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Predigten

2006

Homilie zu Ez 1,28b - 2,5 am 14.Sonntag im Jahreskreis
(Altenheim St.Elisabeth und Sonntagabendmesse in St. Michael)

Das Schicksal des Propheten
  Buchmalerei 14. Jht.
Das Schicksal des Propheten
Buchmalerei 14. Jht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Unsere prophetische Berufung

Den Mund halten?

Wenn wir jemand loben, ihm sagen, was für ein prima Mensch oder Chef er ist, dann geht es uns gut, ist uns die Sympathie des Gelobten sicher.
Jemanden aber offen zu kritisieren, ihm unangenehme Wahrheiten zu sagen, davor fürchten sich die meisten. Und je mächtiger der andere ist, je mehr Einfluss er hat, desto mehr sind wir auf der Hut. Denn wir müssen damit rechnen, fertig gemacht oder kaltgestellt zu werden.
Wir kennen die Parolen: "Halt deinen Mund, dann bekommst du keine Scherereien." "Vergiss nicht, der Ober sticht den Unter". "Schweig, sonst verlierst du deinen Arbeitsplatz."

Berufung zum Propheten

Was aber, wenn einer von Gott gepackt wird wie Ezechiel in der heutigen Lesung. Wenn einer oder eine von ihm angesprochen wird: "Stell dich auf deine Füße, Mensch; ich will mit dir reden."[1] Dann gibt es kein Ausweichen.
Ezechiel , nach der Eroberung Jerusalems durch die Babylonier 597 v. Chr. mit nach Babylon deportiert, erhält wenige Jahre später einen prophetischen Auftrag, wie er auf den ersten Blick zunächst düsterer und deprimierender nicht sein kann: Gott sendet ihn zu seinem Volk, das in V. 3f in einem scharfen Gotteswort als abtrünnig und halsstarrig charakterisiert wird.
Dabei kommt es bei diesem Unternehmen nicht auf den Erfolg an. Es ist die Absicht Gottes: "Ob sie hören oder nicht, sie werden erkennen müssen, dass mitten unter ihnen ein Prophet war."[2]

Prophetie als Zeichen Gottes

Prophetische Menschen sind ein Zeichen dafür, dass auch in fast aussichtsloser Verhärtung Gott zu seinem Volk umkehrt, wie er es durch den Propheten Hosea verkündet: "Mein Herz kehrt sich um in mir, mein Erbarmen ist entbrannt... Denn Gott bin ich und nicht ein Mensch; ich bin der Heilige mitten unter dir und nicht dein Vertilger." [3]
Das Prophetische ist also die intensive Zuwendung Gottes in der Abwendung seines Volkes. Viele Deutsche erfuhren erst nach dem Zusammenbruch der Naziherrschaft, dass es auch während des 3.Reiches Propheten unter uns gab, die das Unrecht anprangerten und dies meist mit ihrem Leben bezahlten. Weil uns Gott in dieser schrecklichen Verirrung nicht allein ließ, sondern Propheten in unserem Volk und unseren Kirchen erweckte, konnten die Sieger erkennen, dass nicht alle Deutsche Hitleranhänger waren.
Die überwältigende Wucht der Gotteserscheinung hat den Ezechiel auf die Erde geworfen. Aber er darf dort nicht liegen bleiben. "Stell dich auf deine Füße, Menschensohn; ich will mit dir reden." Ja, wenn Gott ruft, dann müssen wir uns auf die Hinterfüße stellen, bereit sein, für ihn zu sprechen, zu ermutigen, anzuklagen. Ein schweres Amt!

Zum Glück bin ich kein Prophet

Zum Glück, werden sie sagen, bin ich nicht zum Propheten berufen. Zum Glück muss ich nicht in meinem Heimatort predigen wie Jesus. Die Ablehnung seiner Landsleute erfahrend erkannte er, dass "nirgends ein Prophet so wenig Ansehen hat wie in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie."[4]
Zum Glück werden manche sagen, kann ich meinen Mund halten. Und doch, wer seinen Mund hält, macht sich zum Komplizen derer, die Unrecht tun oder verderbliche Entwicklungen befördern. Wer den Mund aufmacht, wird als Nestbeschmutzer, als Stänkerer diffamiert. Also hält er lieber den Mund; denn Propheten leben gefährlich.

