Priester in einer Zeit des NeuanfangsEs ist Umbruchszeit. Neues kündigt sich an. Gegenwärtige Veränderungen erfassen alle Bereiche des Lebens. Wir müssen uns zurechtfinden in einer durch Technik und globale Kommunikation veränderten Welt. Wir tun uns schwer mit tieferen Beziehungen zueinander, auch zu Gott. Als Priester stehen wir vor der Herausforderung, in dieser Zeit die Botschaft Jesu lebensnah zu vermitteln. Wir müssen uns neu vergewissern, warum und wie wir Priester sein wollen. Bei allen aktuellen Überlegungen dürfen wir festhalten: Es gibt nur einen Priester im neuen Bund: Jesus Christus. Er beruft Menschen. Er gibt ihnen durch Taufe und Firmung Anteil an seinem Leben und an seiner priesterlichen Sendung und begründet so das gemeinsame Priestertum. Durch die Priesterweihe befähigt er Getaufte zum Priestertum des Dienstes. Durch sie will er selbst in besonderer Weise unter den Menschen gegenwärtig sein und für das Leben in Fülle und für die Einheit aller wirksam bleiben. Beide Formen des Priestertums stehen in einer inneren Zuordnung, die in der Feier der Eucharistie ihren besonderen Ausdruck findet. Als Glied des Volkes Gottes betet der Priester mit seinen Schwestern und Brüdern. Als Repräsentant Christi, des Hauptes und Hirten der Kirche, steht er der Gemeinde gegenüber und handelt in der Vollmacht Christi. Die Priester sind heute herausgefordert, diese innere Mitte ihrer Berufung neu zu werten und zeitgemäß auszuprägen. Programme und Konzepte für Pastoral können überzeugen, gelebte Lösungen bewegen. Als Mitglieder der vier Priestergemeinschaften in der Schönstattbewegung möchten wir ein Priesterbild beschreiben, das sich an unserem Gründer, Pater Josef Kentenich (1885 – 1968) orientiert. Anlass bietet die 100-Jahr-Feier seiner Priesterweihe (8. 7. 1910), die wir im Zusammenhang mit dem Priesterjahr 2010 begehen. Pater Kentenich ist neue Wege in der Pastoral gegangen. Er hat viele Priester geistlich begleitet. Fünf charakteristische Züge seines priesterlichen Wirkens, die uns faszinieren und die wir als Orientierung hilfreich erfahren, wollen wir beim Namen nennen. I. Vom Handeln Gottes ergriffen.
Für viele Menschen der Moderne scheint Gott zu schweigen. Diese Erfahrung teilen wir Priester mit ihnen. Von uns wird eine Wegbegleitung zum Glauben erwartet, dass Gott lebt und auch heute wirkt. Gottes Liebe und Führung will erkannt werden. Um dies wahrzu-nehmen, bedarf es einer gläubigen Voreinstellung, die mit Gottes Gegenwart und Wirken in dieser Welt rechnet. Der Priester soll diese Achtsamkeit vorleben und dazu ermutigen. Er braucht Zeiten der Stille und des Gebetes, wenn er sich mit der Sprache Gottes in der Heiligen Schrift, im Zeitgeschehen und in den Seelen der Menschen vertraut machen will. Es geht um ein immer neues Hören, Horchen und Gehorchen, um schließlich ganz Gott zu gehören. In Jesus Christus hat sich das Handeln Gottes grundlegend ein für alle Mal ereignet. Der Priester ist nur in Christus in der Lage, dieses Geheimnis für heute sichtbar zu machen. Wenn er sich von Gott berührt und geliebt weiß, kann er für andere zum Transparent Christi werden, der am Herzen des Vaters ruht und Kunde gebracht hat. Die Zeichen der Zeit sind auch