PredigtenÜbersichtLesejahr A 2016/12 bis 2017/11Predigt - Homilie am 3. Osterso. in der Sonntagabendmesse
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Befreiendes und heilendes Erinnern 1 Lebensauffassungen und Erfahrungen
1.1 Mit mehr als zwei dem christlichen Gauben widersprechenden Lebensauffasssungen sind wir heute als Christen konfrontiert.
- Zwei drängen sich momentan besonders auf: Einmal ein kämpferischer, besonders von Philosophen und Wissenschaftlern vertretener Atheismus zum anderen sagen uns zum Islam konvertierte Deutsche, am Islam fasziniere sie, dass der Mensch keiner Erlösung bedürfe.
- Unter dem Titel »Was führen die Atheisten im Schilde«? [1] beschrieb der englische Philosoph John Gray schon vor 9 Jahren, was auf uns Christen in Europa zukommt. Der abgelehnte Gott ist Mode. Philosophen behaupten: Der Glaube stehe dem Fortschritt im Wege. Für sie ist Religion ein Gift, das bis heute für Gewalt und Unfreiheit sorge. Der islamistische Terror scheint dies zu bestätigen.
- Dass die menschenverachtenden Weltanschauungen des Nationalsozialismus und des Kommunismus stalinistischer und maoistischer Prägung atheistische Diktaturen waren, bagatellisieren sie. Sie behaupten dreist, Religion sei etwas Schlechtes, das stehe fest, und habe im Westen daher auch keine Zukunft.
- Ein zum Islam konvertierter deutscher Journalist, begründete seine Konversion zum Islam so: "Als mir klar wurde: Im Islam »gebe es keine Erbsünde, daher keine Erlösung, daher ist Jesus nicht am Kreuz gestorben, sondern Prophet... das ist genau das, was meinem Denken und Fühlen entspricht«.[2]
1.2 Erbsünde - Ursprungssünde
1.2.1 Der Ursprung und der Anfang jeder Sünde
- beginnt mit der Absonderung des Menschen von Gott und seinem Willen. Nach der Sintflut spricht Gott bei sich: » ...das Trachten des Menschen ist böse von Jugend an«.[3] Diese Neigung zur Absonderung als Folge der Ursünde ist jedem mit in die Wiege gelegt.
- Wenn wir in die Geschichte der Völker und auch der Einzelnen hineinschauen, entdecken wir, wie wahr dies ist. Der Christ verdrängt die negativen Seiten des Menschen und seiner Geschichte nicht. Er stellt sich ihr.
1.2.2 Der Christ lässt sich vom Unschuldswahn unserer Zeit nicht anstecken
- Der Christ weiß, dass Sünde gibt – die Absonderung von Gott und seinen Geboten, die Absonderung vom Mitmenschen, aber auch von der eignen Person und von Gottes Schöpfung. Wie viele Menschen gibt es, die nicht nur ihre Mitmenschen, sondern auch sich selber hassen.
- Der Kern der Erbsündenlehre lautet: Christus ist der Erlöser aller Menschen, denn alle Menschen ohne Ausnahme haben Erlösung und Befreiung durch Gott nötig.
- Natürlich, für den selbstgenügsamen Menschen ist es schon eine Zumutung, sich nicht sich selbst, sondern sich Gott zu verdanken. Für viele ist es provozierend, wenn ihnen gesagt wird, sie hätten versagt und würden immer noch versagen, und sie könnten dem aus eigener Kraft nicht entgehen.
1.2.3 Wir überschätzen unsere Kräfte und Möglichkeiten
- wenn wir meinen, den sündhaften Strukturen und schicksalhaften Verstrickungen in das Böse entgehen zu können. Man braucht nur das Buch von Jonathan Littell, Die Wohlgesinnten,[4] über die nationalsozialistische Versuchung zu lesen oder seinen neuesten Film über Kindersoldaten in Uganda – Mörder und Opfer[5] - zu sehen, um solche Verstrickung in ihrer ganzen Ausweglosigkeit zu begreifen.
- Die Grundaussage der Erbsündenlehre ist: der Mensch braucht Gott als Quelle seines Seins und seiner Erlösung.
Was meint
1.3 Erlösung durch Jesus Christus? - Der Christ kann niemals von Sünde und Schuld sprechen, ohne zugleich auch von der in Christus den Menschen verheißenen und zugesprochenen Vergebung zu sprechen.
1.3.1 Gott erbarmt sich des Menschen
- und eben deswegen können Rechtfertigung, Erlösung und Heil nicht aus eigener Kraft des Menschen kommen. Eltern, die ihre Kinder taufen lassen, stellen sie auf diesen Weg der Vergebung und des Erbarmens, öffnen ihnen die Tür zur Erlösung, die Gott uns in Jesus Christus eröffnet hat.
1.3.2 Christus, der ganz dem Willen Gottes gehorsam war, befreit uns durch seine Selbsthingabe
- die allen gilt, den ihn lästernden Feinden genauso wie dem mit ihm gekreuzigten um Erbarmen bittenden Raubmörder, seiner Mutter und seinem Freund Johannes. Der Petrusbrief drückt dies mit dem für jüdische Ohren bedeutsamen Höchstpreis aus »ihr seid losgekauft durch das Blut des Lammes ohne Fehl und Makel«.[6]
- Wirklichkeitsnah denkende und empfindende Menschen wissen, keiner kommt ohne Sünde durchs Leben. So offenbart die Sünde einerseits die Ohnmacht des Menschen, anderseits offenbart Gott an der Sünde die Größe seiner Gnade. Menschliche Schuld wird in Christus – so singt es das Exsultet, der österliche Lobgesang zur "glückseligen Schuld" ("felix culpa").