Jeder Getaufte hat teil am Prophetentum Christi

Und doch darf kein Getaufter sagen: "Zum Glück bin ich kein Prophet." Heute werden in unserer Pfarrkirche vier Kinder getauft. Der Priester wird unmittelbar nach der Taufe jedes Kind mit dem heiligen Chrisam salben und dabei sprechen: "Du gehörst für immer Christus an, der gesalbt ist zum Priester, König und Propheten in Ewigkeit."[5]
Als Getaufter hat jeder und jede von uns Anteil am Prophetentum Jesu Christi. "Der Geist des Herrn erweckt den Geist in Sehern und Propheten, der das Erbarmen Gottes weist und Heil in tiefsten Nöten."[6] Dieser Geist - im Hebräischen RUACH - ist der weibliche Erfahrungshintergrund Gottes.
"Diese Ruach ist die Kraft, die schon bei der Schöpfung am Anfang der Bibel wirksam war.
Sie ist auch der Lebensatem, den Gott in die Nase der Menschen bläst, damit sie lebendige Wesen werden.
Ruach kann auch Wind und Sturm bedeuten, immer aber ist es eine wirkmächtige Kraft, die bewegt und anderes in Bewegung setzt, auch die Vollmacht, die Propheten inspiriert, begeistert, zum Handeln antreibt."[7]
Wer getauft und gefirmt ist, der ist auch zu prophetischem Reden und Handeln berufen.
Michael Graff hat am Beispiel des Propheten Jeremia gezeigt, was prophetisches Reden und Handeln sein soll. "Propheten sind Feuerstellen, Verbrennungspunkte Gottes in einer fröstelnden Umgebung. Sie wärmen und bringen in Fahrt, fahren mit uns in eine unvorstellbare Zukunft."

Heute unsere prophetische Berufung zu leben,

setzt voraus: die enge Beziehung zu Jesus, zu seinem Evangelium, die Liebe zu seiner Kirche, die sich immer wieder aus dem Geist des Evangeliums erneuern muss. Nicht nur die Welt auch die Kirche braucht prophetische Christen, die sie vom Evangelium her in eine gute Zukunft treiben.

Prophetisch leben heißt im Lichte des Evangeliums, der Lebenshaltung Jesu, unsere Zeit und ihre Entwicklungen und Veränderungen zu beobachten, ob darin Gott am Werk, der Geist Gottes anwesend ist, oder aber der Ungeist der Welt, des Teufels. Das Wort Teufel hat seine sprachliche Wurzel im griechischen Diabolos, der alles durcheinander wirft, die Menschen einander entfremdet, ausbeutet, zum Hassen verführt.

Der Prophetische Mensch wird gegen all das seine Stimme erheben, ob sie gehört werden will oder nicht. Keiner soll nachher sagen können, er hätte nicht gewusst wohin Streben und Trachten der Politik und der Menschen führen, wenn sie nicht mehr nach Gott fragen oder ihn aus den Augen verlieren. Propheten sind Garanten dafür, dass niemand wird sagen können, Gott sei abwesend gewesen, habe sich nicht gekümmert.

Christen müssen prophetische Menschen sein, die im Lichte des Evangeliums das Leben der Menschen und Völker beobachten, gute Entwicklungen befördern und schlimme anprangern und ihnen widerstehen. Dann wird Gottes erbarmende Liebe einen neuen Anfang, Aufbrüche zum Guten und zum Frieden, zu neuem Leben schenken.

Prophetisches Reden und Handeln muss sich natürlich auch selber prüfen und vom Lehramt der Kirche prüfen lassen, ob es mit dem Willen und Absichten Gottes übereinstimmt; denn es gibt auch falsche Propheten, Lügenpropheten, wie es das AT uns wiederholt vor Augen führt.

Prophetisch leben heißt auch nicht, alles und jeden kritisieren. Es gibt auch den Hang zur Kritiksucht, der aus einer Unzufriedenheit mit sich selbst gespeist wird. Ewige Nörgler sind noch lange keine Propheten. Der Prophet ist kein Miesmacher, kein Umstürzler, sondern einer der selbstkritisch, mit Bedacht und Liebe, um Gottes willen die Wahrheit sagt.

Wahres Prophetentum ist selbstlos. Es verlangt darüber hinaus großen Mut. Er wird dem zuteil, der von Gott ergriffen ihn auf seiner Seite weiß. Der Dienst des Propheten braucht auch die betende Unterstützung der ganzen Kirche.
Bei aller Verkennung, in der Not des nicht gehört Werdens, wird der prophetische Christ sich an Paulus halten. Wer sich im Dienste Jesu Christi und seines prophetischen Redens und Handelns weiß, der darf mit Paulus in der zweiten Lesung bekennen: "Deswegen bejahe ich meine Ohnmacht, alle Misshandlungen und Nöte, Verfolgungen und Ängste, die ich für Christus ertrage; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark."[8]



[1] Ez 2,1
[2] Ez 2,5
[3] Hos11,8f
[4] Mk 6,4
[5] Taufritus, Gebet zur Salbung mit Chrisam
[6] GL 249/2
[7] Helen Schüngel-Straumann, Geist: die weibliche Stärke. in: CiG 1990/29/233
[8] 2 Kor 12,10