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2008 (B) Advent

Homilie zum Weihnachsthymnus des Bischofs Ambrosius von Mailand (✝ 397) »Intende qui regis Israel« gehalten am 4.Advent in St. Michael Neunkirchen in der Vorabendmesse und Sonntag Abendmesse

===>> Der Hymnus im Urtext (lateinisch), Übersetzung, Alexander Zerfaß; Martin Luther 1524; Markus Jenny 1971
===>> Biblische und liturgische Texte vom 4.Advent (B)
===>> Homilie im Orginalformat lesen oder herunteralden
===>> Gottesdienstvorlage

Die Zeit ist erfüllt. Das Heil ist da!
Die Zeit ist erfüllt. Das Heil ist da!
Ursprung und Weg des göttlichen Messias
[1]

 
Sehnsucht

Der Jüdin Nelly Sachs gelang es 1939 vor den Nazis aus Deutschland nach Schweden zu fliehen. Die heimatlos Gewordene und 1966 mit Literaturnobelpreis Ausgezeichnete wusste, was Sehnsucht ist: „Alles beginnt mit der Sehnsucht. Immer ist im Herzen Raum für Mehr, für Schöneres, für Größeres.“ Im Psalm 38 spricht ein schwer leidender Mensch zu Gott. "All mein Sehnen, Herr, liegt offen vor dir."
Augustinus sagt dazu: "Wenn dein Sehnen offen vor ihm liegt, dann wird es dir der Vater vergelten, der ins Verborgene sieht. Denn dein Sehnen ist dein Gebet, und wenn es ein ununterbrochenes Sehnen ist, dann ist es ein immerwährendes Gebet."

Sehnsuchtsvoll sind die Lieder des Advents.

  • Ich möchte sie am 4.Advent in das Jahr 387 nach Mailand mitnehmen. Der große Bischof Ambrosius hatte gerade den Gottsucher Augustinus getauft. Die Christen Mailands waren damals in Arianer und Katholiken gespalten. Für die Arianer ist Christus ein Geschöpf Gottes. Die Katholiken aber hielten sich an die Aussagen der großen Konzilen: Jesus ist der geliebte Sohn Gottes des Vaters, eines Wesens mit ihm.
  • Ambrosius hat in seinen Lieddichtungen versucht den wahren katholischen Glauben zu bezeugen und zu festigen. Mit sagenhaftem Erfolg hat er nichtbiblische Gesänge in die Tagzeitenliturgie eingeführt. Wirkungsgeschichtlich ist dies in der Westkirche die Geburtsstunde des Kirchenliedes.
  • Insgesamt sind 14 von Ambrosius selbst verfasste Hymnen überliefert, darunter der Weihnachtshymnus Intende qui regis Israel. Luther hat daraus das Adventslied »Nun komm der Heiden Heiland« geschaffen. Markus Jenny hat 1971 dem Ambrosiuslied eine neue deutsche Fassung gegeben: »Komm, du Heiland aller Welt«. Es ist ein Lied an der Schwelle vom Advent nach Weihnachten. Es beginnt mit

Klage und Erwartung
Die ersten beiden Strophen bitten um das Kommen des Erlösers.

  • Strophe 1 - sie ist in unserer Übersetzung weggelassen - ist ein wörtliches Zitat aus dem Anfang von Psalm 80, einem Klagepsalm, in dem das Volk in größter Bedrängnis Gott um sein rettendes Eingreifen anfleht. Diese erste Strophe gibt dem ganzen Hymnus die Grundstimmung.
„Merke auf, der du Israel regierst, der du auf Kerubim thronst, erscheine vor Ephraim, erwecke deine Macht und komm!“
  • Auch an Weihnachten, in der Gewissheit der erfolgten Ankunft des Erlösers, darf und soll die singende Gemeinde sich des in vielerlei Hinsicht beklagenswerten Zustands ihrer Welt bewusst bleiben und um den endgültigen göttlichen Machterweis bitten, der endlich die Neue Schöpfung heraufführen wird.

