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Lesejahr 2013 (C)

Homilie zur 200. Vigil für Gottes kostbare Kinder in München St. Paul am 25. Nov 2013

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 Menschwerdung
1  Lehrerstellen werden gestrichen
♦ Vor einem Jahr stand in roten Lettern auf der Titelseite einer deutschen Tageszeitung: Kretschmann streicht Tausende Lehrer-Stellen. Die Lehrer Baden - Württembergs sind geschockt.  Hallo - wie so das? Wurde nicht bis vor kurzem geklagt, dass überall Lehrer fehlten und Schulstunden ausfielen?
♦ Inzwischen dämmert es: Nicht die Lehrer fehlen, sondern die Kinder. Bei 106815 registrierten Abtreibungen im Jahr 2012 und 25 Schüler für eine Klasse sind das 4.272 Schülerklassen im Jahr, bei 12024 Abtreibungen 2012 in Bayern sind es 481 Klassen. Also kann man in Bayern und ähnlich in Baden Württemberg 481 Lehrer in einem Jahr einsparen.
♦ Kein Wunder: Der Landesrechnungshof von Baden Württemberg fordert sogar 14.100 Lehrerstellen zu streichen. Es könne nicht sein, dass die Zahl der Schüler immer weiter sinke und die Zahl der Lehrer steige oder gleichbleibe.
 
2  Geburtstagsboom
♦ Schon Vierjährige feiern heute groß Ihren Geburtstag. Und an der Feier eines runden Geburtstages kommt heute kaum jemand vorbei. Freilich will die Null dahinter auch immer an den Anfang unseres Menschseins vor unserer Geburt erinnern. Vielleicht sind wir deshalb so bemüht, Geburtstag zu feiern, weil wir ahnen, dass es ganz und gar nicht selbstverständlich ist, dass wir da sind - es uns gibt.
♦ Das Fest der Geburt Jesu - Weihnachten ist immer noch - auch bei vielen Getauften - selbst wenn man sie während des Jahres kaum noch im Gottesdienst sieht - ein besonderes Fest. Aber den Geburtstag Jesu und auch unseren eigenen gibt es nur, weil es den Tag der Menschwerdung gibt.
♦ Den Tag der Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth feiern wir genau neun Monate vor Weihnachten - am 25. März. Es ist das Fest der Verkündigung des Herrn. Das war früher ein Feiertag.
♦ Die über 100.000 jährlich allein in Deutschland abgetriebenen Kinder, werden nie einen Geburtstag feiern, nie einen Kindergarten und eine Schule besuchen, nie den Führerschein oder die Meisterprüfung machen, nie einen Kranken pflegen und einen Traurigen trösten, nie einen Toten beweinen und für ihn beten.
♦ Aus dem Geburtstagsboom muss ein Menschwerdungsboom werden. Wir müssen wieder ganz von vorne anfangen zu leben, damit uns das Wunder des Lebens neu aufgeht und seine von Gott geschenkte Würde die Herzen ergreift.
♦ Nicht darum geht es - wie man möglichst früh Sex macht - sondern wie man dem Leben dient und damit der Zukunft des Volkes und des Christseins.
Deshalb hielt ich am Allerseelentag -  meinem 80. Geburtstag
3 Eine Predigt über meine Menschwerdung
Einige wesentliche Gedanken daraus möchte ich mit Ihnen teilen.
Unsere Menschwerdung muss neu ins Bewusstsein gerückt werden. Gehört ins Gespräch der Eltern mit ihren Kindern, in die Sexualerziehung.
3.1 Unser irdisches Leben beginnt nicht mit der Geburt.
♦ Schon neun Monate vorher hat mich Gott als Frucht der Liebesvereinigung meiner Eltern im Leib meiner Mutter mit Leib und Seele geschaffen.
♦ Das musste bei mir ungefähr der 2. Februar 1933 - also Lichtmess - gewesen sein; dem Fest der Darstellung des Herrn, da Maria und Josef das Kind Jesus als Erstgeborenen Gott darbrachten.
3.2 So hat es der Schöpfer eingerichtet
♦︎ In der Verschmelzung der für das menschliche Auge unsichtbaren Zellkerne des weiblichen Eies und der männlichen Samenzelle - in denen das ganze Erbe der Mutter und des Vaters einprogrammiert ist - geschieht unsere Menschwerdung, das Wunder des Lebens.
♦ Die beiden Zellkerne stehen sich im weiblichen Ei miteinander korrespondierend mehrere Stunden gegenüber bis sie die Vereinigung vollziehen.