heute zu deuten, wie es Auftrag Jesu ist. Nach der spirituellen Tradition des Ignatius von Loyola gilt: Gott suchen und finden in allen Dingen, Menschen und Ereignissen. So eine Spurensuche ist heute vordringlich. Sie muss sich verbinden mit der Gabe der Unterscheidung, um zu erkennen, was in den großen Trends und Ereignissen der Zeit und in der Seele eines Menschen von Gottes Geist geprägt oder vom Geist des Widersachers bestimmt ist. Die Welt braucht den prophetischen Priester, der ins Wort bringt, was nach Gottes geheimnisvoller Vorsehung heute geschieht und morgen vielleicht möglich wird. Seine Worte sollen klären, inspirieren und nach vorn weisen. Viele Christen trauern dem nach, was heute alles nicht mehr geht. Sie brauchen den Priester, der die positiven Signale sieht und sich zum Anwalt einer neuen Gestalt macht, die Gott für seine Kirche in heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen schaffen will. Wir erfahren: Wer ein Gespür für Gottes Handeln in der Zeit entwickelt, kann mit Tradition gut umgehen und gleichzeitig neuen Impulsen folgen. Es ist ja derselbe Geist Gottes, der seine Kirche ursprungstreu erhält und zugleich auf die Höhe der Zeit führt. II. Dem Leben dienen. "Instinktiv ringt jede Seele nach einem festen Halt, nach einem Menschen, der da steht wie aus Fels gehauen, der aber gleichzeitig gütig und anpassungsfähig ist. Nur da kann die Seele ihr Geborgenheitsbewußtsein anklammern, nur da knüpfen und verbinden, wo beides vorhanden ist: dieses priesterlich Kraftvolle, aus einer jenseitigen Welt kommend, und dieses gleichzeitig väterlich und mütterlich sein wollen.“ Josef Kentenich, 1931
Wie geht Seelsorge heute? Bei der Fülle der Aufgaben und Erwartungen müssen neue Schwerpunkte gesetzt und partnerschaftliche Zusammenarbeit entwickelt werden. Wir Priester brauchen vor allem den Blick für das, was Menschen wirklich bewegt und was dem Leben dient. Es gilt, einfühlend und ehrfürchtig anzuknüpfen an der Sehnsucht der Menschen nach Liebe, nach Würde und Wahrheit, um sie weiterzuleiten zu Gott, dem Ziel allen menschlichen Suchens. Es gilt, selbstlos fremdem Leben zu dienen und nicht zuerst auf äußere Formen und Vorschriften zu setzen. Wir schenken Vertrauen, wecken Eigeninitiative und begleiten Menschen auf ihrem Berufungsweg. Im Entwicklungs-prozess zu einer freien Persönlichkeit sucht man oft nach jemandem, der geduldig dieses Wachstum begleiten kann. In diesen Vorgängen lässt der Apostel Paulus die Menschen auch teilnehmen an seinem eigenen geistlichen Leben und wird so für seine Gemeinde zum Vater. Wir leisten den uns aufgetragenen Dienst der priesterlichen Leitung am wirksamsten, wenn unsere Seelsorge vor allem Pflege von Beziehungen wird. So kann ein Organismus von Bindungen wachsen, und so entsteht Gemeinschaft als lebendiges Netz. Man knüpft mit und wird selber mitgetragen. Dazu ist ein Führungsstil notwendig, der geprägt ist durch lebendige Fühlungnahme und partnerschaftliche Beteiligung. Wir nennen diese Haltung des Seelsorgers priesterliche Väterlichkeit. Sie wächst dort, wo wir den uns Anvertrauten große seelische Nähe schenken und gleichzeitig klare äußere Distanz wahren. III. Auf Gottes Barmherzigkeit hoffen.
