63. Unser System der Selbsterziehung.
Schon der Text über die „Leitsterne der Pädagogik“ (siehe Text 56) hat deutlich gemacht, wie sehr es Pater Kentenich darauf ankommt, Grundhaltungen zu schaffen, die die Persönlichkeit befähigen sollen, in Freiheit und aus Hochherzigkeit ihr Leben positiv zu gestalten, nach dem Willen Gottes zu suchen und auf ihn zu antworten. Dieser pädagogischen Grundeinstellung entspricht seine Haltung und seine Lehre im Bereich der Selbsterziehung, früher, häufiger als jetzt, „Aszese“ genannt. Der vorliegende Text macht dies sehr deutlich. Selbsterziehung, Aszese hat es wesentlich mit konkreten Übungen und mit eigener Anstrengung zu tun. Sie sind notwendig, und Pater Kentenich geht ihnen nach bis ins Detail. Unübersehbar ist dabei, wie sehr es ihm darauf ankommt, dass alle Akte und Übungen Ausfluss einer Grundhaltung sind und dazu dienen sollen, die Persönlichkeit in ihrer Originalität - persönliches Ideal - und ihrer konkreten Verfasstheit - Partikularexamen - zu formen. So geht es ihm also - gerade auch in diesem Text - nicht so sehr um die Fülle oder Anzahl einzelner Übungen - sie sind Anregungen -, sondern um ein System der Selbsterziehung, in dem Übungen auf Haltungen bezogen sind und in dem einzelne Übungen sich gegenseitig ergänzen und befruchten. Der Text stammt aus der Zeit vor der Gründung der Schönstattpatres, 1962/63 (Gründung 1965). Er spiegelt deutlich wieder das Bemühen des Gründers, der werdenden Gemeinschaft Form zu geben, sie aber gleichzeitig so zu motivieren und zu überzeugen, dass sie sich selbst für konkrete Übungen und Bräuche entscheidet.
Der Text ist entnommen dem so genannten „Milwaukee Terziat“, 59. bis 62. Vortrag; in der mimeographierten Ausgabe Bd. VI, Seite 142 - 210. Zum literarischen Genus des Terziats und zur aus der Sache begründeten Großzügigkeit in der textlichen Bearbeitung siehe Einführung zu Text 48.
Die Schwäche unseres Systems liegt darin, dass wir stark die Haltung betonen und dann die Handlung vergessen. An sich ist schon dadurch, dass wir die Weihe öfter wiederholen, ein wenig Vorsorge getroffen, dass aus der Haltung auch Handlungen werden. Wir müssen es aber dennoch eigens betonen. Die Unterernährungsgefahr liegt darin, dass wir die religiösen Übungen vernachlässigen, gering schätzen und deswegen leicht geneigt sind, sie zu kürzen oder in bestimmten Verhältnissen aus geringfügigen Gründen einfach fallen zu lassen. Und da wir hier eine Lebensschule durchmachen, müssen wir die Dinge auch beim rechten Namen nennen. Es gilt also das alte Wort: „Cave canem - Hüte dich vor dem bissigen Hund!“ Das heißt hier: Hüte dich vor zu großer Geringschätzung der religiösen Übungen.
Die Schwäche kann auch auf der anderen Seite liegen, dass nämlich die Übungen überschätzt werden und die Haltung unterschätzt wird. Psychologisch ist klar: auf die Haltung kommt es an. Es ist ja die Haltung, die uns innerlich mit Gott verbindet, die auch den sittlichen Wert unserer einzelnen Handlungen bestimmt. Auf jeden Fall darf die Seele nicht an religiöser Unterernährung leiden.
Genauer gefragt: 1. Was sollen wir tun, damit wir die rechte Haltung den Übungen gegenüber bekommen? 2. Welche Übungen wollen wir in der Familie und im persönlichen Leben pflegen? 3. Welche Mittel können wir anwenden, um diese Übungen zu sichern?
[1. Die rechte Haltung gegenüber den Übungen]
[2. Welche Übungen sollen wir wählen?]
Welche Übungen sollen wir denn nun auf unsere gemeinsame oder persönliche Tagesordnung setzen? Hier müssen sie ein Prinzip walten lassen. Darin sind wir ja stark - eins, zwei, drei: plumps, ein Prinzip ist da.
Das Prinzip wäre: wir sollten das Tagewerk so einrichten, dass wir keine längere Zeit ohne gesicherte religiöse Übung sind, sei es eine offizielle oder eine private. In unserem Kontrollsystem der Geistlichen Tagesordnung ist durch die tägliche Gewissenserforschung über Persönliches Ideal und Partikularexamen an sich schon Vorsorge getroffen. Im Kopf ist das seit der Dazugehörigkeit zur Familie ja schon gewusst. Es fragt sich nur, ob es auch im Herzen festsitzt.
Wo liegt der Grund dafür, dass wir nicht längere Zeit ohne gesicherte Übung sein sollen?
Ein Grund ist, damit die Haltung bleibt. Eine Gewohnheit kommt ja zustande durch die Wiederholung der einzelnen Akte. Der Akt soll dabei Ausfluss der Haltung sein, aber auch ein Mittel, um die innere Haltung zu vertiefen. Wenn wir großes Gewicht darauf legen, immer mit dem lieben Gott verbunden zu sein, mit ihm zu leben und zu wirken, dann müsste es für uns eine Selbstverständlichkeit sein, während des Tages immer wieder mit dem lieben Gott Kontakt aufzunehmen. Und das geschieht halt durch die religiösen Übungen.
Das Breviergebiet der Kirche fußt auf demselben Prinzip. Mit Prim, Terz, Sext usw ist ja gedacht, dass das Tagewerk immer von bestimmten Erhebungen der Seele zu Gott durchdrungen, verinnerlicht, verübernatürlicht und durchseelt wird. Darum widerspricht es an sich diesem Prinzip - juristisch ist es ja in Ordnung -, wenn ich sage: ich mach das alles auf einen Schlag. Am Morgen werden alle Übungen heruntergebetet, und damit ist Schluss der Vorstellung! Und während des Tages lebe ich dann halt mein Leben. Da wir kein geordnetes Ordenslebens haben, sondern eine fliegende Truppe sind, müssen wir selbst die inneren Zusammenhänge wieder finden.
