpfen und ihn zum Wohle von Welt und Kirche, von Volk und Vaterland überwinden helfen.

Je schwächer äußere Bindungen sind, desto mehr verlangen sie nach sorgfältiger Geistpflege. Sonst kann eine neuzeitlich orientierte Organisation mit unseren großen Zielen ihre Aufgabe nicht lösen. Deshalb nimmt bei uns Erziehung zu Geist und Leben einen überaus breiten Raum ein. Wir haben bislang so viel Gewicht darauf gelegt, daß man uns nicht ganz mit Unrecht den Vorwurf gemacht hat, wir hätten das Apostolat darob vernachlässigt. Es mag an der Zeit sein, sich bewußt zu werden, daß das Apostolat gleicherweise beides ist: Ausdruck einer hochgradigen Liebe und Mittel zu ihrer Vertiefung.

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Das Spannungsgesetz

Wir kennen aber noch ein zweites Mittel, [[11]] das unsere Familie bisher organisatorisch und lebensmäßig tragfähig erhalten hat. Es ist nebst sorgfältigster Geistpflege das »Spannungsgesetz«. Rudolf macht in seinem Brief vom 28. April an mehreren Stellen darauf aufmerksam.

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Ich sehe ab von den einzelnen Punkten, die in den Zitaten zum Ausdruck kommen, und nehme jetzt noch keine Stellung dazu, möchte nur hervorgehoben wissen, was darin das Spannungsprinzip in sich und seine Bedeutung für die Fruchtbarkeit der Familie berührt. Rudolf hat die Not, der eine Pol »Pallotti« würde so ausschließlich gesehen und betont, daß der andere »Schönstatt« dabei vollkommen übersehen wird. Er glaubt sich mit seiner Gefolgschaft berufen, Schönstatt mit seinem Mariengeheimnis und seiner ganzen Originalität zu bejahen, mit ganzer Seele zu umfangen und in den Raum der Familie[4] hineinzukünden. Weil unsere Verbände insgesamt mit den Marienschwestern reinrassig aus dem Schönstattboden herausgewachsen sind, bringen sie dafür die rechte Eignung und Sendung mit.

Daß Pallottiner, die fast ein Jahrhundert aus anderer Quelle geschöpft und sich deswegen in ihrer Art eigenständig entwickelt haben, von heute auf morgen nicht das rechte Verhältnis zu dem entgegengesetzten Pol finden, darf nicht wundernehmen. Alle Wandlung braucht Zeit, besonders wenn es sich um eingewurzelte /

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Ideen und Lebensgewohnheiten handelt. Wie Schönstatt den Weg zu Pallotti vornehmlich seit seiner Seligsprechung in vorbildlicher Weise gefunden hat[5], so werden die Pallottiner auch den Weg zu Schönstatt finden[6]. [[12]] Die augenblicklichen Auseinandersetzungen werden sie veranlassen, dazu erneut Stellung zu nehmen und tiefer in alles hineinzuwachsen, was Schönstatt heißt.

Hebt man aber das Spannungsverhältnis zwischen beiden Richtungen auf, gibt man ihm in dem Generalstatut keine juristische Verklammerung, so wird die Geschichte später von einem schweren Fehler gegen das Spannungsgesetz sprechen dürfen, das ansonsten bislang alle Gliederungen, Richtungen und Strömungen in die rechten schöpferischen Beziehungen zueinander gebracht hat.

Ob Sie hier nicht stutzig werden und einen unvereinbaren Gegensatz zur obigen Tendenz finden, die auf eine Entmachtung der Verbandspriester hinarbeitet? Wenn Sie das Wort »sinngemäß« richtig verstehen, finden Sie sehr schnell die richtige Antwort. Wie Sie später bei Darstellung der einzelnen Leitbilder der Familie bestätigt sehen, handelt es sich nirgendwo um eine vollkommene Entmachtung, also auch nicht bei den Verbandspriestern. Es dreht sich nur darum, das gegenseitige Spannungsverhältnis so zu fassen und einzubauen, daß es nach allen Richtungen der gottgeprägten Seinsordnung entspricht. Darum haben wir bisher immer gerungen; so muß es auch in Zukunft bleiben.

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Durchforschen Sie unsere Geschichte von Anfang bis zum heutigen Tag! Ich habe bei meiner organisatorischen Tätigkeit, die sich nach dem »Gesetz der geöffneten Tür[7] « immer an der Pädagogik Gottes orientiert hat, wohl kaum auf ein Gesetz soviel Gewicht gelegt wie auf dieses Spannungsprinzip. Wie es die Weltregierung Gottes bestimmt, so durchdringt es auch unser Familienleben und unsere Familienorganisation. Lesen Sie die Chronik unserer alten Marianischen Kongregation nach[8]! Damals schon wurden unsere Sektionen und Gruppen nach diesem Prinzip aufgebaut. Unsere augenblicklich weitverzweigte und umfassende Organisation hat sich ohne viele äußere Mittel unter anderem vornehmlich deswegen getragen, weil dieses Prinzip das ganze Werk beherrscht.

Der oberflächliche Beobachter wird das kaum bemerken. Es mag auch künftig nicht jedermanns Sache sein, reflexiv sich darüber Klarheit zu verschaffen. Kommende Führer müssen aber um tiefere Einsicht ringen; sonst sind sie in Gefahr, durch ungeschickte Maßnahmen scheinbar nebensächliche Dinge zu übersehen und zu vernachlässigen, vielleicht sogar Punkte abzubauen, die im Lichte des besagten Prinzips von außergewöhnlicher organisatorischer Bedeutung sind. Das gilt besonders für das jeweilige zeitbedingte Haupt der Gesamt- /

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familie[9]. Es muß ein Meister in der Handhabung dieses Gesetzes sein; sonst regiert es die Familie in den Abgrund hinein. Wo aber ist der Mann, dem von Gott alle Eigenschaften geschenkt worden sind, um ein universelles Werk in solcher Weise fruchtbar zu lenken und zu leiten? Es muß ein Säkularmensch sein. Damit darf aber eine Organisation nicht rechnen. Darum muß sie verlangen, daß ihr Haupt durch Männer seines Rates das ergänzen läßt, was ihm selber mangelt.

