Predigten
Übersicht2006/7Homilie am 2.Weihnachtstag zum Fest des Hl.Stephanus in der Frühmesse in St. Michael Neunkirchen
|
|
vd2006 |
97/12 Fest d. hl. Stephanus (C) Steinigung (Apg 6,58) byz. Buchmalerei, 11. Jh Bergmoser & Höller |
|
STEPHANUS - VOLL GNADE UND KRAFT 1
Menschlichkeit - Unmenschlichkeit
Das hätten wir so schnell nicht erwartet. Dem Tag der Menschwerdung Gottes folgt die Visitenkarte der Unmenschlichkeit. Die Geschichte des Kindes von Bethlehem und des Gekreuzigten von Golgota ist nicht der Stoff, aus dem die Träume sind. Jesu Warnung an seine Jünger: »Nehmt euch vor den Menschen in acht«!2 ist nicht die Frucht eines traurigen Pessimismus. Sie ist eine ganz konkrete Warnung vor denen, die sich seiner Botschaft von der Liebe, der Gerechtigkeit, dem Frieden und der Versöhnung in den Weg stellen würden.
Diese Menschen, so sagt Jesus, gibt es in den religiös-kirchlichen Systemen genauso, wie sie in den politisch-gesellschaftlichen zu finden sind. Seinetwegen wird es Risse geben quer durch alle zwischenmenschlichen Beziehungen. Schon die Nennung seines Namens wird manche so in Rage bringen, dass sie ihr Menschsein und ihre Menschlichkeit vergessen würden.
Für Verteidigung wird es dann keine Chance mehr geben. Nur noch das Zeugnis würde bleiben und die Gewissheit: „Nicht ihr werdet dann reden, sondern der Geist eures Vaters wird durch euch reden."3 Die Geschichte zeigt, wie Recht Jesus haben sollte. Auch unsere Gegenwart ist voll mit den Opfern der rohen Gewalt gegen die Menschlichkeit, gegen das religiöse Bekenntnis und gegen die Überzeugung, dass diese Welt mehr sein kann als der Schauplatz von Klassenkämpfen und die Arena vom Kampf aller gegen alle. Das Zeugnis des Märtyrers
Einer der ersten, der Protomärtyrer, der Prototyp für diese Erfahrung ist Stephans, der im Steinhagel einer blindwütigen Menge zusammenbrach. Die Apostelgeschichte sagt von ihm: „Stephanus aber, voll Gnade und Kraft, tat Wunder und große Zeichen unter dem Volk."4 Wer mit ihm streiten wollte, der musste sich gut wappnen, denn seiner Weisheit und seinem Geist war schwer zu widerstehen. Da sie seiner Weisheit nicht gewachsen waren, mussten Verleumdungen, Unterstellungen und Falschaussagen ihn zu Fall bringen.
Als sich Stephanus vor dem Hohen Rat verantworten musste, trug er den dort Versammelten lediglich ihre eigene Geschichte vor: die Geschichte ihrer Befreiung und der Verheißung, aber auch die Geschichte ihres Versagens und ihrer Weigerung. Und so kam es, wie es kommen musste. Sie hielten sich die Ohren zu und knirschten mit den Zähnen. Sie trieben ihn zur Stadt hinaus. Und dann hoben sie Steine auf. Das Drehbuch für diese Art der Verfolgung und Menschenhetze ist bis auf den heutigen Tag gleich geblieben. Nichts hat sich daran geändert. Es reicht, dass einer die Wahrheit sagt und "die Menschen an sich selbst erinnert" (K. Jaspers). Es reicht, dass einer - wie Stephanus - den Himmel offen sieht. Dass man damals einem jungen Mann namens Saulus zujubelte, sei nur am Rande erwähnt. Er ist nicht unschuldig am Tode des ersten Zeugen für die Sache Jesu.
Ist also am 2. Weihnachtsfeiertag alles wieder beim Alten? Oder ist etwa doch etwas anders geworden? Das Leben, die Menschwerdung Gottes, die wir gestern gefeiert haben, ist nicht mehr zunichte zu machen. Es wird keinen Lauf der Dinge mehr geben, wie es uns der sog. gesunde Menschenverstand weismachen will.
Der erste Märtyrer der Nachfolge Jesu hat den Himmel offen gesehen: das Leben, das diesen Namen verdient. Sein Leben erschöpft sich nicht im Diesseits, nicht im Zeitlichen, Es hat eine ewige Zukunft. Es läuft nicht auf Grab zu, sondern auf die unverlierbare Fülle des Lebens. Es leidet nicht unter Unbehaustheit, sondern ist im Ewigen beheimatet. Weil er unter dieser Perspektive lebt, hat er keine Angst vor seinen Hassern. So ist sein Schicksal wie das aller Märtyrer der Vorzeit und all derer, die nach ihm kommen sollten, exemplarisch, Beispiel gebend geworden.
