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Predigten

5.Fastensonntag (B) - Misereor - Predigt in Großenbuch

 

Erfahrungen der Liebe machen – Der neue Bund[1]

1 Sich wiedersehen?

Ungezählte Menschen haben darauf gehofft, es ersehnt: einen Neubeginn zu zweit, einen neuen Anfang in den Familien. Gibt es das unter Menschen, zwischen Frau und Mann, einen neuen Bund? Manchmal ist ein Sichwiedersehen mit neuen Augen möglich geworden – oft erst nach längerer Zeit und durch schmerzliche Prozesse hindurch. »Wiedersehen«, so hat der Dichter Erich Fried eine Lebenserfahrung überschrieben:

Nun höre ich deine Stimme / und nicht nur meine /
die ich dir in den Mund legen wollte / zur Zeit deines Schweigens /
Nun sehe ich dein Gesicht / nicht die Maske aus meinem Gedächtnis /
die mich ansah zur Zeit / deiner abgewendeten Augen /
Weil ich weiß / dass ich dich unwiederbringlich / verloren habe /
beginne ich dich zu finden

Den anderen Menschen hören und sehen, wie er wirklich ist, und nicht so, wie ich ihn mir wünsche, das fällt in Zeiten, in denen eine Beziehung in der Krise ist, besonders schwer. Offenkundig hat der im Gedicht sprechende Mensch, die Erfahrung hinter sich, erst nach einer endgültigen Trennung langsam zur Erkenntnis des anderen gefunden zu haben. Er hat verloren – doch das letzte Wort seiner Zeilen heißt »finden«. Vielleicht ist ja der Bund zwischen jenem Ich und Du noch nicht unwiederbringlich gebrochen, vielleicht werden sie sich ihre neu gewonnene Einsicht doch noch mitteilen können.

2 Gottes Initiative – eine Herzensangelegenheit

Wie ist es zwischen Mensch und Gott? Auch Gott, so vermittelt der Prophet Jeremia, möchte erkannt sein, als Gott, der in die Freiheit führt, als verlässlicher Weggefährte von den Menschen anerkannt sein.

Zugleich steht Er vor der Aufgabe zu handeln, weil die Menschen die Wege, die Gott mit ihnen gehen will, nicht erkennen wollen, weil sie den Bund mit Ihm unzählige Male gebrochen und Seine Gebote nicht gehalten haben. Wie soll Gott handeln?

Gottes Handeln richtet sich auf das eine Ziel: Alle Menschen sollen derart auf den Gott des Lebens ausgerichtet sein, dass sie auch untereinander Frieden finden und Lebensfülle, weil vom Herzen her alles gut „eingestellt“ ist. Wie eine Operation ist das. Gott nimmt das menschliche Herz und füllt es ganz mit seiner Bundesweisung aus.

Eine Herzoperation: Das verkrustete, unempfängliche Herz wird gereinigt, damit es beziehungswillig und gemeinschaftsfähig wird, so wie Gott beziehungswillig und gemeinschaftstreu auf die Menschen zukommt. Keine Barriere mehr soll die Verständigung verhindern. Gottes Initiative ist also eine Herzensangelegenheit.

Darum schreibt Gott die Urkunde Seines Bundes direkt ins Herz – und Er stellt den neuen Bund auf ein neues Fundament. Es ist die Zusage der Sündenvergebung: „Denn ich verzeihe ihnen die Schuld, an ihre Sünde denke ich nicht mehr“ (Jer 31,34b). Und die Folgen? Sie werden doppelt beschrieben.

a) Zunächst: Die Menschen werden innerlich, in der Herzensmitte, erfassen und annehmen, was sie an diesem Gott haben. Sie werden von innen her zustimmen und im Frieden leben.

b) Die zweite Folge: „Keiner wird mehr den anderen belehren, man wird nicht zueinander sagen: Erkennt den Herrn! , sondern sie alle, klein und groß, werden mich erkennen“ (Jer 31, 34a). Wenn die Herzen durch Gott selbst gereinigt und neu beschriftet sind, dann wird deutlich, wie jede scheinbar gescheite Bevormundung, jede subtile Unterdrückung, jede besserwisserische Abwertung der Gotteserkenntnis im Wege steht. Denn diese Erkenntnis meint vielmehr: Erfahrungen der Liebe machen. Das Gesetz Gottes will dem Leben dienen – dem Leben aller. Nur dazu will es dienen.