♦︎ Am Anfang unseres Lebens steht nicht nur die Liebesvereinigung unserer Eltern sondern als deren Folge die Vereinigung der beiden Zellkerne - ein Ereignis von größter Lebendigkeit.
3.3 Gott - der Allgegenwärtige - ist bei und mit uns von Anfang an
3.3.1 Davon spricht der Psalm 139
der als Antwort nach der 1. Lesung uns als Wort Gottes verkündet wurde.
♦︎ Vor Gott, der Geist ist, kann keiner fliehen, keiner sich verstecken. Er ist vertraut mit allen unseren Wegen.[1]
♦︎ Wer an ihn glaubt und sich mit seiner ganzen Existenz ihm anvertraut, erfährt: "Du umschließt mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich."[2]
♦ Aus seiner schöpferischen Liebe bin ich hervorgegangen: "Denn du hast mein Inneres geschaffen, mich gewoben im Schoß meiner Mutter.“[3]
♦︎ Ich kann nur staunen über das Wunder des Lebens, wie es sich aus Kleinstem entfaltet. Heute durch Ultraschall im Mutterleib wahrnehmbar, und doch nicht durchschaubar.
♦ Für Kinder im Vorschulalter ist der kleine Plastik-Embryo überaus begehrenswert. Er stellt das im Mutterleib werdende Kind im Alter von 12 Wochen dar. Wenn wir ein Kind fragen: Was ist das? Kommt sofort die Antwort „ein Baby!“
♦︎ Wir können nur staunen über Gottes Schöpfung aus der wir durch die Liebe unserer Eltern geworden sind. Geformt im Dunkel des Mutterleibs und darin von Gott aufgebaut aus dem Stoff des von ihm geschaffenen Kosmos.[4]
♦︎ Noch mehr als unsere Mutter, deren Fleisch und Blut wir in diesen 9 Monaten geworden sind, war und ist Gott mit uns: "Deine Augen sahen, wie ich entstand... meine Tage waren schon gebildet, als noch keiner von ihnen da war."[5]
♦︎ Jeder gezeugte Mensch macht sich vom ersten Augenblick an auf einen das ganze Leben andauernden Weg des Werdens.
3.3.2  Wir gehören mit unserer ganzen Existenz Gott - dem Freund des Lebens.
♦︎ Auf den ersten Seiten spricht die Bibel davon, dass der Mensch ganz persönlich von Gott geformt und durch seinen Odem angehaucht zum lebendigen Wesen wird.[6] Ijob bekennt „Gottes Geist hat mich erschaffen, der Atem des Allmächtigen mir das Leben gegeben.“[7]
♦︎ Jeder von uns verdankt seine Existenz dem persönlichen Willen und Odem Gottes. Jeder von uns ist vom ersten Augenblick an von Gott geliebt. Ihm dem „Freund des Lebens“ gehören wir.[8]
 Paulus stellt im Römerbrief aber auch fest:
3.3.3 Gott hat die Schöpfung der Vergänglichkeit unterworfen[9]
♦︎ Bei meiner zwei Tage lang dauernden dramatischen Geburt war das Leben von Mutter und Kind stark gefährdet. Die Ärzte sahen das Leben meiner Mutter in Gefahr und wollten es auf meine Kosten retten. „Sie oder das Kind.“ Meine Mutter sagte „nein“.
♦︎ Sie wurde 85 und ich bin jetzt 80. Natürlich bestand die Gefahr, dass ich geschädigt und behindert zur Welt kam. Mein Kopf ist bis heute durch das Trauma der Geburt der empfindlichste Teil meines Körpers.
♦︎ Gott gibt uns das Leben als vergängliches, zeitlich begrenztes. Er kann, ja muss er es uns auch wieder nehmen.
♦ Ijob bekennt auf dem Tiefpunkt seines irdischen von Verlusten heimgesuchten Lebens: „Nackt kam ich hervor aus dem Schoß meiner Mutter; nackt kehre ich dahin zurück. Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen; gelobt sei der Name des Herrn.“[10]
♦ Ijob meißelt mit zerfetzter Haut und vom Tod gezeichnet seine Überzeugung für alle Geschlechter in ein Steindokument:
4 "Ich weiß, dass mein Erlöser lebt, als letzter erhebt er sich über dem Staub."[11]
♦︎ Der Glaube an die Gerechtigkeit Gottes, die Überzeugung, dass die Freundschaft Gottes mit einem Menschen den Tod überdauern müsse; Das Wissen um Gottes Macht und Größe: das alles führte zu der Überzeugung, dass der Tod nicht das Ende des Menschenlebens sein kann.
