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2008 (A) Heilige Woche

Homilie zur Mt 27,54 am Palmsonntag im Altenpflegeheim St. Elisabeth und in der Filialkirche St. Johannes d.T. in Großenbuch

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Gekreuzigter im Naumburger Dom - nördliches Querschiff
Gekreuzigter im Naumburger Dom - nördliches Querschiff
„Wahrhaftig, das war Gottes Sohn!“[1]

Dieser Satz des heidnischen Hauptmanns ist nicht nur Glaubensbekenntnis wie bei Markus und auch bei Lukas. Bei Matthäus klingt in diesem Ausruf blankes Entsetzen mit. „Wie bloß konnten wir uns anmaßen, Gottes Sohn zu töten?“[2]
Dabei stehen die Soldaten nur stellvertretend für all jene, an deren Händen das Blut Jesu klebt. Matthäus stellt die
Verantwortung der Beteiligten
mehr als die anderen Evangelisten heraus.
Da sind die Schriftgelehrten und Hohepriester.
  • Sie kennen die heiligen Schriften, auf die sich Jesus immer wieder berufen hat. Matthäus lässt Kajaphas selbst das in eine Frage gekleidete Bekenntnis sprechen, das Jesus der Messias ist. Und doch liefern er und seine Amtsbrüder Jesus an Pilatus aus. Trotz der eindringlichen Warnung seiner Frau spricht dieser das ungerechte Todesurteil. Auch an seinen Händen klebt damit das Blut Jesu, solange er sich auch die Hände waschen mag.
Vor allem ist da das Volk – das ganze Volk!
  • Die „ganze Stadt,“ heißt es bei Matthäus, alle ihre Bewohner jubelten Jesus bei seinem Einzug nach Jerusalem zu. Und alle kommen sie wenige Tage später erneut zusammen, schreien „Ans Kreuz mit ihm!“ und fordern, nicht Jesus, sondern Barábbas freizulassen. Sie tun es in dem Wissen, dass sie sich damit an Jesus versündigen. „Und das ganze Volk rief: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder! “
  • Matthäus will mit diesen Aussagen nicht etwa den Juden die Schuld am Tod Jesu in die Schuhe schieben, wie es in den Jahrhunderten danach Christen – mit Hinweis auf diese Stelle – immer wieder versucht haben. Für Matthäus ist vielmehr entscheidend, dass sich keiner der Beteiligten aus der Verantwortung für den Tod Jesu stehlen kann, dass alle wussten, was sie taten – und damit unsägliche Schuld auf sich luden.
Wir als Menschen des 21. Jahrhunderts
  • haben wahrlich keinen Grund, verächtlich auf die Bewohner Jerusalems von damals herabzuschauen. Wie keiner Generation vor uns ist uns bewusst, welche Verantwortung wir nicht nur als einzelne, sondern auch als Gemeinschaft, als Angehörige eines Volkes und der ganzen Menschheitsfamilie tragen. Und wie sehr wir uns schuldig machen können.
  • Als Deutsche bleibt uns die unfassbare Erfahrung des Dritten Reiches eingebrannt: dass ein 60-Millionen-Volk nicht verhindert hat, dass die Nationalsozialisten an die Macht kamen, ganz Europa in einen katastrophalen Krieg stürzten und Millionen von Menschen umbrachten.
  • Weniger noch als vor 70 Jahren aber kann heute jemand behaupten, er wisse ja nicht, was im eigenen Land oder in noch so entfernten Ecken der Welt vor sich ginge. Wir brauchen das Fernsehen nur anzuschalten oder eine Zeitung aufzuschlagen …
Verantwortung für die heraufziehende Klimakatastrophe
  • Erwähnt sei nur dasjenige Thema, das uns und weite Teile der Menschheit in diesen Monaten so bewegt wie kaum ein zweites: In wenigen Jahrzehnten werden wir die fossilen Energievorräte vergeudet haben, welche die Natur in Jahrmillionen herangebildet hat. Und indem wir sie weiterhin gedankenlos verfeuern, heizen wir unser Klima weiter und weiter an. Die Zeche dafür werden weniger wir, aber sicher als unsere Kinder und Enkel bezahlen müssen. Und am härtesten wird es einmal mehr diejenigen Regionen der Erde treffen, die jetzt schon zu den ärmsten gehören. All das wissen wir – und lassen es geschehen.
  • Niemand sage, dies alles sei doch mit dem Justizmord von damals nicht vergleichbar, schließlich sei Jesus doch Gottes Sohn und die Schuld an seinem Tod darum einzigartig, unüberbietbar. „Was ihr dem geringsten meiner Schwestern und Brüder getan habt, das habt ihr mir getan,“ mahnt der Menschensohn in der Gerichtsrede des Matthäus. Und das gilt für das Gute wie für das Schlechte, das wir unseren Mitmenschen antun.
  • Es ist also ein ebenso ernster wie brandaktueller Spiegel, den uns Matthäus mit seiner Passion Jesu vorhält. Aber: Das ist nur die eine Seite seiner Passion. Denn Matthäus spricht nicht nur von der übergroßen Schuld der Beteiligten, sondern auch von der
Hoffnung auf Versöhnung.
  • Diese klingt an im Abendmahlssaal. Matthäus ist es, der Jesu Spruch über den Kelch: „Trinkt alle daraus, das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird“ ergänzt: um das uns vertraute und kostbare „Zur Vergebung der Sünden!“ Jesus sagt dies im Angesicht seines eigenen Todes. Bei jeder Eucharistiefeier erinnern wir uns dankbar daran: Wenn selbst die Schuld an der Ermordung des Gottessohnes Vergebung findet, dann ist keine Schuld zu groß, als dass sie nicht vergeben werden könnte.
  • Mit dieser Zusage dürfen wir leben – und handeln. Denn die Vergebung, die uns verheißen ist, ist kein Ruhekissen, sondern eine Ermächtigung, Christus auf seinem Weg nachzufolgen.
  • Hätten die Jünger ihren Meister nicht so verstanden, wären sie nach Ostern nicht aufgebrochen und hätten unermüdlich das Evangelium verbreitet. Wie sie verpflichtet sich bis heute jeder, der den Leib und das Blut Jesu empfängt, an Jesu Werk weiterzuarbeiten. Wir wissen, wer Jesus besonders am Herzen lag: seine geringsten Schwestern und Brüder.

[1] Quelle: Liturgie Konkret 2008/03 Frank Peters, Versöhnte Schuld
[2] Mt 27,54

 

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