Darum erneuert Gott durch Jesus, seinem Christus, den Bund mit uns. Jedes Jahr an Ostern sagen wir in der Erneuerung unseres Taufgelöbnisses erneut unser Ja zu diesem Bund Gottes mit uns.

Schauen wir als nächstes auf die

3 Menschenbünde mit ihren komplexen Rahmenbedingungen

Wenn ein Ehebund oder eine feste Beziehung zerbricht, gar unwiederbringlich zerbricht, dann hat dies in der Regel vielfältige Hintergründe. Meist ist nicht nur die oder der eine von beiden schuldig, auch wenn es immer wieder vorkommt, dass man von außen leicht nur eine Perspektive wahrnimmt und „Täter“ und „Opfer“ deutlich unterschieden werden.

Wir wissen heute viel über die Zusammenhänge, warum Menschen in bestimmten Situationen bestimmte Entscheidungen treffen. Prägungen aus ihrer Kindheit und Jugend bringen Menschen mit, wenn sie als Erwachsene einen Bund miteinander schließen. Sie gemeinsam zu entdecken und auch zu besprechen fördert die Erkenntnis des wahren Gesichts des /der anderen.

Doch sind es nicht nur die individuellen Rahmenbedingungen, die das Verhalten insbesondere in Krisenzeiten mitbestimmen. Gesellschaftliche, kulturelle oder auch religiöse Rahmenbedingungen sind zu bedenken, wo Frauen und Männer miteinander leben – weltweit.

4 Leben gestalten ist die große Aufgabe

In den verschiedenen Regionen der Erde, in Gottes einer Schöpfung, sind die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sehr unterschiedlich, in denen Männer und Frauen ihr Leben gestalten. – Gestalten?

Die Mehrzahl der Erdbewohner, Männer und Frauen, können ihr Leben nur in sehr geringem Maße gestalten. Der tägliche Kampf oder mindestens die tägliche Sorge um das Lebensnotwendige bestimmt die gesamte Tageszeit.

Mädchen und Frauen sind stärker daran gehindert, ihr Leben zu gestalten. Das Recht, überhaupt geboren zu werden, wird weiblichen Wesen eher entzogen als männlichen. Die Chancen auf Bildung und Gelderwerb sind unter Frauen und Männern im Weltvergleich sehr verschieden – zu Lasten der Frauen.

Struktureller und individueller Gewalt sind Frauen eher ausgesetzt als Männer. Hinzu kommen gesellschaftliche Strukturen, weltanschauliche, wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen, die von einem einzelnen Menschen durch eigene Anstrengung allein nicht verändert werden können. Unrecht unterschiedlichster Gestalt behindert ein Leben in Fülle – letztlich von Mann und Frau.

Solche strukturellen Verkrustungen aufzubrechen und Hilfe zur Selbsthilfe zu geben – das ist das Ziel von Misereor. Wir können mit unserer Spende ein klein wenig dabei mithelfen. Wir werden Misereor gerne unterstützen, wenn uns klar wird:

In der gesamten Schöpfungsgemeinschaft leben wir Menschen im Bund miteinander, auch wenn wir uns das nicht immer oder vielleicht überhaupt zu wenig bewusst machen. Das heutige Evangelium hat dieses Geheimnis des Lebens im eindrücklichen Bild des Weizenkorns vor Augen gestellt: Nicht alleine bleiben, viele werden – und im SichHerschenken, im Lieben bis zuletzt zur Fülle des Lebens finden. Das geschieht, wenn wir wie Jesus Gott und die Menschen lieben, hör- und hilfsbereit einander begegnen. So wirken wir mit, dass die Hoffnung wie ein neuer Frühling aufblüht.

