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JoBr52-05_175-183
Der 31 Mai 1949 II

Die Einweihung des Heiligtums von Bellavista (Fortsetzung)

 

Die Einweihung fand unter den mißlichsten Verhältnissen, vor dem Hochamt, statt. Der Weihevortrag knüpfte an den Regenbogen an, der sich am Tage vorher /

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plötzlich am Himmel abzeichnete, und ließ sich von ihm, dem Zeichen des Bundes, das Thema bestimmen: Liebesbündnis Gottes mit seiner Kreatur in der gesamten Heilsgeschichte, in der Schönstatt- und in der Chile-Geschichte. Die Einleitung hob hervor:

»Wohl selten ist die Einweihung eines MTA-Heiligtums mit so viel Schwierigkeiten verbunden gewesen wie dieses Mal. Wenn das alte Gesetz - Maßstab der Schwierigkeiten ist Maßstab für die Gnade - stimmt, dann dürfen wir mit einem außergewöhnlichen, mit einem überreichen Gnadensegen rechnen. Nachdem wir Chilenen die Schwierigkeiten eines solchen Unwetters überwunden haben, dürfte es künftig nichts mehr geben, was uns zusammenbrechen läßt.

Und welcher Art mag der Segen wohl sein, den wir zu erwarten haben? Darauf weist der Regenbogen hin, der gestern, während wir unser MTA-Bild segneten, plötzlich den Scheitel unseres Heiligtums berührte. Damit weiten und erweitern sich auf einmal die Mauern dieses kleinen Heiligtums, und die ganze, große Heilsgeschichte von Anfang der Zeiten an steht vor unserem geistigen Auge. Im Mittelpunkt sehen wir das Liebesbündnis des ewigen Gottes mir seiner zerbrechlichen Kreatur. Schon der Katechismus hat uns gelehrt: Der Regenbogen ist das Zeichen des Bundes zwischen Gott und Noe[6].

Gleich am Anfang der Weltgeschichte hatte Gott bereits mit Adam und Eva einen ähnlichen Bund geschlossen. Es handelte sich um ein gegenseiriges Bündnis, das nicht nur den einen oder anderen Partner, sondern beide Seiten gleichzeitig und gleicherweise anging. Gott versprach in Adam und Eva seinem Volke, ja der ganzen Welt eine endlose Seligkeit, wenn die Stammeltern die Bedingungen erfüllten, die er ihnen setzte. Und was verlangt der Herr des Himmels und /

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der Erde? Er ist nicht zufrieden mit der Erfüllung des Naturgesetzes. Er erläßt gleichzeitig ein positives Gebot: 'Von allen Bäumen dürft ihr essen, bloß von einem nicht' (Gn 2,16 f). Damit berühren wir das große Gesetz, das die ganze Bündnisgeschichte durchzieht: Will Gott mit dem Geschöpfe einen Bund schließen, so verlangt er immer ein Opfer als vollwertiges Symbol für die Ganzhingabe des Geschöpfes an den Schöpfer.

Wir wissen, wie schnell Adam und Eva bündnisbrüchig geworden sind. Gott dagegen bleibt der ewig Bündnistreue. Nachdem die Menschheit sich von ihm entfernt hatte, erinnert er sich an den einmal geschlossenen Bund und erwählt Noe, um mit ihm und seinen Nachkommen das Bündnis zu erneuern. Er tat es jedoch nicht ohne ernste Forderung an die Opferfreudigkeit des Bündnispartners.«

Dann weist der Vortrag nach, daß Noe ähnlich wie Adam bündnisbrüchig wurde, weil er die gestellte Bedingung nicht erfüllte. Die folgende Bundesgeschichte - mit Abraham und Moses im Mittelpunkt - hebt dieselbe Gesetzmäßigkeit hervor: Gott schließt keinen Bund, ohne gleichzeitig als Ausdruck der Ganzhingabe des Bündnispartners ein entsprechendes Opfer zu verlangen.

Der zweite Teil des Vortrages kreist um die Bündnisgeschichte Schönstatts, angefangen von 1914 über 1944 bis 1949. Er spricht von den Bündnispartnern und Bündnispflichten - Ganzhingabe in Form der Blankovollmacht und Inscriptio -, er erörtert die Art, wie beide Teile ihren Pflichten gerecht [[68]] geworden sind, und hebt die greifbaren Wirkungen der gegenseitigen Bündnistreue hervor.