Nun müssen sie selbst prüfen, welche religiösen Übungen zu einer gesunden Tagesordnung gehören. Solange wir nicht zu einem Bund oder Verband gehören, haben wir immer festgehalten: das muss jeder mit sich selbst ausmachen. Aber wenn wir eine geschlossene Gemeinschaft sind, zumal wir als pars motrix et centralis, dann können wir das nicht jedem Einzelnen überlassen. Wir haben das Recht und auch die Pflicht, Übungen festzulegen, die normalerweise pflichtmäßig für uns sind. An sich ist das ja leicht. Wir brauchen nur zu fragen, was die ideale Tagesordnung eines Priesters verlangt. Gründe, sich nicht daran zu halten, mag es genug geben. Hauptsache ist zunächst, dass wir eine Linie festhalten. Und natürlich ist es auch leicht, in Stunden religiöser Inbrunst einen solchen Kanon aufzustellen, zumal jetzt, wo es sich um eine Gründergeneration handelt, die die Aufgabe hat, derartige Dinge festzulegen. Schwieriger ist es dann, den Kanon auch durchzuführen.
[3. Mittel zur Sicherung der geistlichen Übungen]
Was können wir tun, um unsere geistliche Tagesordnung durchzuführen? Welches sind die Mittel zu ihrer Sicherung?
Wenn ich alle Übungen ohne Unterschiede nebeneinander sehe, rein mechanisch, dann kann ich an sich nur noch sagen: Alles muss sein; wehe, wenn nicht! Ich habe aber dann keinen Schlüssel zur Sicherung.
Wenn ich nun die Mittel suche, die das geistliche Leben sichern, - dann sind das zunächst meine rein persönlichen Übungen; - dann ist es unser Kontrollsystem - und schließlich sind es die Übungen, die wir für uns als Gemeinschaft mit vita communis mixta haben.
Unsere Erfahrung mag uns außerdem noch sagen, dass es Punkte gibt, von denen ich weiß: wenn der Punkt gesichert ist, ist mein ganzes geistliches Leben gesichert. Welche Punkte können das sein? Ganz verschiedene; solche sogar, die zunächst einmal abwegig scheinen. Wenn ich zum Beispiel die Erfahrung mache: wenn ich gut ausgeschlafen habe, dann bleibt mein religiöses Leben in Ordnung. Sehen Sie, dann müsste ich sorgen, dass ich mehr schlafe. Wenn ich diesen Punkt nun auf die Tagesordnung nehme, dann hilft mir das mehr als wenn ich mich – übertrieben ausgedrückt – täglich zwanzigmal geißelte. Wir müssen in der Regulierung unseres religiösen Lebens klug sein.
Wenn ich aus Erfahrung weiß, dass es am besten ist, die Geisteserneuerung an irgend einem abgeschiedenen Platz, einem Kloster zum Beispiel, zu machen, wenn ich dann aber weiß, dass ich völlig übermüdet bin, dann müsste ich mir vornehmen, zunächst dort solange als nötig zu schlafen, um so für das Göttliche wieder mehr wach und aufgeschlossen zu werden. Natürlich kann ich mir auch sagen: auf biegen oder brechen, jetzt knie ich da wie eine Kerze. Und wenn die Zeit abgekniet ist, dann gehe ich wieder nach Hause. Ich habe dann zwar ein Opfer gebracht, aber den Sinn der Geisteserneuerung nicht erfüllt. Ich soll ja meinen Geist erneuern und wieder wach werden für das Göttliche. Also auch hier: vernünftig sein, gut überlegen.
In beiden Fällen dreht es sich ja darum, auf den Körper und die Gesundheit Rücksicht zu nehmen.
Natürlich setzt das voraus, dass in mir ein religiöser Strom lebt, der nur unterdrückt wird, wenn die Natur zu sehr überlastet ist.
Bei unseren Schwestern ist es Brauch, alle 14 Tage zu beichten. Wenn ich nun aus Erfahrung weiß, dass die häufigere Beichte für mich ein Mittel ist, um die Schwungkraft nicht zu verlieren, dann müsste ich mir selbst das entsprechende Rezept schreiben. Natürlich kann das dann keine Beichte sein, bei der man schnell seine Schwächen sagt und den Akt der Reue erweckt. Die Beichte müsste dann ein Ruhepunkt sein, den ich sehr ernst nehme, mit Vorbereitung und Nachbereitung.
Das sind Dinge, bei denen wir uns dem modernen Leben anpassen müssen. Sonst leben wir aus Vorsätzen, die ständig gebrochen werden. Und ständig gebrochene Vorsätze bedeuten eine Belastung. Man verliert die Ehrfurcht vor seinen Vorsätzen und die Ehrfurcht vor seinem Willen.
Lassen Sie sich aus dem Zusammenhang heraus noch ein anderes Mittelchen sagen. Vor allem im praktischen Seelsorgsleben mag es viele Male vorkommen, dass nicht alles am Schnürchen läuft. Ich kann nicht wie im Kloster sagen: 11:45 Uhr ist Partikularexamen. Alle haben zu erscheinen! Mein Berufsleben ist dafür zu bewegt. Was müsste man also tun?
Erstens: es ist klug, wenn man morgens bei der Betrachtung sein Tagewerk überschlägt. Ich werde mir dann wohl sagen können, wann ich normalerweise die erste freie Zeit habe, um das oder jenes zu tun. Wiederum setze ich voraus, dass wir die geistlichen Übungen ernst nehmen. Nicht nur: Jetzt schellts und dann tue ich halt das oder jenes. Nein, ich muss die geistliche Übung jetzt selbst sichern.
Zweitens: Ich will auch ein wenig sorgen, dass die religiösen Übungen etwas auf den Tag verteilt werden, wenigstens die priesterlich-pflichtmäßigen Übungen und natürlich nur, soweit es eben geht.