Das ganze Lied ist von Anfang bis Ende an Christus gerichtet.

  • Wenn aber Christus als der "auf den Cherubim Thronende" angesprochen wird, kann damit zunächst nur der zur Rechten des Vaters erhöhte Herr gemeint sein. Dessen Kommen ist dann wiederum die Parusie, die Wiederkehr in Herrlichkeit am Ende der Tage "zu richten die Lebenden und die Toten", wie wir im Credo bekennen. Das hat zunächst wenig mit der weihnachtlichen Stimmung zu tun, wie man sie sich heute landläufig vorstellt. Das Thema des Liedes heißt

Von der Krippe übers Kreuz zur Verherrlichung
Von der Krippe übers Kreuz zur Verherrlichung
Von der Krippe zum Kreuz - von der Selbstentäußerung zur Wiederkehr

Der weitere Verlauf des Hymnus kommt dieser Erwartung zunächst entgegen. Strophe 2 lenkt den Blick nämlich auf jene erste Ankunft des Erlösers im Stall von Betlehem die durch die weihnachtliche Liturgie vergegenwärtigt wird. Ambrosius singt in der 2. Strophe:

„Komm, Erlöser der Heiden, offenbare die Jungfrauengeburt. Es staune alle Welt: Eine solche Geburt ziemt sich für Gott.“
„1. Komm, du Heiland aller Welt; Sohn der Jungfrau, mach dich kund. Darob staune, was da lebt: Also will Gott werden Mensch.“

Es geht also um die Offenbarung der Jungfrauengeburt. Das Evangelium sagt: "Der Engel Gabriel wurde von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazaret zu einer Jungfrau gesandt." Gott will die Welt dadurch zum Staunen bringen. Weil er sich ganz mit seinen Geschöpfen verbinden will, geht er diesen Weg; denn das Kind soll die göttliche und die menschliche Natur in sich vereinen. In ihm verbinden sich Himmel und Erde.
In der dritten Strophe, die in der modernen Übertragung die 2. ist, entfaltet Ambrosius diese Wahrheit:
„Nicht aus dem Samen eines Mannes, sondern durch geheimnisvollen Hauch ist das Wort Gottes Fleisch geworden, und die Frucht des Leibes ist erblüht.“
  • Auf die Frage Mariens, "wie das geschehen soll, da ich keinen Mann erkenne," antwortet der Engel: "Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden." Genau das meint unser Lied:
2. Nicht nach eines Menschen Sinn, sondern durch des Geistes Hauch kommt das Wort in unser Fleisch und erblüht aus Mutterschoß.
In der 4. Strophe, die in unserer ersten auch anklingt, besingt Ambrosius die Jungfräulichkeit Mariens.
„Der Leib der Jungfrau schwillt an, der Riegel der Scham verbleibt (verschlossen), die Tugendstandarten blitzen auf, Gott weilt im Tempel.“
  • Mariens Leib ist einzig und allein Tempel Gottes. Kein Mann ist je in ihn eingedrungen. Maria gehört ganz und gar Gott.
Von daher verstehen wir die 5. Strophe des Ambrosius Liedes.
„Es geht hervor aus seinem Brautgemach, dem königlichen Thronsaal der Keuschheit, der Gigant von zweifacher Natur, um voll Eifer seinen Weg zu laufen.“
  • Mariens Leib ist Brautgemach Gottes, aus dem sein Sohn als Gigant von zweifacher, von göttlicher und menschlicher Natur hervorgeht.
In 4. Strophe unseres heutigen Liedes heißt das so:
3. Wie die Sonne sich erhebt und den Weg als Held durcheilt, so erschien er in der Welt, wesenhaft ganz Gott und Mensch.
  • Als Gottmensch ist seine Bestimmung »voll Eifer seinen Weg zu laufen« oder wie es in unserem Lied heißt: "den Weg als Held durcheilen«.
  • Dieser Weg führt von Bethlehem nach Golgota, zu Tod und Auferstehung. Erst von Ostern her erhält Weihnachten seinen Sinn. Die Entäußerung und Erniedrigung des Gottessohnes in der Menschwerdung führt ihn 'bis hinab zu den Toten', wie es im dritten Vers der sechsten Strophe heißt. Dieser scheinbare Tiefpunkt ist jedoch zugleich der Gipfelpunkt des Erlösungswerks.
  • Die Osterikone der östlichen Christenheit bringt dies prägnant zum Ausdruck. "Hinabgestiegen in das Reich des Todes" (Apostolisches Glaubensbekenntnis), zerbricht Christus das Tor der Unterwelt, unterwirft deren Herrscher und befreit damit die Menschheit vom Tod.“ Die Todesbotschaft der so genannten 'Höllenfahrt' ist zugleich die Botschaft von der Auferstehung der Toten. Grandios drückt Ambrosius dies in der 6. Strophe seines Liedes aus:
„Sein Ausgang (rührt) vom Vater her, seine Rückkehr (führt) zum Vater hin; der Auszug (reicht) bis zu den Toten, der Rücklauf (führt) zum Throne Gottes.
  • Als dem Vater im Wesen Gleicher bringt er in der Auferstehung unser vergängliches Fleisch als Beute mit heim zum Vater und verklärt es mit seiner unvergänglichen Lebenskraft. Jubelnd preist Ambrosius in der 7. Und vorletzten Strophe seines Liedes Christus:
„(Du) dem ewigen Vater Gleicher, gürte dich mit der Waffen Beute des Fleisches, indem du das Schwache unseres Leibes mit unvergänglicher Kraft stärkst.“
  • Der Lobpreis Christi ist in unserer Fassung zum Lobpreis auf den dreieinigen Gott geworden und zur abschließenden Strophe geworden.
Bei Ambrosius ist die letzte Strophe seines Liedes unsere vorletzte:
"Nun strahlt deine Krippe, und die Nacht atmet das neue Licht, das keine Nacht trüben möge und (das) durch steten Glauben (weiter) leuchte."
In der heutigen modernen Fassung klingt dies so:
„4. Glanz strahlt von der Krippe auf, neues Licht entströmt der Nacht. Nun obsiegt kein Dunkel mehr, und der Glaube trägt das Licht.“