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Der dritte Teil beschäftigt sich mit der Besitzergreifung des neuen Heiligtums durch die Mater Ter Admirabilis:

»Und jetzt ist der große Augenblick gekommen, da die Gottesmutter dasselbe Bündnis mit diesem unscheinbaren Orte schließen will. Sie hat chilenische Erde erwählt, hat Neu-Schönstatt ausersehen, um von hier aus einen ähnlichen Siegeszug anzutreten, wie sie es von Alt-Schönstatt aus getan hat. Freilich verlangt sie dafür die Erfüllung derselben Bedingungen. Sie will die große Erzieherin des chilenischen Volkes werden. Das Ideal, zu dem sie hinstrebt, sehen Sie oben auf dem Berge: das Wahrzeichen von Santiago, die hoch auf dem Berge thronende und ganz Santiago beherrschende Statue der Immakulata. Und hier unten im Tale steht die Erziehungswerkstätte, wo die große Volks- und Völkererzieherin getreue Abbilder der Immakulata formen will, wo das Göttliche ins Menschliehe, das Jenseitige ins Diesseitige hineinbricht, wo die Gnadenvolle, die Macht über das Herz ihres Sohnes hat, Wunder der seelischen Wandlung, Beheimatung und Fruchtbarkeit für Volk und Vaterland wirken will. Soll Bellavista eine möglichst vollkommene Nachahmung und Vervielfältigung von Alt-Schönstatt werden, so verlangt das Heiligtum als Ergänzung ein Exerzitien- und Anbetungshaus.«

Seitdem sind drei Jahre verflossen. Die hiesige Schönstattgeschichte ist bereits so reichhaltig geworden, die Gottesmutter hat in ihr so offensichtlich gewirkt, daß die inzwischen entstandene und ständig wachsende Bewegung sich im wesentlichen selbst tragen kann. Wie oft ist mir bei meinen Besuchen gesagt worden: »Wir brauchen Alt-Schönstatt nicht mehr, um die Göttlichkeit des Werkes zu beweisen. Wir erleben das hier Tag für Tag unmittelbar. Wir greifen es förmlich mit Händen. Ehe wir das Heiligtum hatten, standen wir der Aufgabe, Schönstatt zu künden, vollkommen hilflos gegenüber. /

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Trotz besten Willens kamen wir auf keinen grünen Zweig.«

Seit dem 20. Mai 1949 ist alles anders geworden. Die Gottesmutter hat selber die Zügel in die Hand genommen. Ein neues Schönstatt ist am Werden, ein Wunderland, eine Sonnenau,

»wo unsere Dreimal Wunderbare Frau
im Kreise ihrer Lieblingskinder thront
und alle Liebesgaben treulich lohnt
mit Offenbarung ihrer Herrlichkeit
und endlos, endlos reicher Fruchtbarkeit:
Es ist mein Heimatland, mein Schönstattland![7]

Wir haben eine Akademiker-Bewegung, größer, stärker und kraftvoller als in Alt-Schönstatt, und daraus wachsen in einer Weise Priesterberufe und führende Laien in Staat und Kirche hervor, wie wir es niemals erwartet hätten.

Gestern antwortete ein junger Akademiker, der erstmals herkam, auf die Frage, was ihm hier gefalle, was ihn anziehe: »Die tiefe, erquickende Gemeinschaft der Kommilitonen, die ich sonst nirgendwo gefunden, und die eigenartige übernatürliche Atmosphäre, die den ganzen Ort durchweht.« Erinnern Sie sich ferner an das Zeugnis, das der Sekretär des Nuntius uns hier am 22. Mai ausstellte: »Bis vor kurzem haben Sie hier keine Bedeutung gehabt, jetzt aber sind Sie daran, in Chile eine Großmacht zu werden.« Bei derselben Gelegenheit erklärte der Nuntius selbst: »Was ich hier antreffe, ist ein regelrechtes Komplott. Ich bin hergekommen, um das Kolleg der Schwestern zu besuchen, und was finde /

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ich? Eine Art 'Welttheater' der Katholischen Universität. Es fehlt nichts daran: da sind Schwestern, da sind Aka- [[69]] demiker, da sind Patres, und dazu im Hintergrund sogar eine große Bühne: die 'Cordillere'.« Um das Wort zu verstehen, muß man wissen, daß das »Welttheater« eine freie Vereinigung von Akademikern ist, die klassische Theaterstücke aufführen. Sie hat einen ausgezeichneten Ruf im ganzen Land.

Bei meinem ersten Besuch[8] hielt man mir entgegen: »Wir kommen nicht voran, weil wir keine genialen Köpfe unter uns haben, die mit den Größen anderer Orden konkurrieren können. Solange sie uns nicht von drüben geschickt werden, mühen wir uns umsonst; alles hat keinen Zweck. Wir kommen keinen Schritt vorwärts.« Heute denkt und handelt man anders. Heute ist man der Überzeugung: Nicht Gelehrte hat sich die Gottesmutter als Werkzeuge erwählt, sondern übernatürlich eingestellte Priester und Laien, die nichts anderes künden als die oben dargestellten originellen Grundelemente der Familie: das Schönstatt-Bündnis, den Schönstatt-Ort und den Schönstatt-Schatz. Die Träger der Bewegung hier im Lande tun es reinrassig, ohne Abstriche; sie tun es dauernd, ohne Unterbrechung; sie tun es mit ständig wachsendem Erfolg.