Drittens: Jetzt kommt ein Ratschlag dazu, den uns der heilige Franz von Sales gibt. Für Priester in der Seelsorge gibt es viele Fälle, in denen wir uns von einer Übung dispensiert halten können und müssen, weil es einfach nicht anders geht. Ganz ehrlich muss ich mir dann wohl zugestehen: es besteht die Gefahr dass ich sehr schnell eine Entschuldigung finde. Es gibt ja den Spruch: Quod volumus, facimus libenter. Was wir wollen, tun wir auch gerne. Wir finden dann schnell einen Grund, nicht? Deshalb rät der heilige Franz von Sales: wir sollen uns resolut dispensieren, dann aber dem lieben Gott sagen: sobald ich kann, komme ich wieder zur alten Übung zurück. Die Übung nicht nachholen! Sonst müssen wir am Schluss Berge nachholen. Die Übung ist ja nicht das Heilbringende, sondern nur ein Mittel unter vielen Mitteln. Ich will nur dem Leichtsinn ein Schnippchen schlagen.
Hinter dem Rat steckt der Gedanke: wenn man eine Gewohnheit unterbricht, dann ist damit immer eine gewisse Lockerung verbunden. Deshalb muss ich in der Gesinnung daran festhalten: wenn mich nicht ein ganz triftiger Grund daran hindert, werde ich morgen wieder zu der Übung zurückkehren.
Es geht immer noch um die Frage: wie sichern wir unsere Übungen; wir, die wir wie die Weltpriester in der Welt herumstreunen müssen und nicht den gesicherten Rhythmus des Ordenslebens haben? Wir reden hier von uns als Schönstattpriester auf der Höhenlage eines Säkularinstituts mit vita communis mixta.
Von der Höhenlage des Bundes an kennen wir den Kontrollapparat als Selbstkontrolle und Fremdkontrolle.
[Die Selbstkontrolle]
Wir sagen damit nicht, dass man ohne eine solche Kontrolle nicht existieren kann. Aber wenn unser religiöses Leben gesichert ist - natürlich im Sinne der religiösen Haltung -, dann sind wir stärker geöffnet für die Gnade und können unsere Kraft stärker verwenden für das Apostolat.
Die Dinge klingen alle sehr nüchtern. Solange wir von unseren Idealen reden, ist alles erquickend und zieht nach oben. Jetzt kommt die nüchterne Aszese: Hic Rhodos, hic salta! Jetzt musst du zeigen, dass du kein Schwärmer bist, dass du auf dem Boden bleibst. Zwar müssen wir Adler mit Flügeln sein, aber eben Adler - das ist das Unikum - die so lange Füße haben, dass sie bis zum Boden herunterreichen.
Die Sicherung müsste an sich nicht in einem Kontrollapparat wie dem unseren bestehen, es könnte auch etwas anderes sein. Aber so ist es nun einmal geworden. Prinzipiell müssen wir zugestehen, dass eine Gemeinschaft ein Recht hat, derartige Mittel anzuwenden und sie verpflichtend zu machen; nicht verpflichtend unter Sünde, sondern eben so, wie es sich in einer Gemeinschaft schickt. Und wenn die Gemeinschaft solche Dinge festlegt, dann müssen sie auch angewandt werden, sonst habe ich an sich keinen Beruf gerade zu dieser Gemeinschaft.
Oft ist es schwieriger, die Kontrolle zu machen als die Übungen zu halten.
Ich habe gestern noch unserem Günther erzählt, wie das bisweilen auch bei mir der Fall ist. Nun muss ich zuerst sagen: was ich lehre, tue ich auch selbst; auch wenn ich mir sagen könnte: Du kommst auch ohne Kontrolle aus. Man darf diese Dinge ja nicht übertreiben. Andere kommen auch ohne Kontrolle aus. Ich habe ihm erzählt, wie es mir ging zu später Stunde, wenn das Licht ausgeschaltet wurde: Gott sei Dank, jetzt brauchst Du keine Kontrolle zu machen. Ist ja auch ein lästiger Kram, sich abends noch hinzusetzen und die geistlichen Übungen zu kontrollieren. […]
Ich meine halt nur, dass wir bei all den hochfliegenden Zielen, die wir haben, auch wieder konkret denken müssen. Dabei müssen wir auf der psychologischen und pädagogischen Ebene bleiben. Ohne dass dies eine absolute Bedingung wäre, ohne die ich nicht ein guter Priester sein kann. Es ist es aber doch ein Mittelchen, das wir gewählt haben.
[Zwei psychologische Gründe, die für die Selbstkontrolle sprechen]
1. Als heutige Menschen sind wir stärker der Gefahr der Vergesslichkeit und dem Stimmungswechsel ausgesetzt. Ich kann so alt werden wie Methusalem - Mensch bleibt halt Mensch. Natürlich kann ich abends eine Gewissenserforschung machen so wie andere, die damit ja auch auskommen. Aber selbst wenn da steht: hier erforschen wir unser Gewissen - sollen Sie mal sehen, wie schnell wir mit der Gewissenserforschung fertig sind! Ich mag ja bereit sein, noch mal zu überlegen, ob ich eine bestimmte Übung gehalten habe. Aber wenn ich mich dabei schon ins Bett lege - Herr, gib ihm die ewige Ruhe und das ewige Licht leuchte ihm! Himmel und Hölle hängen nicht davon ab, ob ich jetzt mein Gewissen erforsche. Es dreht sich aber hier um eine höhere Lage des religiösen Lebens und deswegen auch um eine konkretere Sicherung.
2. Die Psychologie sagt uns nun: je mehr Sinne bei einem Akt beteiligt sind, desto tiefer geht der Akt. Bei der Kontrolle sind halt mehrere Sinne beteiligt. Zunächst einmal sind die Hände tätig. Dann sehe ich, was auf meinem Blatt steht; die Augen sind also dabei. Sie sehen, so etwas greift tiefer als wenn ich es nur geistig tue. Zumal, wenn ich älter werde, mich vom Leben stärker treiben lasse oder auch schon eine innere Haltung mehr vorausgesetzt werden kann, ist es durchaus nicht überflüssig - wenn auch nicht absolut notwendig -, eine derartige Sicherung zu haben.
Jetzt kommt noch hinzu: Während sich meine Sinne auf die Gewissenserforschung konzentrieren, liegt es eher nahe, auch einen entsprechenden Vorsatz für die Zukunft zu fassen, weil eben alles viel konkreter und greifbarer ist. Also nicht nur Haltung, sondern auch Handlung.