1.3.3 Als Christen müssen und dürfen wir Schuld nicht verdrängen
- denn Gott ruft uns durch Jesus und durch seine Mutter bei all ihren Erscheinungen zur Umkehr. Er schenkt uns um Jesu willen sein Erbarmen und in der Vergebung einen Neuanfang.
- Als erste Frucht seines erlösenden Todes und seiner seligmachenden Auferstehung haucht der Auferstandene seinen Apostel den Heiligen Geist zu und bevollmächtigt sie Sünden zu vergeben oder zu behalten, so dass es bei Gott gilt.
Für uns Christen gibt es ein
2. Befreiendes und Heilendes Erinnern
2.1 Angesichts der Geschichtsvergessenheit
- moderner Atheisten und des Verdrängens der Schuld durch viele Zeitgenossen, sowie der Geschichtsschönung durch den Islam, fragt uns Johann Baptist Metz in seinem Buch »Memoria passionis«:
- »Wo gibt es in Europa eine Gegenkultur zu der um sich greifenden Zivilisation des Vergessens, wo eine Kultur des Eingedenkens, eine Gedächtniskultur, die den richtungslosen Turbulenzen unserer Beschleunigungsgesellschaft humane Identität abringt? Eine Identität, die sich nicht gegen fremdes Unglück und nicht gegen das Leid, nicht gegen das vergangene Leid abdichtet?«[7]
In der Religion Israels wie des Christentums war immer die 2.2 Erinnerung ein zentraler Bestandteil im Leben und Kult
- Jährlich erinnert Israels seit Jahrtausenden durch die Pessachfeier an die Befreiung aus der Sklaverei Ägyptens und an den Bund Gottes mit seinem Volk.
- Die Passionsberichte der Evangelien sind der älteste Teil des Neuen Testaments. Die Wirklichkeit des Lebens, auch Kreuz und Tod werden im Christentum nicht verdrängt, sondern bewusst wahrgenommen und in der Liturgie erinnert und feiernd vor Gott gebracht.
- So gilt gerade für das Christentum, wie Metz sagt, "dass es nicht nur ein Gedächtnis »hat«, sondern dass es in seinem Kern ein Gedächtnis »ist«: „die Erinnerung des Leidens, des Todes und der Auferweckung des Christus."
- Wir dürfen uns des Schweren, auch des Scheiterns erinnern, weil es nicht das Endgültige ist, weil Gott daraus den Ausweg weiß und schenkt, wie uns die Auferweckung Jesu von den Toten zeigt.
- Aber nicht nur des Schweren und Harten sollen wir uns erinnern, sondern auch dessen, was Mut und Hoffnung macht.
Das heutige Evangelium überliefert uns ein solch 2.3 Wirklichkeitsbezogenes Erinnern der Jünger
- Diese dritte Begegnung mit dem Auferstandenen fängt sehr alltäglich und frustrierend an: Die Jünger gehen fischen - und fangen keinen einzigen Fisch. Leerlauf, wie schon so oft.
- Eine Erfahrung, die wir beruflich und persönlich auch machen. Sie kann einen in die Resignation und Freudlosigkeit hineintreiben, die Antriebskraft lähmen.
- Und doch plötzlich ändert sich alles, plötzlich wird Ostern, wo vorher Resignation, Trauer, Rückkehr in den Alltag war. Ausgerechnet in einem Moment, da niemand es erwartet hätte, ist das Netz voll mit 153 Fischen.
- Der wunderbare Fang hält fest, wie unerwartet das Leben gelingen kann, wenn wir wie Petrus und seine Gefährten auf die Stimme des Auferstandenen hören. Solche österliche Augenblicke gilt es im Alltag wahrzunehmen, festzuhalten, zu erinnern. Es ist die staunende Erkenntnis, dass auf den Karfreitag Ostern folgt.
- Zum österlichen Durchbruch gehören wie bei einer Geburt die Schmerzen und Wehen. Erst die Schmerzen - der Karfreitag, dann das neue Leben, das der Auferstandene schenkt.
- In den Ostermotiven von Fisch und Brot zeigt sich, dass die Begegnung mit Jesus eine existenziell nährende und sehr konkrete Angelegenheit ist. Der Auferstandene erscheint nicht abgehoben, sein Bezug zu den elementaren irdischen Bedürfnissen ist nicht gebrochen.
- »Kommt her und esst«! Jetzt, da wir Eucharistie, seinen Tod und seine Auferstehung und sein Wiederkommen in Herrlichkeit feiern, sagt er uns dies. »Kommt her und esst«! Kommen wir, essen wir, lassen wir uns von ihm beschenken, damit unsere Netze sich füllen und unser Hunger gestillt wird. Der Glaube an den Auferstandenen wirkt Wunder. [8]
Homilie zu: 1. L Apg 2,14.22–33; 2. L 1 Petr 1,17–21; Joh 21,1–14 [1] Frankfurter Allgemeine 29. März 2008 Nr. 74, Z1 [2] Katholische Welt, BR II; 30.3.2008, 8.00 Uhr [3] Gen 8,21 [4] Jonathan Littell, Die Wohlgesinnten, Berlin Verlag [5] FAZ 2017 Nr. 99 S.11 Gibt es eine Rückkehr aus dem Grauen? [6] 1 Petr 1,18f. [7] Johann Baptist Metz, Memoria Passionis, Herder 2006, S. 238 [8] (Laacher Messbuch 2008 S.375)
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