Organisation ist einstweilen wie ursprünglich in Alt-Schönstatt vollständig Nebensache. Sie existiert noch nicht. Um so stärker, hinreißender und offensichtlicher ist der Lebensstrom. Man begnügt sich auch nicht damit, bloß »im Geiste Schönstatts« zu arbeiten, genauso wenig, wie man im Anfang in Deutschland damit zu- /

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frieden war. In alleweg gilt die Parole: »Aut Caesar aut nihil[9]« - Entweder ganz oder gar nichts! »Sint, ut sunt, aut non sint[10]

Unwillkürlich denken wir wieder an Sallust's Wort: »Omne regnum iisdem mediis continetur, quibus conditum est«, oder an den aufgestellten ersten Hauptlehrsatz: »Verbinde so Form und Geist miteinander, daß Geist und Leben stets die alles beherrschende Großmacht bleiben[11]

Gibt man uns eine sorgfältig ausgeklügelte, bis ins Detail durchgeführte Organisation, nimmt man uns aber die bewährten Lebenskräfte, reißt man uns aus dem flutenden Gnaden- und Lebensstrom heraus, so verwirklicht sich ein treffendes Bild, das kürzlich ein geistreicher Mann auf einen ungenügenden Satzungsentwurf anwandte. Er tat es wohlwollend, er tat es aus Verantwortungsbewußtsein: »Wenn man Schönstatt mit einem Hühnerei vergleicht, so ist durch den vorliegenden Entwurf der Dotter herausgeblasen; die Schale ist mit Wasser gefüllt, die Löchlein sind zugeklebt. Nun legt man das Ei unter die Henne, und dann sagt man: So, liebe Henne, jetzt brüte schön und brav das Ei aus!« Das Bild verlangt keinen Kommentar. Wir können es ohne weiteres deuten.

So wie sich hier innerhalb von drei Jahren die Bewegung /

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entwickelt hat, erinnert sie an die besten Zeiten in Alt-Schönstatt. Ähnliches läßt sich von Brasilien sagen. Dort tritt stärker die Volksbewegung in den Vordergrund; sie kann sich jetzt schon mit der deutschen Wallfahrts- und Exerzitienbewegung messen. Gegenüber Chile ist dort ein doppelter Fortschritt zu verzeichnen: Was hier in Chile erstrebt wird, Exerzitien- und Schulungshaus sowie kleine sogenannte Ermitas[12] in einzelnen Pfarreien, ist dort bereits mit großem Erfolg verwirklicht. In einem Punkte aber kommen beide Länder überein: Anfangs herrschte auch in Brasilien die unüberwindliche Not: »Wir haben keine gelehrten Köpfe, deshalb können wir nichts wagen.« Sobald aber die gläubige Überzeugung lebendig wurde, daß Schönstatt ein ausgesprochenes Gotteswerk ist, daß in den Filialheiligtümern der Gnadenstrom von 1914 aufbricht und die Gottesmutter von dort aus die Haupterziehungsarbeit in die Hand nimmt und daß man nur eine Aufgabe hat, Schönstatt reinrassig zu künden und zu leben, ist eine neue Welt geworden und am Werden, eine Welt, die zu großen Hoffnungen berechtigt.

Also auch hier wiederum: Nicht die Organisation macht es zunächst und zutiefst! Die Hauptsache ist und bleibt [[70]] das Leben, das in unseren Heiligtümern genährt und gespeist wird und immer wieder dorthin zurückflutet, das die Träger miteinander und mit Ort und Idee verbindet. So wird Schönstatt in Wahrheit für die Gesamtfamilie Heimat.

Damit berühren wir erneut die Kernfrage des gegenwärtigen Kampfes. Äußerlich steht sie nicht im Vorder- /

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grund. Wir dürfen uns aber nicht täuschen lassen: Auch wenn sie noch länger umgangen wird, morgen oder übermorgen bricht sie elementar durch, auch in der Öffentlichkeit. Dann müssen wir auf unserem Platz sein, dürfen nicht innerlich brüchig geworden sein, müssen vielmehr innerlich gefestigt und äußerlich gerüstet dastehen. Abermals: Was ihr ererbt von euren Vätern habt, erwerbt es, um es zu besitzen! Wachet auf und wecket einander! Weg von der Peripherie - hin zum Zentrum!

(......)

Wer 1952 mit 1949 in Chile vergleicht, dem scheint der Gedanke nicht mehr utopistisch, daß das Heiligtum in Santiago/Bellavista tatsächlich einmal eine große Bedeutung in der Geschichte Chiles bekommen kann.

Aus: Joseph Kentenich, Das Lebensgeheimnis Schönstatts. I. Teil: Geist und Form, Vallendar-Schönstatt 1971, 242 S. – www.Patris-Verlag.de



[6] Vgl. Gen 9, 12-17.

 

[7] Himmelwärts, 158.

 

[8] Am 23.6.1947 kam P. Kentenich zum ersten Mal nach Chile.

 

[9] Wahlspruch von Cesare Borgia.

 

[10] Der Jesuitengeneral Lorenzo Ricci soll dieses Wort Papst Clemens XIV. 1773 gegenüber gesagt haben, als dieser den Orden ändern wollte. Wahrscheinlich stammt das Wort aber von Papst Clemens XIII., als der französische Gesandte 1761 eine wesentliche Änderung der Ordensverfassung der Jesuiten verlangte.

 

[11] Vgl. oben, S. 61.

 

[12] Bildstöckchen.

 

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