Jetzt die Fremdkontrolle. […]Das bisher Gesagte klingt so einseitig, wie wenn wir alles nur auf die Karte der Eigentätigkeit gesetzt hätten. Das ist an sich nicht wahr. Das erscheint nur so, wenn es nicht in dem Zusammenhang mit der Tätigkeit Gottes gesehen wird. Wir sagen ja sonst wohl: „Nichts ohne dich, aber auch nichts ohne uns.“ Nur in dem Zusammenhang ist das Ringen um sittliche Vollendung zu sehen.
Drei bedeutende Ausdrücke sollten sie jetzt einmal überprüfen. Was will die Gnade der Natur gegenüber? Zunächst die Natur erhöhen, dann die Natur vollenden, und drittens, dafür sorgen dass die Natur sich opfert. Im erbsündlichen Zustand können wir nicht vollendet werden ohne dass die Natur auch lernt, sich zu opfern.
In dem Bereich, in dem es sich um den Eingriff der Gnade in die Natur handelt, sprechen wir von zwei Mitteln, die wir anwenden sollen. Die Tätigkeit Gottes soll darin durch Eigentätigkeit vorbereitet, begleitet und vollendet werden.
Selbsterkenntnis. Sicher, die Gnade arbeitet in uns; aber sie will auch den Verstand erleuchten, den Willen bewegen und das Herz erwärmen. Wenn wir uns nun nicht genügend selber kennen, können wir auch die Wirksamkeit der Gnade in unserer Seele nicht genügend unterstützen.
Welches sind nun die üblichen Mittel, die wir hier anwenden müssen? Man nennt in der Aszese zwei Mittel: die allgemeine Gewissenserforschung und die spezielle Gewissenserforschung. Letztere nennt man das Partikularexamen. Bei Letzterem handelt es sich, wenigstens in unserer Auffassung, weniger um eine Erforschung als um eine umfassende Kampfesmethode, die den ganzen Tag durchdringen, ihn innerlich erfassen und nach oben ziehen will.
[1. Die allgemeine Gewissenserforschung]
Was ist nun zur allgemeinen Gewissenserforschung zu sagen? Wenn wir uns ein religiöses Feingefühl bewahrt haben, dann ist es wohl eine Selbstverständlichkeit, dass sich das Gewissen regt, wenn wir ihm nicht gefolgt sind. Das nennt man einen Gewissensbiss. Das Gewissen macht sich bemerkbar. Deshalb braucht ein religiös strebsamer Mensch auch nicht viel Zeit, um sein Gewissen zu erforschen.
Wenn wir jetzt um Charakterfestigkeit und Persönlichkeitskultur ringen, dann bedeutet das letztlich auch, dem Gewissen zu folgen. Das Gewissen teilt uns ja die persönlichen Anregungen Gottes mit. Wenn wir also unserem Gewissen folgen, dann haben wir dadurch ein glänzendes Mittel in der Hand, uns ganz persönlich zu formen und formen zu lassen.
Trotz eines fein organisierten Gewissens, das sich immer regt, wenn wir der Gnade nicht entsprochen haben, sollten wir an der abendlichen Gewissenserforschung festhalten. Sie soll zusammenfassen, was wir während des Tages an Schwächen zu verzeichnen haben. Denn ohne Schwächen werden wir den Tag nicht verbringen können. Und wir wollen auch nicht die Schwächen so hinnehmen, dass wir uns daran gewöhnen.
Bei der abendlichen Gewissenserforschung kommt es dann auf den großen Wurf an. Nicht so sehr auf das individuelle Aufzählen des einzelnen Versagens: eins, zwei, drei, vier, fünf.... Vielmehr kommt es darauf an, dass wir unsere Erbärmlichkeitserlebnisse festhalten und vertiefen. Gerade bei uns modernen Menschen hängt sehr viel davon ab, dass wir wieder lernen, uns vor Gott zu geben, wie wir sind. Schleier weg! Maske weg! In voller Blöße vor Gottes Antlitz uns zeigen.
In dem Zusammenhang ist es dann eine einfache Sache, dass wir nicht nur theoretisch wissen, sondern auch praktisch durchführen, wie wir die vier negativen und die vier positiven Antworten geben können. Eine Zeit lang müssen wir das bewusst tun, bis es letzten Endes zur zweiten Natur geworden ist und wir in dieser Haltung praktisch schwimmen.
Was ich jetzt sage, ist letztlich eine anders geartete Form der Reue. Im Blick auf unsere Schwächen sollen wir: erstens: uns nicht wundern, zweitens: nicht verwirrt werden, drittens: nicht mutlos werden, viertens: nicht heimisch werden
Also nicht einfach sagen: diese Schwäche gehört eben zu meinem Gesicht. Weil wir so stark vom Milieu getragen und gefärbt werden, besteht auch die Gefahr, dass das Gewissen sich überhaupt nicht mehr regt, weil wir die öffentliche Meinung einfach als Gewissenssprache nehmen. Wenn ich nach der öffentlichen Meinung lebe, dann werde ich oberflächlich und mache alles genauso. Dann ist übermorgen das Gewissen als triebkräftigste Kraft für individuelle Persönlichkeitsformung verfärbt, dann bin ich ein Massenmensch geworden ehe ich es merke. Deshalb diese negative Abgrenzung.
Dann positiv. Jetzt soll ich auch die kleinen Dinge nach dem Vorbild des heiligen Paulus benutzen: wenn ich schwach bin, dann bin ich stark. Ich rühme mich meiner Schwäche. Ich soll also werden ein Wunder der Demut, ein Wunder des Vertrauens, ein Wunder der Geduld und ein Wunder der Liebe. Das klingt jetzt kompliziert, nicht? Der Akt ist aber sehr einfach. Verstehen sie nur: wenn wir wirklich die Gnade an uns arbeiten lassen wollen, müssen wir doch immer im Hintergrund tätig sein, um Gott über uns herrschen zu lassen.
Wenn unser christliches Leben nach oben und nach unten geöffnet sein will, muss es sich immer um den Dreischritt bemühen: Gott häufig im Glauben anschauen, aus Glaube und Liebe mit ihm sprechen, sich mit ihm unterhalten aus Glaube und Liebe auch entsprechende Opfer bringen. Also nicht nur im Glauben Gott anschauen und mit ihm beten, sondern auch Opfer bringen. Gewissenserforschung.