Auch hier ist wiederum wie oben als Antwort auf die gegenwärtigen Schwierigkeiten eine erneute wissenschaftliche Schulung am Platze. Es geht hauptsächlich um die Soziologie unserer Familie unter dem angedeuteten Gesichtspunkte. Es ist zwar nicht notwendig, daß das Generalstatut die organisatorische Polarität deutlich zum Ausdruck bringt. Es genügt, wenn nichts festgelegt wird, was sie im Kern unmöglich macht. Die Satzungen verlangen normalerweise als Ergänzung einen Kommentar. Darin mag die Rückführung einzelner Bestimmungen auf dieses Gesetz und dessen Darstellung einen breiten Raum einnehmen.

Wer klassisches Schulungsmaterial haben will, darf die Organisation der Marienschwestern durchforschen. Darin hat das Spannungsgesetz bis in die kleinsten Einrichtungen eine vorbildliche Ausprägung gefunden. [[13]] Außenstehende mögen verwundert fragen, wie es möglich geworden, eine Frauengemeinschaft von 1800 Mitgliedern ohne Gelübde so geschlossen zusammenzuhalten, wie das bisher geschehen ist. Der Fachmann weiß /

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darauf eine zuverlässige Antwort zu geben. Nicht an letzter Stelle weist er auf die praktische Handhabe des Spannungsgesetzes hin. Wir tun alle gut daran, bei Mitberatung über das Generalstatut die Augen offen zu halten, damit wir uns nicht selber den Ast absägen, auf dem wir bisher gesessen haben.

Nun habe ich Ihnen so viele Gedanken geschrieben, daß Sie fast vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen. Ich stehe aber immer noch beim ersten Punkt, bei der Auseinandersetzung mit der Substanz unseres metaphysischen Bau- und Grundgesetzes; und Sie drängen wahrscheinlich zum zweiten und dritten Punkt, zur geschichtlichen Entwicklung und praktischen Ausprägung des Grundgesetzes in den verschiedenen Leitbildern der Familie. Besonders letzteres mag es Ihnen angetan haben. Nehmen Sie es mir jedoch nicht übel, wenn ich Sie bitte, mich mit der Substanz noch ein wenig auseinandersetzen zu dürfen. Ihre Erfassung ist von ausschlaggebender Bedeutung. Sie bereitet den Boden für das Verständnis der anstehenden Lebensvorgänge und Ideen vor. Sie dürfen füglich erwarten, daß der zweite und dritte Teil kürzer ausfällt. Ist die grundsätzliche Einstellung gesichert, so fällt die Anwendung auf Einzelfälle nicht mehr schwer. Das mögen Sie vor Augen halten.

Für Fernstehende mag unser Grundgesetz recht kompliziert scheinen. Uns ist es in Fleisch und Blut übergegangen. Das gilt wenigstens für alle, die mit mir in seiner Erfassung, Verkündigung und Verwirklichung eine urpersönliche Sendung erblicken, die ein Gespür haben für Zeitlage und die Geschichte religiöser Gemeinschaften und die es verstehen, nach dem »Gesetz der geöff- /

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neten Tür« Gottes Gedanken und Wünsche aus beiden Büchern herauszulesen[10]: die aber auch gleichzeitig einen ausgeprägten Sinn für lebensnahe Psychologie, Philosophie und Theologie haben.

Aus: Joseph Kentenich, Das Lebensgeheimnis Schönstatts. I. Teil: Geist und Form, Vallendar-Schönstatt 1971, 242 S. – www.Patris-Verlag.de


[4] Gemeint ist die Schönstattfamilie.

 

[5] Vgl. u.a. die Oktoberwoche 1949 (nicht ediert) und den "Oktoberbrief 1949 an die Schönstattfamilie", Vallendar 1970.

 

[6] Es war immer der Wunsch P. Kentenichs, den Pallottinern die Stelle eines "bewegenden und zentralen Teiles" der Schönstattbewegung zu sichern. Dieser Wunsch hat sich nicht erfüllt.

 

[7] Diesen Begriff hat P. Kentenich aus 1 Kor 16, 9 und 2 Kor 2,12 entwickelt: Gott zeigt durch das Öffnen einer »Türe« seine Pläne, und der Mensch sieht seine Aufgabe darin, diese Pläne zu erkennen und zu verwirklichen. Vgl. F. Lüttgen, Praktischer Vorsehungsglaube bei Pater Joseph Kentenich, in : Regnum 6. Jg. (1971), 61 f.

 

[8] Auszüge sind veröffentlicht in: F. Kastner, Unter dem Schutze Mariens, Paderborn ³1940, 59f., 165-168, 181-198 (in späterer Überarbeitung), 210-213, 261 f.

 

[9] P. Kentenich hat später entschieden, daß es kein "jeweiliges zeitbedingtes Haupt der Gesamtfamilie" geben solle.

 

[10] Zeitlage und Geschichte, die "beiden Bücher", sind zwei Erkenntnisquellen des Vorsehungsglaubens. Vgl. J. Kentenich, Texte zum Vorsehungsglauben, Vallendar 1970.

 

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