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Montag 25.11.2024, 00:58 Uhr
(c) 2024 Haus Moriah

Habes

Das Projekt Habeš

Bruder Lukas berichtet:


Der Freundeskreis „Kellerladen" e.V. (Köln), zusammen mit der Abtei Maria Laach (in der Eifel), fuhr seit Jahren Hilfsgüter in die Ukraine. Auf einer der Transportfahrten fuhr der Abt des Klosters mit. Wir durchquerten die Slowakei und kamen durch den Ort Sečovce. Am Rand der Stadt fielen uns fahle Gestalten auf, die in kleinen Karren Schrott oder Holz transportierten. An dieser Stelle fuhren wir etwas langsamer, um in die Behausungen dieser Roma-Siedlung zu schauen: eine Anhäufung ärmlicher Hütten aus Wellblech und vorn an der Straße ein Beton-Haus mit leeren Fenster- und Türöffnungen. Da sagte der Abt: Dorthin sollten wir auch mal eine LKW-Ladung bringen! Das war wohl der entscheidende Ausspruch.

Mir war klar: falls wir dorthin fahren sollten, müssen wir eine Vortour machen. Wir müssen wissen, was uns dort erwartet.

Über die Auslandstelefonauskunft wollte ich erfahren, ob es in der Nähe eine kirchliche Einrichtung gab, wo wir Menschen treffen, die einerseits deutsch sprechen und andererseits bereit wären, in die Roma-Siedlung mitzugehen. Es fand sich eine evangelische Pfarrerin in einem Nachbarort.

Mit ihr fuhren wir das nächste Mal nach Sečovce. Noch im Auto sagte sie: Die Regierung ist auch gegen die Roma, wir fahren besser nicht zum Bürgermeister, sondern zum katholischen Pfarrer. Das taten wir dann auch, und es sah so aus, als ob wir bei ihm richtig waren. Wir trafen ihn im Pfarrhaus, wo wir ihm erzählten, was wir vorhatten. Er seinerseits sagte uns, dass er regelmäßig in den Habeš gehe, so hieß die Roma-Siedlung. Am Nachmittag fuhren wir also zusammen hin. Weil der Pfarrer bei uns war, konnten wir einigermaßen weit in die Hüttenlandschaft vordringen. Wo waren wir hier gelandet? Ein unübersehbarer Haufen von Elendshütten für 1.500 Roma. Immerhin gab es eine Schule und einen Kindergarten. Ich ahnte, was das nach sich ziehen würde. Hier konnten wir aber nicht mehr wegsehen.

Um meinen damaligen Eindruck lebendig mitzuteilen, schreibe ich aus meinen direkten Aufzeichnungen einen Bericht ab:

„Juni 2004... Unterdes gingen wir in eine dieser Hütten hinein. Eine Frau hatte es uns erlaubt. Was wir hier sahen, brach alle meine Vorstellungen von Armut. Das Haus war aus Lehm gebaut. Es gab zwei kleine Räume. In dem ersten stand eine magere, von Armut gezeichnete Frau. Sie wies auf ihr Lager. Es war etwas, was man früher vielleicht mal als Couch bezeichnen konnte. Alles unbeschreiblich dreckig. Im zweiten, auch sehr kleinen Raum, war gar nichts. An der Wand sah ich einen Rauchflecken, ein Zeichen, dass hier einmal ein Ofen stand. Auf der Erde lagen Pappen ausgebreitet. Uns wurde gesagt, dass hier 14 Menschen schlafen mussten. Das einzige Fenster war ohne Rahmen und Glas. Ein paar schmutzige Lumpen hingen davor. Durch die Lumpen schauten von draußen ein paar Kindergesichter herein, die uns bestaunten. Wir gingen weiter durch das Lager, an Dreckhaufen vorbei und besichtigten ein Haus, welches gerade gebaut wurde. Die beiden Männer machten einen stabilen Eindruck. Sie hatten sich nicht aufgegeben, wie sonst die meisten hier, und fielen aus dem Rahmen. Das Haus war gut gebaut. Wir fragten, wo denn das Wasser sei. Jetzt kam etwas heraus, was kaum zu glauben war: im ganzen Roma-Lager gab es kein Wasser. Nur in den Steinhäusern gab es noch Wasser. Die Stadt hatte die Wasserversorgung für das Lager abgestellt, weil die Roma das Wasser nicht bezahlen konnten"