[2. Die spezielle Gewissenserforschung: das Partikularexamen]
Dann zweitens. Bei uns hat sich das eingebürgert, was wir Partikularexamen nennen. Das Wort Examen ist insofern berechtigt, weil die Erforschung ein Wesensbestandteil des Partikularexamens ist. Aber mehr als das ist bei uns das Partikularexamen eine ganz praktische Kampfesmethode. Das Partikularexamen ist das Examen über einen besonderen Punkt. Insofern gehört es in den Bereich der Gewissenserforschung.
Worin liegt das spezifisch Originelle bei uns? Unsere Natur ist ganz grundlegend geprägt von den zwei Hauptleidenschaften: Sinnlichkeit und Stolz. Wir müssen jetzt natürlich die Ausdrücke so nehmen, wie sie gemeint sind. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist der sinnliche Mensch oder der stolze Mensch immer etwas weniger Gutes. So sind die Ausdrücke hier nicht gemeint. Hier werden Grundtendenzen umschrieben. In jedem von uns mag entweder die starke Tendenz stecken, sich hinzugeben (Sinnlichkeit), oder die starke Tendenz, sich durchzusetzen und zu erobern (Stolz). Sinnlichkeit als Hingabevermögen kann je nachdem etwas Gutes oder etwas Schlechtes sein. Dasselbe gilt vom Stolz. Weil wir nun in der Hauptsache darum ringen, unsere Leidenschaften zu veredeln, können wir sagen: der Sinn des Partikularexamens besteht darin, unsere Hauptleidenschaft so konkret wie möglich zu veredeln. Und das immer im innersten Zusammenhang mit unserem Persönlichen Ideal. Dadurch dass das Persönliche Ideal einbezogen wird, bewahren wir uns davor, dass wir nicht mechanistisch an kleinen Pünktchen hängen bleiben, sondern alle einzelnen Akte unseres Lebens mit der zentralen Haltung verknüpfen und sie so zu dessen Ausdruck und Mittel machen. Eine Zeit lang tun wir gut daran, uns dies reflexiv öfters zu sagen. Dadurch bekommen wir ein stärkeres Gespür, dass wir selbst die Regie führen und nicht alles einfach laufen lassen.
Gegenstand des Partikularexamens, des partikularen Punktes, um den es geht, sollte also im Großen und Ganzen unsere Hauptleidenschaft sein, und zwar immer unter dem Gesichtspunkt ihrer Veredelung.
Was muss ich nun tun? Die konkreten Aufgaben sind zunächst einzeln zu lösen.
[Erstens: gegen negative Tendenzen ankämpfen]
Eine Zeit lang soll ich oder muss ich negativ vorgehen. Das heißt, arbeiten, dass Auswüchse Stück für Stück beseitigt werden. Ich überlege also: wie äußert sich bei mir in unangenehmer Weise, sagen wir mal, die Gefallsucht, die Wankelmütigkeit, dieses Hüpfen von Ast zu Ast? Ich werde also die einzelnen Äußerungen in mir wahrnehmen und dann einzelne Fehler aufs Korn nehmen in meinem Partikularexamen und jeweils in Verbindung mit meinem Persönlichen Ideal. Bei der Erneuerung von beiden soll ich mir also bewusst machen: um mein Persönliches Ideal zu erreichen, zu vertiefen, bemühe ich mich heute, gegen den oder jenen Fehler besonders anzugehen.
Dieses System ist an sich sehr geschlossen und kohärent. Wir tun auch gut daran, uns dessen ab und zu reflexiv bewusst zu werden.
Ich nehme mir nun zum Beispiel vor: Heute konstant bleiben, studieren! Wahr bleibt dann immer noch, dass ich eben müde bin, wenn ich müde bin. Aber ich muss darauf achten, ob dahinter nicht zu viel Wankelmütigkeit steckt. Für eine Zeit also einfach daran festhalten: Biegen oder Brechen, hic Rhodos, hic salta! Konstant bleiben! Auf die Dauer ist das natürlich immer schwer, die Mitte zu finden. Es kann ja auch sehr gut sein, dass es besser ist, wenn ich bei großer Müdigkeit eine gewisse Abwechslung suche, etwas anderes für den Augenblick tue. Wie in allen Dingen, gilt auch hier: wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe. Ich muss eben wissen, aus welcher Wurzel diese oder jene Handlungsweise hervorgeht.
Ich kann also eine gewisse Verirrung, einen Fehler, in den sich mein Hingabevermögen verstrickt hat, zum Partikularexamen nehmen.
[Zweitens: positive Kräfte stärken und entfalten]
Ich kann, zweitens, mich auch bemühen, positiv das Hingabevermögen zu entfalten. Also zum Beispiel: wie kann ich mich heute bemühen, anderen zu dienen, ihnen Freude zu machen?
[Drittens. die Ergänzungstugend pflegen]
Eine dritte Art besteht darin, die Ergänzungstugend zu pflegen. Die Ergänzungstugend der Sinnlichkeit ist der Erobererdrang. Ich muss mich also eine Zeit lang bemühen, den Erobererdrang, die Selbstbehauptung, den Stolz in mir zu veredeln. Die Dinge laufen eigentlich stark ineinander. Wenn ich mich aber selber führen will, muss ich die Zusammenhänge wissen. Wenn ich andere führen will, brauche ich ihnen die Zusammenhänge nicht immer darzustellen, aber ich muss die Richtung wissen, nach der ich sie führe.
Wenn ich dies so sehe, dann habe ich eine Kampfesmethode, ein Mittel in der Hand, um gegen die Fallgesetze in meiner Natur anzugehen und um das Ziel zu erreichen, das durch mein persönliches Ideal signalisiert ist.
Ich brauche nicht beifügen, dass auch bei der zweiten und dritten Art die Fühlung mit dem persönlichen Ideal immer hergestellt werden muss; eine Zeit lang muss das reflexiv geschehen, später wird das selbstverständlich; so sehr, dass das Arbeiten mit dem Partikularexamens ganz naturgemäß mit dem persönlichen Ideal verknüpft ist. Anfangs wird das wahrscheinlich nicht der Fall sein. Es kann Schritt für Schritt wachsen.