5 Hoffnung heißt: den ersten Schritt tun

Gerade unter diesen Bedingungen möchte Gott erkannt und anerkannt werden – als ein Gott des Lebens, der den Menschen sucht, als der, der sein „Gesetz“ in die Herzen der Menschen schreibt. Es ist hier nicht Menschenweisheit, es ist Gottesweisheit, die zu Initiativen anregt und geradezu dazu drängt, aufeinander zuzugehen. Denn den ersten Schritt tun, bedeutet Hoffnung.

Das ist der Sinn des Gesetzes in der Bibel: Hinweis zu sein auf Ihn, auf den neuen Bund und zugleich anzustiften zur Gottes- und Menschenliebe, die immer mit einem ersten Schritt beginnen.

Diese Liebe, von der die Bibel kündet, ist hellsichtig klar und genau. Sie übertüncht nicht geschehenes und weiterwirkendes Unrecht. Doch sie setzt einen neuen Anfang und eröffnet neues Leben. Ihr geht es nicht um Gotteswissen, sondern um Gotteserkenntnis, das heißt: um Gottesliebe und Menschenliebe.

Darin stimmen Gesetz und Evangelium, Altes und Neues Testament überein. Diese „Gotteserkenntnis“ ist Person geworden in Jesus von Nazaret, bis zu seinem letzten Atemzug – und darüber hinaus. ER ist zum Weizenkorn geworden, das sich ganz herschenkt, verzehren lässt, stirbt, und so für die Vielen Leben und Zukunft wird hier und jetzt, und über den Tod.

Achten wir daher auf die

6 Wege in den neuen Bund

Manchmal scheinen Kleinigkeiten den entscheidenden Anlass dafür zu bilden, wenn Menschen einander ihre Bundeswilligkeit aufkündigen, kein Erbarmen mehr miteinander haben, keine Geduld mehr aufbringen, keine Aussicht auf Besserung mehr sehen, sich endgültig missverstanden und unerkannt erfahren. Der – von außen betrachtet – kleine Anlass führt zur katastrophalen Wende.

Gibt es da die Möglichkeit zu einer Vorsorge, zu einer längerfristigen Aufmerksamkeit füreinander, die eine plötzliche Eskalation im Beziehungsgefüge vermeiden hilft? Ich denke, ja!

Die Wende zu einer Erneuerung des Bundes zwischen Mann und Frau, Eltern und Kinder, geschieht, wenn wir einander Raum gewähren für das eigene Leben, einander nicht immerzu belehren, statt dessen zuhören und hinschauen auf den /die andere, wie sie, wie er wirklich ist – das ist eine Vorsorge, die tagtäglich eingeübt werden kann. Freilich wissen wir: In Krisenzeiten fällt es schwerer.

Sich geduldig erzählen zu lassen etwa, auch lange, am Abend, von den Tageserlebnissen des /der anderen, wirklich mitkriegen wollen, was das Leben des /der anderen bestimmt: Haben viele Paare – gerade solche, die wirtschaftlich betrachtet in gesicherten Verhältnissen leben – das nicht oft verlernt über die Jahre?

Die strukturellen Rahmenbedingungen für ein geteiltes Leben in Fülle für Frau und Mann werden durch eine neue Sensibilität füreinander allein nicht verändert.

Es braucht dazu: Bewusstseinsbildung, Bereitschaft zur Erkenntnis der wahren Verhältnisse weltweit – und Taten: diakonisch-solidarische Anteilgabe an den eigenen Lebensgütern, um anderen Menschen den Raum für ihr Eigenleben zu lassen.

Vieles wüssten Frauen und Männer, die auf der südlichen Hälfte der Erdkugel leben, uns am Abend eines Tages zu erzählen – ob wir manchmal hinhören und daraus lernen mögen? Der neue Bund ließe sich ahnen. Schon heute. Bei uns und überall auf der Welt.

 

[1] Spiritual Dr. Paul Deselaers; Prof. Dr. Dorothea Sattler in: Missio 2006 Bausteine für den Gottesdienst - 1. Ls. Jer 31,31-34: