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2006

Homilie am 33.Sonntag (B) - Diasporasonntag

Wo bist Du? Mit Kindern den Glauben finden [1]

Warum lässt man uns so allein?

Ein Kaplan erzählt von seinen Erlebnissen im Sommerzeltlager der Pfarrei für Kinder: »Ich kann die beklemmenden Worte eines Zehnjährigen nicht mehr vergessen«: "Herr Kaplan, warum lässt man uns so allein und macht uns solche Angst?"
Dieser Junge gehörte zu einer Gruppe Gleichaltriger, die vor einer nächtlichen Gruselwanderung eine Menge Unbehagen verspürten.
»Ihr ängstlicher Ruf ließ mich nicht ungerührt. Am Ärmel meiner Jacke hingen die Kleinen wie die Kletten. Ich ging, weil sie darauf bestanden, zusammen mit ihnen den Weg durch die Dunkelheit der Nacht. Auch wenn nicht alle Furcht von ihnen wich, die Gewissheit meiner Nähe sowie meine beruhigenden Worte ließen die Kinder mehr und mehr entspannter werden. Zum Schluss war die Gruselwanderung für die Kleinen ein tolles Erlebnis«.
Was sich wie eine kleine Episode aus dem abenteuerlichen Leben eines Sommerzeltlagers erzählen lässt, ist übertragbar auf die Wirklichkeit unseres Lebens. Wer kann schon sagen, dass er bisher in seinem Leben keine Ängste auszustehen hatte? Kinder kennen ängstliche Augenblicke zuhauf: die Angst, dass Eltern einen einmal allein lassen könnten; die Sorgen, jemand könnte hinter ein sorgsam gehütetes Geheimnis kommen; die Unsicherheit beim Nachhausekommen, wenn niemand da ist und man sich allein gelassen fühlt; die aufregenden Szenen eines Filmes, wenn niemand ansprechbar ist, über beklemmende und beängstigende Eindrücke zu sprechen.

Wie erging es Ihnen beim Hören des heutigen Evangeliums?

Was muss in einem Menschen vor sich gehen, der diese Gedanken eines Schreckensszenariums hört? Wir denken solche Szenarien ja weiter. Das Eis an den Nordund Südkappen unseres Globus verschwindet, Inseln und Küsten versinken, Dürren nehmen zu, Überschwemmungen, Stürme, Seuchen und Krankheiten breiten sich aus. Die düsteren Prognosen könnte man noch endlos weiter fortsetzen.
Das Hören einer solchen Bibelstelle bereitet zunächst Angst. Ein mit den Gedanken der Bibel Unerfahrener wird sich schwer tun, diese Katastrophenworte in seinem Leben einzuordnen.
Wenn das bei Erwachsenen zutrifft, wie muss es da erst bei den Kindern sein?

"Wo bist Du?", fragt das Bonifatiuswerk

der deutschen Katholiken am heutigen bundesweiten Diaspora-Sonntag und richtet diese Frage bewusst nicht an Kinder, sondern an uns Erwachsene. Dahinter steht die Befürchtung, Kinder in Fragen des Glaubens allein zu lassen. Wenn der Glaube eine unverzichtbare Dimension des Lebens ist, dann wird das Kind immer danach Ausschau halten, wie Erwachsene nicht zuletzt die eigenen Eltern, Verwandte und Bekannte diesen Glauben vorleben.
Wie der Kaplan von Furcht geplagten Kindern gefragt wurde: „Warum lässt man uns so allein?“ genau so fragen zumindest innerlich Kinder nach der stärkenden und aufrichtenden Begleitung in ihrem Leben:
• Wo bist Du, Vater und Mutter, wenn es um das Abendgebet geht? Wenn mir die göttliche Sicherheit für diese Nacht auf den Weg gegeben werden kann, so dass mein Leben bei Gott gut aufgehoben ist?
• Wo bist Du, wenn wir am Esszimmer- oder am Wohnzimmertisch zusammen sitzen und meine vielen Fragen des Lebens miteinander austauschen könnten?
•Wo bist Du, wenn ich mich auf die Erstkommunion vorbereite und mehr und mehr das Leben der Kirchengemeinde kennen lernen darf?
• Wo bist Du, wenn sich die Gemeinde sonntags trifft, um den Gott des Lebens zu feiern und sich daran zu erinnern, dass Gott uns in Jesus das Zeichen seiner göttlichen Nähe gibt?
Als Priester frage ich mich: Wie sollen wir Kinder an etwas heranführen und sie für etwas gewinnen, wenn es in der Welt der Erwachsenen zuwenig überzeugende Vorbilder gibt? Und dennoch! Es gibt keine Alternative dazu, mit Kindern zusammen Jesus mehr und mehr kennen und lieben zu lernen. Denn