Am selben Tag trafen wir auch die Kleinen Schwestern vom Orden des Charles de Foucauld. Auch sie waren in diesen Tagen zum Habeš hergekommen, um zu prüfen, ob sie sich hier für ihre Aufgabe niederlassen sollten. In einem Gespräch stellte sich heraus, dass wir das gleiche wollten, sie nur in einer radikaleren Art. Sie wollten mit den Roma wohnen und leben. Später freundeten wir uns mit ihnen an. Sie bestätigten, dass es im Habeš keine Wasserversorgung, keine sanitären Anlagen und keinen Strom gäbe.

Bruder Lukas bei einer Feier auf dem Habeš
Bruder Lukas bei einer Feier auf dem Habeš
Es kam der Winter 2004/2005. Über die Wintermonate ließ mich das Erlebte im Habeš nicht los. Fast täglich dachte ich an die durchlässigen Hütten ohne Öfen und an die Pappen auf der Erde als Schlafmöglichkeit. Ich glaube, dieser Winter und das, was wir gesehen hatten, war der Start für alles Weitere, was dann in den kommenden Jahren werden sollte.

In späteren Jahren, als wir vertrauter mit den Bewohnern wurden, konnten wir in manche Hütte eintreten. Dort lernten wir auch ordentliche Verhältnisse kennen: Räume, die bei aller Armut sauber geputzt waren. So stießen wir auch auf Emil, den ersten Roma, der uns in sein Häuschen einlud. Oder Robert, der sogar Polizist wurde. Wenn wir in seine Familie kamen, war Kaffee gekocht, und es gab Schnittchen und Kuchenecken.

 

Nach der ersten Fahrt ging es darum, den Freunden in Köln, dem Abt und den Mitbrüdern in Maria Laach von dem Gesehenen zu berichten und sie zu überzeugen, dass wir dort gebraucht werden. Wer will schon gerne in solch einen Slum gehen! Aber die Mehrzahl sagte JA.

Wichtig war hier auch Abt Benedikt. Nicht nur, dass er den Anstoß gab, er fuhr auch mehrmals mit und organisierte in der Eifel eine große Ofen-Spendenaktion. Dort hatten viele in ihren Kellern noch alte gusseiserne Öfen stehen, die sie nicht mehr brauchten. Wir kamen auf die Zahl 70. So bekam jede Hütte für den kommenden Winter einen Ofen. Zur gleichen Zeit sammelten wir Geld für Brunnen. Schließlich konnten wir vier Brunnen bohren lassen (einen davon in einer anderen Roma-Siedlung). Zwei Brunnen wurden wieder zerstört. Solche Erlebnisse gab es einige. Wir beschlossen dann aber nicht etwa aufzuhören, sondern unverdrossen weiterzumachen. Die Kleinen Schwestern, die wir auf jeder Fahrt besuchten, berieten uns.

Wenn wir in den Habeš gingen, brachten wir zu Anfang jedes Mal eine große Menge Schokolade und Bonbons für die Kinder mit. Aber aus diesen Anfangsfehlern mussten wir lernen. Die Schokolade wurde uns direkt aus der Hand geschlagen. Ich erinnere mich noch, wie ein kleiner Junge zehn Tafeln erwischt hatte und damit in großem Tempo wegrannte. Abt Benedikt rief ihm noch nach: Aber teilen! In unserem Kleinbus musste auch immer einer sitzen bleiben, weil wir die berechtigte Angst hatten, dass er aufgebrochen würde. Das war aber nur zu Anfang. Die Begegnungen haben sich dann nach und nach normalisiert.