Manchmal sind Kinder die besten Theologen.

  • Ein vierjähriger fragte seine Mutter als er vor unserem Jesuskind in der Krippe stand: "Mama, darf ich Jesus streicheln." Die Mutter nickte dem Buben zu. Dieser streichelte das Jesuskind und sagte: "Armer Jesus. Wenn du groß bist, schlagen sie dich ans Kreuz."
  • Krippe und Kreuz sind aus dem gleichen Holz. Weihnachten - Passion und Auferstehung gehören zusammen. Die Liturgie bewahrt in ihren Lesungen, Gesängen und Gebeten bis heute

die eschatologische endzeitliche Dimension des Advents.

Im allgemeinen Bewusstsein aber nicht nur außerhalb sondern auch innerhalb der Kirche ist davon kaum etwas wahrzunehmen.
  • Der Hymnus des Ambrosius könnte an dieser Stelle unsere Spiritualität bereichern und uns helfen, den Blick über den Tellerrand der weihnachtlichen Routine zu erheben. Auf diese Weise würde er uns besser den Ernst dessen erkennen lassen, was wir feiern. Ambrosius könnte uns lehren, auch und gerade an Weihnachten die Spannung von Verheißung und Erfüllung auszuhalten.
  • Ambrosius mahnt uns durch sein Lied: Nicht nur Warten auf Weihnachten, sondern auch Warten an Weihnachten, warten auf den erhöhten Herrn, der kommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten. Er wird die Erlösung vollenden.
Die Selbstentäußerung des in Jesus menschgewordenen Sohnes Gottes vollendet sich in seiner Wiederkehr.

 

[1] Quelle z.T. Zeitschrift „Gottesdienst“ 2008 Nr. 23 S.177 - 180

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