Aber auch die Handschrift des Unmenschlichen ist exemplarisch geworden: Die Steinigung ist weniger eine Handlung im Affekt, wie es in der Gerichtssprache heißt, sondern sie zeigt eine perverse Struktur, in der Gewalt und Mord gedeihen können. Die schlimmste Form von Gewalt, ist das Säen von Hass. In etlichen islamischen Ländern, besonders in Palestina, im Irak und auch wieder in Afghanistan sehen wir dem Hass täglich ins Angesicht. Kinder und Jugendliche werden von Alkaida Lehrern zu Sebstmordattentätern ausgebildet. Unter dem Vorwand für Allah zu sterben, werden sie zu Mördern, die kein Erbarmen kennen. Und das Schlimmste: Ihre Eltern sind auch noch stolz auf sie.
Glaube verlangt Tapferkeit
Wer heute Christ sein will, der muss sich wappnen im Streit über Weltanschauungen und Glaubensauffassungen, über Wertvorstellungen und ethische Maßstäbe. Da gibt es halsstarrigen Dogmatismus mit einem Anspruch auf Wahrheit, der nur allzu oft über Leichen zu gehen bereit ist. Und da gibt es das Gefühl des Unterlegenseins, das nicht verkraftet werden kann und im Menschen ein Potential an wildwachsender Rache auslöst. Schauen Sie nur auf die jugendlichen Amokläufer und die Rechtsradikalen in unserem Land. Vielfach sind es Jugendliche, die der Wirklichkeit des Lebens, der Schule, des Berufes nicht gewachsen sind. Sie haben schlechte Zukunftsaussichten und deshalb sind sie anfällig für den Hass. "Wer seinen Bruder hasst, ist ein Mörder", sagt Johannes in seinem 1.Brief. 5
Der Text der heutigen Lesung skizziert das Psychogramm der Unmenschlichkeit: Die innere Bosheit verzerrt das Gesicht des Menschen und lässt ihn mit den Zähnen knirschen. Lautes Geschrei gibt es mündlich und schriftlich. Wenn erwachsene Menschen sich die Ohren zuhalten und einfach so tun, als sei das Gehörte nicht gesagt worden, dann ist das eine lächerlich naive Geste. Das ist die Solidarität derer, die sich sonst nicht riechen können, außer wenn es um einen gemeinsamen Feind geht. Da ist die Vertreibung aus der Stadt: wenn aus Freunden Fremde und aus Brüdern Feinde werden, wenn die Welt -gesäubert- wird: ethnisch, ethisch, theologisch, politisch.
Und die Steigerung von allem ist, dass jeder plötzlich etwas in der Hand hat, was tödlich ist: ein Wort, einen Blick, eine Erinnerung, ein Schweigen. Steine eben! Selbst die Kulisse stimmt: Da sind die Voyeure des Unrechts und der Unmenschlichkeit, die schweigende Mehrheit. Es ist unbegreiflich, dass diese Sünde in keinem Beichtspiegel steht: ich habe nichts gemacht, ich habe nur zugeschaut. Aber selbst ein Beichtspiegel nützt nichts, wenn keiner sich damit auseinander setzt.
Das alles ist nicht nur die Geschichte eines Affektes, sondern die Folge der destruktiven Kräfte, die eben auch aus der Tiefe des menschlichen Herzens kommen können. Oft sind sie nicht einmal sehr tief unter der Oberfläche gelagert.
Stephanus sah den Himmel offen. Als Mensch des Glaubens und der Tapferkeit konnte er selbst seinen Mördern verzeihen. Hierin ist er wie Jesus. Ihm gebührt in der Tat das erste Gedenken nach Weihnachten. An Stephanus wird ablesbar, was einen Christen ausmacht: Er bemüht sich um eine ständige Vertiefung seines Glaubens und er steht den Hilfsbdürftigen bei. So werden wir fähig, den Suchenden und Fragenden »Rede und Antwort zu geben, wenn sie uns nach dem Grund unserer Hoffnung fragen«.6 Nur wer im christlichen Glauben wirklich zuhause ist, kann mit anderen Religionen, Weltanschauungen, nichtchristlichen Lebensentwürfen in einen fruchtbaren Dialog treten. Nur dann sind wir in der Lage auch den Gottesleugnern, Christenhassern und Kirchenfeinden entgegenzutreten.
Heute am Stephanustag bedeutet Weihnachten für uns: Gott wurde in Jesus Mensch, damit wir Menschen nach dem Bild Gottes werden. In der Verbindung mit Jesus werden wir wie Stephanus von Jesus echtes Menschsein lernen. Dann wird auch für uns der Himmel offen sein.
1 Gottes Wort im Kirchenjahr 2002 S. 73 f. 2 Mt 10,17 3 Mt 10,20 4 Apg 6,8 5 1 Joh 3,15 6 1 Petr 3,15
|