Kapellenbau im Habes
Kapellenbau im Habes
Wie sollte es nun weitergehen? Ein glücklicher Zufall ergab, dass wir Romani Rose kennenlernten (Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma). Er kannte Politiker von Rang im In- und Ausland. Er wusste auch, wie EU-Gelder für große Projekte beantragt werden. Irgendwann ging es ja auch darum, hier einmal neue Häuser zu bauen. Aber wann ... ?

Wir überlegten, was in unseren Möglichkeiten stand. Ich hatte einmal gehört: Wenn ein neues Kloster gebaut werden sollte, wird als erstes eine Kapelle gebaut. Die Häuser - das war die Aufgabe der Stadt und der Politiker. Aber eine Kapelle, das wäre eine Aufgabe für uns. Das wäre etwas für die Seele der Roma. Dieses Projekt wurde zunächst belacht. Doch fingen wir einfach an. Es gab auch einen Architektenplan, der Pfarrer von Sečovce machte mit, und so begann der Bau der Kapelle. Die Maurer waren Roma. Auch die Kölner Freunde vom Kellerladen fuhren zur Bauzeit zum Roma-Lager, Abt Benedikt kam mit. Ich selber malte während der Bauzeit in der Kapelle das Altarbild. Die Leute sollen vor Ort miterleben, dass dieses Bild für sie gemalt wird. Später kam noch eine Deckenmalerei dazu.

 

 

 

Bruder Lukas malt das Altarbild
Bruder Lukas malt das Altarbild

Wie wir die Jahre danach hörten, war und ist die Kapelle für die Roma ein großer Stolz. Als wir nach dem Bau der Kapelle den Habeš wieder verließen, wurden wir feierlich mit Spalier verabschiedet. Der Bann war gebrochen. Einmal in der Woche findet dort nun ein Gottesdienst statt, und es werden auch Taufen abgehalten - wenn auch die Pfarrer gewechselt haben. Lange vorher kam es auch zu einem Kontakt mit der damaligen Bürgermeisterin von Sečovce. Von diesem Besuch hing viel ab. Wir kamen als Ausländer und wollten uns in eine landesinterne, auch hochsensible Angelegenheit einmischen. Durften wir das? Ich selber hatte in der Kriegs- und Nachkriegszeit große Armut erlebt und sprach die Probleme offen an. Die Bürgermeisterin reagierte positiv. Sie sagte, leider hätten sich in diese Gegend noch nie Deutsche verlaufen. Damit hatte sie uns die Tür zum Habeš aufgemacht.

In der fertigen Kapelle
In der fertigen Kapelle
Die Angst vor dem absolut Fremden und der Armut, die uns buchstäblich ansprang, war für jeden auf seine Art überwunden. Was aber mehr und mehr für uns sichtbar wurde, war die Ablehnung der Roma durch die Stadtbevölkerung. Die Roma streunten nur in der Stadt herum — die Arbeitslosigkeit hatte sie passiv gemacht. Durch die wachsende Industrialisierung waren sie jetzt schon in der dritten Generation arbeitslos. Einige arbeiteten in der Stadtreinigung. Das war auch für uns ein fast unüberbrückbares Problem und verlangt Verständnis für beide Seiten.

Durch Gespräche mit Romani Rose bekamen wir auch eine politische Sicht auf die Lage in den Ländern, wo Roma angesiedelt sind. Der Anteil der Roma in den östlichen Ländern wächst ständig. Wegen der hohen Zahl der Arbeitslosen wird es für diese Länder Probleme geben.