♦︎ Prophetisch schaut Ijob den Erlöser, den Paulus als den „Ersten der Entschlafenen“ bezeichnet und als den Auferstandenen verkündet.[12] Voller Sehnsucht hält Hiob nach ihm Ausschau: "Ihn selber werde ich dann für mich schauen."[13]
♦︎ Gott nimmt uns das irdische Leben nicht, um  in bewusstlose Materie zerfallend wieder zu Erde zu werden. Er nimmt es, damit wir ewig bei ihm in der Fülle seines Lebens und seiner Herrlichkeit selig sind.
♦︎ Darum verheißt Jesus und sein Evangelium den an ihn Glaubenden, ihm Nachfolgenden und den mit ihm in der Eucharistie Einswerdenden „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am Letzten Tag.“[14]
4.1 Jetzt schon sind wir im Himmel beheimatet.
♦︎ Die dem guten Hirten Gehörenden und auf seine Stimme Hörenden vernehmen die Frohe Botschaft: "Ich gebe ihnen ewiges Leben. Sie werden niemals zugrunde gehen und niemand wird sie meiner Hand entreißen.“[15]
♦︎ Der Himmel also ist unsere wahre und endgültige Heimat. Dort lässt uns Gott an der Fülle seines Lebens, an seiner alles durchwaltenden Schönheit und Liebe teilhaben.
Wir dürfen also
4.2 Erwartungsvoll dem irdischen Ende entgegengehen
♦︎ Der Geist Gottes hat uns ja zu Söhnen gemacht.[16] Das ist nicht geschlechtsspezifisch zu verstehen, sondern meint, dass Gott in jedem auf Jesus Christus getauften Menschen, seinen Sohn sieht und erkennt.
♦︎ Er ist es, der am Ende unseres irdischen Weges auf uns wartet und uns entgegenkommt. Darum schreibt Paulus den Philippern: "Von dort erwarten wir Jesus Christus, den Herrn, als Retter.“[17] Wenn wir sterben, holt uns also nicht der Tod, sondern Gott holt uns heim durch Jesus Christus seinen geliebten Sohn.
♦︎ In ihm ist der Mensch - und mit ihm der Stoff der Schöpfung - in der Auferweckung von den Toten und der Himmelfahrt schon heimgekehrt an das Herz Gottes.
♦ Er verwandelt uns durch seine schöpferische Macht in eine neue Seinsweise. In der Taufe hat Gott schon durch seinen Geist den Keim der Unsterblichkeit in uns hineingelegt.
Tief eingepflanzt ist in uns
4.3 Die unstillbare Sehnsucht, geborgen und daheim zu sein.
♦︎ Die beste Mitgift, die Mutter und Vater ihrem Kind mitgeben können, ist jene Urgeborgenheit, die mit der Schwangerschaft beginnt und in den ersten drei Lebensjahren ausgeformt wird.
♦︎ Freilich die Sünde – die Absonderung von Gott und von Jesus und seiner Kirche - verschließen den menschlichen Geist für die unsere Vorstellungen übertreffende Wirklichkeit, „die Gott jenen bereitet, die ihn lieben“.[18]
♦︎ Sind wir aber gestorben, werden wir nicht ins Nirgendwo entlassen. Im Evangelium sagt uns Jesus. Gott ruft dich durch mich, der ich dir beim Vater eine Wohnung bereitet habe.[19]
Sie wird uns zuteil durch
4.4 Die Nähe zu Gott und die Freundschaft mit Jesus
Je näher ein Mensch Gott seinem Schöpfer ist, je tiefer seine Freundschaft mit Jesus, dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn, umso mehr verliert der Tod seinen Schrecken.
5 Die zum irdischen Leben gezeugten aber im Mutterleib getöteten Kinder
tragen in sich den Anfang des Lebens Jesu und seinen gewaltsamen Tod. Darum vertrauen wir sie dem Mensch gewordenen Gott an, der auch für sie den gewaltsamen Tod auf sich nahm und auferstanden ist.


[1] Ps 139,2
[2] Ps 139,4
[3] Ps 139,13
[4] vgl. Ps 139,15
[5] Ps 139,16
[6] vgl. Gen 2,7
[7] Ijob 33,4
[8] Weish 11,26
[9] Röm 8,20
[10] Ijob 1,26
[11] Ijob 19,25
[12] 1 Kor 15,20
[13] Ijob 19,26
[14] Joh 6,54
[15] Joh 10,28
[16] Röm 8,14
[17] Phil 3,20
[18] 1 Kor 2,9
[19] Joh 14,3