Ich darf Sie bitten, zu überlegen, ob Sie mit diesen Hinweisen einen tieferen Einblick in den ganzen Organismus erhalten haben. Es ist wesentlich, wenn wir immer wieder hervorheben: Unsere Hauptleidenschaft soll veredelt werden. Dabei dürfen sie nur nicht übersehen, dass wir auch immer etwas abstreifen müssen. Die Veredelung allein tut es nicht. Bisweilen müssen wir auch bewusst das Negative in uns aufs Korn nehmen, um so die gefährlichen Verirrungen unserer Leidenschaften zu verringern. So viel zum Partikularexamen.
[Verschiedene Wege, um die eigene Hauptleidenschaft klarer zu sehen]
Jetzt, wie kann ich meine Hauptleidenschaft ermitteln? Es gibt verschiedene Wege. Ich kann mich zum Beispiel fragen: was ist mein Temperament? Temperamente sind ja Ausflüsse der Hauptleidenschaft. Deshalb kann ich zum Beispiel fragen: wie sieht der melancholische Stolz aus und wie der cholerische? Ich bestimme also mein Temperament in Anwendung auf meine eigene Persönlichkeit. Dabei schadet es nichts, wenn wir so etwas periodenweise immer neu reflektieren. Wenn wir also verschiedene Terziate haben, ist es immer der Mühe wert, eine solche Reflexion erneut anzustellen; zunächst als Lebensschule für uns selbst, dann aber auch als Bildungsschule zur eigenen Weiterbildung. Wenn es Lebensschule ist, dann müssen die allgemeinen Dinge immer wieder auf das praktische Leben angewandt werden.
Ein nicht unbedeutendes Mittel, um meine Hauptleidenschaft zu bestimmen liegt darin, dass ich mich frage: was sagen meine Bekannten und Freunde? Man sagt ja schon mal: die eigenen Augen sieht man selbst nicht. Man braucht einen Spiegel.
Sie mögen zurückschauen auf die Vorwürfe, die unsere Eltern und Geschwister uns häufig gemacht haben. Wahrscheinlich liegt hier ein roter Faden. Jetzt kommt es nicht darauf an, sich zu rechtfertigen oder festzustellen, was berechtigt war. Es gibt Zeiten - wie zum Beispiel jetzt im Terziat oder bei Exerzitien -, wo wir mit einer gewissen Einseitigkeit unsere Schwächen sehen. Nachher können wir mit Einseitigkeit das Positive sehen. Es muss immer organisch miteinander verknüpft sein. Wenn ich es mechanistisch auseinanderreiße, dann macht das eine minderwertig und das andere oberflächlich.
Auf uns angewandt gehört hierher die correctio, ein vorzügliches Mittel, um sich selbst kennen zu lernen.
Freilich kann ich auch fragen: in welcher Richtung liegt meine Sympathie? Meine Sympathie gibt die Richtung meiner Hauptleidenschaft an. Normalerweise bin ich ja von den Typen angezogen, die genau das Gegenteil von mir darstellen. Typen derselben Art werden sich wahrscheinlich naturhaft nie anziehen; höchstens, wenn die Mischung verschieden ist.
Anfänglich muss man diese Dinge gut unterscheiden. Später fließen sie stark ineinander über. Wenn man sich etwas stückweise und langsam erarbeitet hat, kommt früher oder später auch eine Ganzheit zustande. So geschieht es häufig bei strebsamen Menschen, dass allmählich das Partikularexamen mit dem persönlichen Ideal zusammenfällt. Wenn meine Seele bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen und das persönliche Ideal wirksam geworden ist, gleichsam naturhaft, dann genügt es, wenn ich mein persönliches Ideal erneuere, dann ist auch gleichzeitig der besondere Vorsatz des Partikularexamens erneuert.
Idealpädagogik ist Haltungspädagogik. Jede Erneuerung des persönlichen Ideals ist Erneuerung der Grundeinstellung. Wer Schönstatt versteht, lebt im Wesentlichen von Haltungen, was ja auch das wichtigste ist. Wir haben auch in der Gemeinschaft reichlich Gelegenheit, unsere Haltungen zu vertiefen: in der Geisteserneuerung, dann am 18. und am 20. jeden Monats. Das sind immer Gelegenheiten, unser persönliches Ideal und auch unsere Gemeinschaftsideale zu erneuern und tiefer in sie hineinzuwachsen.
Idealpädagogik ist also Haltungspädagogik gegenüber mechanischer Übungspädagogik. Zweitens ist sie Hochgemutheitspädagogik gegenüber der einfachen Pflichtpädagogik. Natürlich muss Pflichterfüllung vorausgehen. Wir müssen auch Pflichtmenschen werden. Der Pflichtmensch muss nur erhöht werden zu einem Mann der Hochherzigkeit, der über die Pflicht hinauszugehen bereit ist, für den aber die Pflicht eine Selbstverständlichkeit ist.
[Verschiedene praktische Hinweise für die eigene Lebensgestaltung]
Um nun etwas Konkretes zu sagen... wie könnte man das so ungefähr machen?
Ich werfe zunächst einen Seitenblick auf unsere Schwestern. Die Kurse - oft als Kursgeheimnis gehütet - haben für jedes Kleidungsstück beim Anziehen ein originelles Gebet gemacht. Das ist Werktagsheiligkeit, eine Form, den Werktag zu beseelen. Kommt dazu die stark symbolhafte Einstellung, die die Frau von Hause aus hat. Sie will in allem ein Symbol sehen. Und bei einer Frau hängt ja sehr viel mehr von Kleid und Wäsche ab als bei uns.
Ich sage jetzt beileibe nicht, dass wir das nachmachen sollen. Das Prinzip, das dahinter steckt, will sinngemäß auf uns angewandt werden.
Und wenn die Gebete von den Kursen gemacht werden, dann liegt im Vollzug immer auch eine Gemeinschaftspflege.