Wir stellten aber auch bald fest, dass wir durch Besuche im Habeš nach und nach mit vielen Bewohnern vertrauter wurden. Ja, es gab einige Freundschaften. Es war keine Ausnahme mehr, wenn wir zu einer Tasse Kaffee zu ihnen eingeladen wurden. Ich selber hatte das Glück, dass mir bei einer Tauffeier eine Patenschaft angeboten wurde. Ich nahm sie an. Es war Deniska, ein kleines Mädchen, welches ich lieb gewann und deren Entwicklung ich im Auge behalte.

Nach dem Kapellenbau kam mir wieder die Frage: Wie geht es weiter? Sehr hilfreich war der neu gewählte Bürgermeister der Stadt Sečovce. Er trat beherzt für die Roma ein, nahm sich Zeit für Arbeitsvermittlung und Wohnungssuche.

Mit ihm besprachen wir eine Art Anlaufstelle für Roma. Dazu kauften wir, wieder mit Spendengeldern, ein gut erhaltenes und geeignetes Haus direkt in der Nähe des Habeš. Es wurde ein Kommunikationszentrum daraus. In den Räumen im oberen Stockwerk wurden Sozialarbeiter untergebracht, unten dient eine große Küche zur Speisung von 150 bis 180 Kleinkindern unter sechs Jahren. Sie bekommen dort seit Dezember 2012 täglich eine kräftige Suppe. Ein kostenaufwändiges Projekt, wobei uns in der Anfangsphase viele Sponsoren halfen. Wenn man die blassen Kindergesichter sieht, kann man erahnen, von wie großem Wert diese Einrichtung ist. Für die größeren Kinder wird in der Schule eine warme Mahlzeit ausgegeben.

Zu dem Kommunikationshaus gehört auch ein großes Wiesengelände, das noch genutzt werden kann. Auf diesem Gelände planen wir eine Lernwerkstatt. Nachdem wir von einem befreundeten Stiftungsverwalter aus Heidelberg das Geld dafür erbaten und auch bekamen, können wir die Lernwerkstatt bauen: eine Schreinerei, in der acht bis zehn jugendliche Roma und auch jugendliche Schulabgänger aus der Stadt ausgebildet werden können.

Bildung und Ausbildung, das haben wir erkannt, ist der einzige Weg für junge Roma, aus dem Teufelskreis der Armut herauszukommen.

Für die Schreinerei, die erst noch im Werden ist, begann eine emsige Aktivität. Junge Leute vom Verein „Kellerladen" e.V. in Köln halfen aktiv bei Besuchen vor Ort mit. Bereits wurden gebrauchte Schreinerei-Maschinen dorthin transportiert, gespendet vom Kölner Generalvikariat und vom LOTTO-Verein Koblenz.

Bis das Projekt Lernwerkstatt läuft, wird noch einige Zeit vergehen. Dazu muss in Sečovce ein eingetragener Verein gegründet werden, eine Notwendigkeit, die am Ende das ganze Projekt in eigene Hände entlässt.

Zum Schluss möchte ich noch sagen, dass ein Einlassen auf eine verarmte Roma-Siedlung mit den damit verbundenen Hilfen nie mein Plan gewesen war. Wir konnten nicht mehr wegsehen, als uns bewusst wurde, welch eine gewaltige Armut hier herrschte. Umso größer waren auch die Rückschläge in der bereits zehnjährigen Tätigkeit dort. Mit meinen Worten kann ich nur sagen: Ein anderer hat uns die Menschen, so wie sie sind, gezeigt, und er hat uns die Kraft gegeben, dass wir nicht aufgehört haben.

Br. Lukas Ruegenberg, Maria Laach
Januar 2014

Wenn Sie Bruder Lukas für seine Arbeit bei den Romas durch eine Spende unterstützen wollen, können Sie diese an folgendes Konto überweisen:

Matri Ecclesiae e.V. (Priesterverband)
BIC: GENODEF1M05 - IBAN: DE91 7509 0300 0000 0601 78 (Liga-Bank e.G.)
Verwendungszweck: „Bruder Lukas“

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