Wir Priester nehmen Versagen und Schuld im eigenen Leben wie bei Menschen in unserer Umgebung wahr. Es gilt, umzugehen mit Überforderung und Misserfolg, mit Vereinsa-mung und Scheitern. Wir erleben immer wieder die Spannung zwischen Amt und Menschlichkeit, zwischen Ideal und Wirklichkeit. Wie Jesus dürfen wir auf Gott, den Vater, hoffen und auf seine erbarmende Liebe setzen - für uns wie für andere. Unsere Verkündigung muss die Herzen der Menschen für Gottes Barmherzigkeit öffnen und erwärmen. Und durch unsere Güte sollen andere Gottes Erbarmen erleben können. Wir brauchen die eigene Erfahrung von Leid und Schwäche und Sünde nicht zu überspielen. All das schließt die Chance in sich, nach oben Ausschau zu halten und uns je neu abhängig zu machen von Gottes Führung und Erziehung. Seine Gnade erweist ihre Kraft in unserer Schwachheit. Der Apostel Paulus versteht sich nur als Werkzeug in der Hand eines Größeren. Das schließt durchaus das eigene Bemühen um Persönlichkeits-bildung und das Streben nach Heiligkeit ein. Schwächen, Verletzungen und auch Sündhaftigkeit werden trotz allem bleiben. Sie stören und demütigen angesichts unserer hohen priesterlichen Berufung und lassen uns weniger auf eigene Begabung als auf Gottes Gnade vertrauen. Wenn wir sie gläubig annehmen, gehen wir das Wagnis der Freiheit der Kinder Gottes ein. Gerade auch in der Erfahrung eigener Schuld und Schwäche ist uns der Dienst der Versöhnung aufgetragen. Und wir dürfen wie Paulus einladen: Wir bitten an Christi Statt: Lasst euch mit Gott versöhnen. IV. Mit Maria verbunden. „Die Welt, zumal das Abendland, ist am Zusammenbrechen, weil es seine Grundlage verloren und verlassen hat, das ist Christus. Wer kann der heutigen Zeit Christus wieder schenken? Die Gottesmutter ist das große Hoffnungszeichen, das uns hilft, die Hindernisse für die Christusgeburt in den heutigen Menschen zu überwinden.“ Josef Kentenich, 1950
Maria steht am Anfang unseres christlichen Glaubensweges als wichtigste Zeugin des Mysteriums der Menschwerdung Gottes. Als Mutter Jesu ist sie in den Ursprung unseres Heils mitwirkend einbezogen. Sie nimmt teil am Leben ihres Sohnes. Am Kreuz hat Jesus den Jünger, den er liebte, auf sie verwiesen und in ihm die gesamte Jüngerschaft ihrer mütterlichen Sorge anvertraut. Die geistliche Tradition der Marienweihe und die Praxis des Liebesbündnisses mit Maria in der Spiritualität der Schönstatt-Bewegung knüpfen daran an. Der Glaubensweg, den sie uns allen vorausgegangen ist, lädt zum Nachgehen ein. Für unser persönliches Leben als Priester kann die Verbundenheit mit Maria hilfreich werden. In der Nähe zu ihr wächst uns eine Lebens- und Herzenskultur und Offenheit für eine trinitarische Frömmigkeit zu. Wer sich ihr in Liebe zuwendet, erfährt etwas von der Menschenfreundlichkeit und Herzlichkeit Gottes. Das Bemühen um Gemeinschaft unter Priestern erhält erfahrungsgemäß durch eine liebende Nähe zu Maria einen Zustrom an gegenseitiger geistlicher Verbundenheit. Das hat bereits die junge Kirche erlebt, die im Coenaculum mit Maria einmütig im Gebet verharrte. Von ihr lernen wir, uns immer neu für Gottes Geist zu öffnen und in seiner Kraft etwas zu wagen. Zum anderen dürfen wir von der Fürsprache Marias Hilfe in unserem pastoralen Einsatz erwarten. Niemand hat ein größeres Interesse als sie, dass Jesu Botschaft die Herzen der Menschen erreicht. Sie ist die Mutter der Kirche. Deshalb ist es gut und sinnvoll, wenn wir die Menschen anleiten, in Verbundenheit mit ihr zu leben. Wir vertrauen darauf, dass eine marianisch geprägte Kirche familienhaft-geschwisterlich heranwächst und Seele einer von Liebe geprägten Weltkultur werden kann.