Angenommen, es schellt morgens. Eigentlich sollte der Morgen mit dem Abend beginnen. Ich hebe jetzt ein paar Punkte hervor, die auch für uns Männer von Bedeutung sind. Zum Beispiel das zeitige Aufstehen. Wenn sie das Abendgebet von Himmelwärts auf sich wirken lassen, dann steht da eigens: „zur festgelegten Stund“. Dahinter steckt eine tiefe Psychologie und Pädagogik. In Gemeinschaft sollten wir sehr streng sein mit dem zeitigen Aufstehen. Früher habe ich scherzhaft gesagt: sonst haben wir schon die erste faule Birne dem Herrgott ins Gesicht geworfen. Es hängt eben sehr viel davon ab, wie der erste Akt unseres Tagewerks aussieht; viel allerdings auch von der ersten Gemütsbewegung am frühen Morgen. Und weil das erste Empfinden, das am Morgen auftaucht, von dem bestimmt wird, was ich tue, bevor ich einschlafe, hängt halt viel von den letzten Akten des vorhergehenden Tagewerks ab. Sie wirken während des Schlafs im Unterbewusstsein weiter und tauchen dann in aller Frühe sofort wieder auf.
Auch wenn ich draußen allein bin und mich freier entfalten kann, muss ich das Prinzip festhalten: ich bestimme am Abend, wann ich aufstehe. Wenn ich es morgens tue, gibt es einen ewigen Kampf mit dem Kopfkissen. Sie können sicher sein, dass das Kopfkissen siegt. Jetzt käme es mir nicht darauf an, wenn ich mir sagen würde - natürlich jetzt übertrieben -: ich schlafe bis 12.00 Uhr. Ich muss es aber abends festlegen. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. Wichtig ist, dass wir die Prinzipien klar haben, die uns helfen, nachher kraftvoll in das Räderwerk der eigenen Seele einzugreifen. Ich kann sogar festlegen, dass ich morgens schlafe, bis ich wach werde. Wenn ich dies allerdings morgens bestimme, dann ist immer etwas Triebmäßiges dabei. Und zumal als Männer sollten wir danach streben, dass wir nicht zu stark von triebmäßigen Regungen abhängig sind.
Aus Erfahrung wissen wir auch, dass es „Spätnaturen“ gibt, die erst gegen 10.00 Uhr morgens wach werden und vorher wie halbe Leichen herum wanken. Die Medizin weiß inzwischen, dass dies mit der Blutzirkulation zusammenhängt. Wenn ich mich nun kenne und weiß, dass mein Blutdruck schwer nach oben kommt - schon ein schweres Opfer für jemand, der daran leidet - dann müsste er ein entsprechendes Mittel anwenden, nach der Art von Kneipp zum Beispiel.
Das hört sich jetzt kompliziert an, ist es aber nicht, zumal nicht, wenn man sich an solche Dinge gewöhnt hat.
Wenn es also schellt, dann richte ich mich im Bett auf. Nicht plötzlich herausspringen! Das kann ich vielleicht als junger Mensch noch tun, aber an sich ist es nicht gut. Jetzt mache ich das Kreuzzeichen, erneuere mein persönliches Ideal und füge dann bei: um es zu erreichen will ich heute das oder das tun, eben was ich im Partikularexamen habe. Die Erneuerung kann ich mit einem doppelten Akzent machen. Ich kann hervorheben: ich will das tun! Ich kann es aber auch passiv färben und sagen: ich bitte um die Gnade, das und das heute tun zu dürfen. Wenn ich mich dann angekleidet und gewaschen habe, dann knie ich nieder und bete, was wir früher das allgemeine Bundesgebet genannt haben und was wir heute das Liebesbündnis nennen: „O meine Gebieterin, o meine Mutter...“
Damit enthält der Morgen schon einen ganzen Komplex von Selbsterziehung.
Natürlich kann ich sagen: das sind ja Kleinigkeiten. Das Leben setzt sich eben aus vielen Kleinigkeiten zusammen. Wenn ich bloß auf „Großigkeiten“ warte, kann ich oft lange warten. Alles, was im Kleinen stetig durchgeführt wird, formt eben auf die Dauer.
Dann weiter. Auch bei der heiligen Messe werden die zwei Pole persönliches Ideal und Partikularexamen weiter wertgesättigt, sei es bei der Opferung, der Wandelung oder der Kommunion. Eine Zeit lang ist es gut, dies bewusst reflexiv zu tun. Sobald der Vorgang zu einer Haltung geworden ist, fließt er von selbst in die Feier der Messe ein. Nach der heiligen Kommunion oder nach der heiligen Messe zum Beispiel: was bringe ich Jesus? Ich will ihm ähnlich werden - aber entsprechend meinem Ideal. Jesus wird geopfert. In welcher Weise will ich ihm ähnlich werden? Entsprechend meinem Partikularexamen. So geht das den ganzen Tag hindurch
Wir müssen noch ein paar Worte darüber verlieren, weil wir als moderne Menschen leicht geneigt sind, dies alles auf die leichte Schulter zu nehmen. Man sitzt die Zeit ab - oft nicht einmal das - tut aber kaum etwas während dieser Zeit. Die Übungen werden vernachlässigt, weil halt so viele andere Dinge zu tun sind. Das geht dann den ganzen Tag hindurch, ob es sich um die Besuchung, die Betrachtung oder die geistliche Lesung handelt.
An sich soll alles ausklingen im Partikularexamen und im persönlichen Ideal, ganz gleich ob als Vorsatz oder als Bitte gefasst. Letzteres hängt davon ab, in welcher Lage die Seele ist. Bei der Bitte falte ich geistig schlicht die Hände, damit die Gnade und die Kraft in mich hineinströmen, um mein Leben zu gestalten oder gestalten zu lassen.
Dann abends. Ich erinnere mich noch an die Zeit von Josef Engling. Als die damals in das wilde Leben des Krieges hinausgingen, wurden die Gemeinschaftsübungen doch nicht mehr gebetet. Die Suche, das zu greifen, was am tiefsten sitzt, hat ergeben, dass es immer das Morgen- und Abendgebet ist, das man von der Mutter gelernt hat. Das konkrete Gebet kann man weglassen, wenn wir in unsere Form so hineinwachsen, dass sie selbstverständlich für uns wird.
Wichtig ist, dass man nicht schlafen geht, ehe man sich eine Buße auferlegt hat, wenigstens für Fehler im Partikularexamen. Damit wird nicht nur das Schuldbewusstsein, sondern auch das Strafbedürfnis befriedigt. Ich sage absichtlich Strafbedürfnis. Wenn man gewöhnlich von der Buße redet - „beten Sie zur Buße...“, dann ist das abgegriffen. Es besagt nicht viel. Das Wort Strafe aber assoziiert viel mehr zu Kindlichkeit, Schlichtheit und entspricht stärker unserem Empfindungsleben.
Was mag eine solche Strafe sein? Das sind so kleine Dinge, und ich weiß nicht, ob ich ihnen das auch so sagen darf. Man kann sich sagen: für jeden Fehler im Partikularexamen berühre ich, eh ich schlafen gehe, mit der Stirne so und so oft oder einmal den Boden. Natürlich, wenn ich das nur formal mache, wenn es nicht beseelt geschieht, ist es weiter nichts als eine gymnastische Übung. Bedenken Sie aber die Symbolträchtigkeit einer solchen Übung, vor allem für die Frauennatur, die auf solche kleinen Dinge mehr angewiesen ist. Der Mensch will erfasst werden, zumal Gott gegenüber. Und mit nüchternen Worten kann man nicht viel ausdrücken von dem, was der innere Sinn des Denkens und Empfindens ist. Symbolhafte Handlungen tun das viel reicher. Ich muss nur den Symbolcharakter hervorheben.
Merken Sie jetzt, wie sehr das Partikularexamen eine Kampfesmethode ist, die den ganzen Tag durchtränkt?
Ich möchte Ihnen das alles darlegen, um eine Richtung zu weisen. Sie können dann machen, was Sie wollen. Wenn Sie aber das Terziat als eine Lebensschule auffassen, tun Sie gut daran, zu überlegen, was für sie persönlich brauchbar ist; auch zu überlegen, was früher oder später in ein Gebräuchebuch aufgenommen werden soll und wie wir dann unsere Jugend zu erziehen haben. . Download pdf . Schönstatt-Lexikon ONLINE: Selbsterziehung - Geistliche Tagesordnung - Partikularexamen Um den Text etwas zu kürzen, seien die Ausführungen unter 1. nur inhaltlich in der Fußnote angegeben. - Pater Kentenich folgt der jesuitischen Tradition und führt aus: die Einstellung den Übungen gegenüber soll sein: - prima imprimis – das Wichtigste an erster Stelle. Damit ist zunächst die Wertschätzung der geistlichen Übungen gemeint, nicht notwendig ihre Ausführung. In der Ausführung mag sehr häufig die Anforderung einer konkreten Situation den Vorrang erhalten. Dann ist auch die innere Freiheit angefragt, sich von einer Übung zu dispensieren. Dies soll allerdings möglichst nicht geschehen mit der geistlichen Übung, die ich für mich als die wichtigste und tragendste erachte. - quam plurimum - so viel wie möglich. Wiederum nicht wörtlich in der Ausführung zu nehmen. Gemeint ist, dass ich mich nicht mit dem Minimum an geistlichen Übungen zufrieden geben soll, sondern aus eigenem Antrieb hochherzig mein geistliches Leben pflegen soll, auch über das vorgeschriebene Maß hinaus. - quam optime - so gut wie möglich. In den geistlichen Übungen soll das ganze Leben sich bündeln. - usque ad mortem - bis zum Tod. Auch im Alter, wenn das geistliche Leben sich gefestigt hat und deshalb von den Übungen relativ unabhängig geworden ist, soll ich an ihnen treu festhalten.
Die Ausführungen Pater Kentenichs an dieser Stelle beziehen sich ausschließlich auf die Entstehungsgeschichte dieser Frage im Apostolischen Bund. Mit der konkreten Regelung versuchte er, eine Mittellinie zu finden zwischen der stark erwachenden Individualität und deren je verschiedenen Reifungsgrade einerseits und dem sozialen Zug andererseits. Dem Anliegen der Einzelperson sollte dadurch Rechnung getragen werden, dass die Hauptverantwortung für die Kontrolle beim Einzelnen selbst liegt, der über sein geistliches Leben nur dem geistlichen Begleiter durch monatliche Mitteilung oder regelmäßige Beichte Rechenschaft ablegen soll. Der Gemeinschaftsbezug und damit auch das berechtigte Anliegen der Gemeinschaft, vom geistlichen Leben der Einzelnen etwas zu wissen, sollte darin ausgedrückt werden, dass an den Gruppenführer die monatliche Mitteilung geht, die „Rechenschaft“ beim „Seelenführer“ sei „im Sinne der Familie“ gemacht. Damit war auch die Möglichkeit gegeben, dass der Geistliche Begleiter von irgendeiner religiösen Übung dispensieren konnte, ohne dass die Gemeinschaft davon weiß. Da außerdem die Einbindung in eine Gemeinschaft als Sicherung des geistlichen Lebens viel wichtiger ist als die geistlichen Übungen, kam es Pater Kentenich vor allem darauf an, überschaubare Gemeinschaftszellen zu schaffen, in denen der einzelne beheimatet und für sein ganzes Leben eingebunden ist: die Kurse. Die Frage, ob im Sinne einer Fremdkontrolle auch eine monatliche Rechenschaft direkt an die zuständigen Stellen der Gemeinschaft monatlich gehen soll, ließ der Gründer bei diesen Ausführungen und zum Zeitpunkt der Gründung - drei Jahre vor der rechtlichen Errichtung und vor gemeinsamen Überlegungen mit anderen Gruppierungen, die auch auf dem Wege zur neuen Pars motrix et centralis waren - offen. Er warf nur die Frage auf.
Die „correctio fraterna“, die brüderliche Zurechtweisung, ist ein probates, wenn auch nicht leicht anzuwendendes Mittel der Gemeinschaftserziehung. Eine Gruppe, ein Kurs - bevorzugt eine gewachsene Gemeinschaft mit genügend Offenheit nach innen und gesunder Geschlossenheit nach außen und möglichst mit neutraler Supervision - hält eine Runde, in der jede/r die anderen charakterisiert und ihr/ihm ihre/seine Grenzen und Schwächen aufzeigt. Das Gelingen hängt weitgehend davon ab, ob in der Gruppe genügend Vertrauen und gegenseitiges Wohlwollen gewachsen ist, so dass die correctio als echte Hilfe für das eigene Wachstum erlebt wird.
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