V. Sein Leben verschenken.
Das Evangelium drängt zu einer Radikalität des Glaubens, Hoffens und Liebens. Dies führt in die Sinnmitte des Zölibats. Diese Lebensform wird heute von vielen Christen wenig verstanden und mitgetragen. Das wird zur Anfrage an uns. Nur im Vertrauen auf den Ruf Gottes kann es gelingen, die Ehelosigkeit in Freiheit zu wählen. Was wir Priester den Menschen zu vermitteln haben, kommt nicht von uns selbst. Durch uns wirkt Christus, der sich für das Wachstum des Reiches Gottes in dieser Welt verschenkt und durch seine Auferstehung den Blick auf die ewige Vollendung lenkt. Wenn wir als Priester von diesem Geheimnis ergriffen sind, leben wir für eine verheißungsvolle Zukunft. Wir machen uns die Lebensform Jesu zu Eigen. Sie ist ein prophetisches Zeichen für die Hoffnung auf Gottes Verheißungen und setzt Kräfte frei für die ungeteilte Hingabe an unsere geistliche Familie. So schenken wir Zeit und Kraft nicht wie in einer Ehe einer einzelnen Frau und einer Familie, sondern allen, für die wir gesandt sind. Wir verzichten auf körperlich gelebte Sexualität, nicht aber auf seelische Ergänzung durch menschliche Beziehungen, und wir entfalten die schöpferische Kraft unserer Geschlechtlichkeit durch kreatives Handeln. Es gehört zur Sinnhaftigkeit und Schönheit dieser Lebensform, als Mann Gottes eine geistliche Vaterschaft zu leben. Wer in dieser Weise verschenkt ist, kennt beides: leidenschaftlichen Einsatz, weil die Liebe Christi ihn drängt; aber auch ruhige Gelassenheit in der Hoffnung, dass der Herr das Entscheidende tut und alles vollendet. ‚Duc in altum’! Ein neues Jahrtausend liegt vor der Kirche wie ein weiter Ozean, auf den es hinauszufahren gilt, so rief uns Johannes Paul II. zu. Wo es Gemeinschaft unter Priestern gibt, wo sie einander menschlich und geistlich tragen, wächst der Mut zum Aufbruch. Dann bleiben die hier genannten charakteristischen Züge eines Priesterbildes keine blasse Theorie. Das ist unsere Erfahrung. Die Kirche hat sich im Zweiten Vatikanischen Konzil zum Aufbruch entschlossen und sich als pilgerndes Gottesvolk gedeutet. Wir Priester dürfen die Pilgerführer sein und viele Menschen auf diesem Weg mitnehmen. Wer dabei Vertrauen schenkt, erfährt Vertrauen. Wir erleben es in der Zusammenarbeit mit den anderen pastoralen Berufen und mit vielen engagierten Laien.
Die Geschichte Israels und der Kirche ist eine Geschichte von Aufbrüchen. Ob es gelingt, dass wir uns wie Abraham mit einer großen Verheißung auf den Weg machen? Oder wie die Kundschafter, die sich in das noch unbekannte Land Kanaan wagten? Der Apostel Paulus und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machten die Erfahrung, dass Gott für das Evangelium Türen öffnet. Auch wir dürfen damit rechnen, dass Gottes Geist uns Räume eröffnet und auf neue Formen der Seelsorge drängt. Viele geistliche Aufbrüche in allen Konfessionen machen uns Mut. Es ist Aufbruchszeit, Zeit des Neuanfangs! „Heiliger Geist, Tröster, Anwalt und Lenker, erwecke einen neuen Frühling der Heiligkeit und des apostolischen Eifers für die Kirche“. Benedikt XVI. an die irische Kirche, 2010
Diesen Text als pdf-Datei Zum WeiterlesenKarl-Heinz Mengedodt, Gertrud Pollak, Joachim Schmiedl (Hrsg), In seinem Herzen ein Feuer – Joseph Kentenich 1885-1968, Vallendar-Schönstatt 1999 Christian Feldmann, Gottes sanfter Rebell, Joseph Kentenich und seine Vision von einer neuen Welt, Vallendar-Schönstatt 2005 Peter Wolf (Hrsg.), Berufen – geweiht – gesandt, Ausgewählte Texte von P. Josef Kentenich über das Priestertum, Vallendar 2009 Joachim Schmiedl (Hrsg.), In seiner Spur, Festschrift zum Gedenken an den 100. Jahrestag der Priesterweihe von Pater Joseph Kentenich, Vallendar-Schönstatt 2010 Kontakte www.priestergemeinschaften.schoenstatt.de Herausgeber: Dr. Peter Wolf, Schönstatt-Institut Diözesanpriester Heinrich Walter, Schönstatt-Patres Egon Zillekens, Schönstatt-Priesterbund Dr. Franz-Rudolf Weinert, Schönstatt-Priesterliga © 2010 by Schönstatt-Priestergemeinschaften, Vallendar-Schönstatt Bildnachweis: Glasfenster, von Janet Brooks-Gerloff, Ausschnitte Evangelische Kirchengemeinde, Kornelimünster-Zweifall © 2009 by Axel Schmeitz, Aachen
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