Jesus nimmt die Angst

„Während der Gruselwanderung,“ so erzählt der Kaplan weiter, „habe ich den an meinen Ärmeln hängenden Kindern davon erzählt, dass zurzeit Jesu auch viele Menschen Angst hatten. Und was wird Jesus tun? Er wird alles daran setzen, ihnen diese Angst zu nehmen. Jesus weiß um der Angstbesessenheit der Menschen. Deswegen unternimmt er alles, um ihnen die Angst zu nehmen: "Habt keine Angst" oder "Fürchtet euch nicht" wird Jesus den Menschen seiner Zeit wiederholt trostvoll und beruhigend zusprechen.“
Und noch heute gilt: Wo Jesus ist, da brauchen wir keine Angst zu haben. Nicht ohne Grund haben Menschen die Nähe Jesu gesucht.
Das gilt auch hinsichtlich jener Erschütterungen, von denen die Bibel bildhaft im heutigen Evangelium spricht. Sie wollen sagen: Herr der Weltgeschichte ist nicht der Mensch, sondern Gott allein. Von daher sind die Bilder der Vollendung der Welt keine Drohbotschaft, sondern eine Frohbotschaft.
Denn die Vollendung findet ihren Höhepunkt im Kommen des Sohnes Gottes, Jesus Christus. Am Ende steht also nicht die Katastrophe, sondern die Vollendung des Menschen, die Vollendung der Welt in Gott. Jesus hat mit 33 Jahren freiwillig den Tod am Kreuz auf sich genommen, weil er Gott, seinem Vater, ganz vertraute.
Er lebte und betete im Geist des Antwortpsalms:
„ Ich habe den Herrn beständig vor Augen.
Er steht mir zur Rechten, ich wanke nicht
Darum freut sich mein Herz und frohlockt meine Seele;
auch mein Leib wird wohnen in Sicherheit.
Denn du gibst mich nicht der Unterwelt preis;
du lässt deinen Frommen das Grab nicht schauen.“
Jesus glaubt fest daran, selbst wenn sie mich umbringen bin bei Gott geborgen. Ganz gleich was geschieht, Gott ist und bleibt sein ganzes Glück. ER steht am Ende seines irdischen Weges. Darum kann Jesus und jeder seiner Jünger und Jüngerinnen mit ihm auf Gott schauend beten:
„Du zeigst mir den Pfad zum Leben.
Vor deinem Angesicht herrscht Freude in Fülle,
zu deiner Rechten Wonne für alle Zeit.“ [2]
Aus der Lebenshaltung Jesu erwächst die

Lebensaufgabe für christliche Eltern und Erzieher

Es ist sinnvollste Lebensaufgabe für Eltern und alle, denen Kinder anvertraut sind, auch der Großeltern, deren Erziehung so angstfrei wie nur möglich zu gestalten. Gott sei Dank gibt es auch heute viele Erwachsene, die diese so wichtige Lebensaufgabe für sich angenommen haben und alles tun, um den Geist des Trostes und der Zuversicht an Kinder weiterzugeben. D.h. nicht, dass wir fatalistisch abwarten, was da kommen wird. Im Gegenteil, um unserer Kinder willen, werden wir uns für den Frieden in allen Lebensbereichen einsetzen. Das ist die eine Seite unseres Bemühens.
Die andere unsere persönliche Existenz betreffende ist genauso wichtig: Wer Jesus in das Leben hereinlässt, wird mehr und mehr angstfreier leben können.
In ihren Gebeten erinnert uns die Kirche immer wieder daran, von Gott her die Vollendung mit Zuversicht zu erwarten. Will heißen: mit Zuversicht Gott entgegenzugehen. Also, selbst wenn man wüsste, dass eine Erschütterung bevorsteht, hilft der Blick auf Jesus. Angesichts der Katastrophe seines gewaltsamen Todes, sagt er mit dem Psalm 31: "Vater in deine Hände empfehle ich meinen Geist."[3] So fällt er auch angesichts des Todes nicht ins Leere, sondern in die liebenden und bergenden Hände Gottes.
Als er Tod und Grab überwunden hat, spricht der Auferstanden sein für alle Zeiten geltendes Wort: "Seht, ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt."[4] In Jesus begleitet Gott uns schon jetzt. Was können wir Besseres tun, als es ihm gleichzumachen?
Die Fragen unserer Kinder: "Wo bist Du?" dürfen nicht unbeantwortet zu bleiben. Gott ist durch Jesus liebend und schützend bei uns. Er sagt allen Eltern und Erziehern:
Lasset die Kinder zu mir kommen
Mit gleichem Wortlaut haben uns alle drei synoptischen Evangelien jenes den Eltern von Jesus ans Herz gelegte Wort überliefert: "Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Himmelreich."[5]
Wir werden »aus dem Staub der Vergänglichkeit entweder zum ewigen Leben oder zur ewigen Schmach erwachen«, sagt die Lesung aus dem Buch Daniel.[6] Wer den Namen Gottes - Jahwe - Ich Bin der Ich Bin Da - jetzt lebt, der braucht vor dem Gericht keine Angst zu haben. Wer für die ihm anvertrauten Menschen, vor allem für die Kinder, ganz da ist und sie zu Jesus führt, dem gilt die Verheißung am Ende der Lesung: "Die viele zum rechten Tun geführt haben, werden immer und ewig wie die Sterne leuchten."[7]
Recht tun wir, wenn wir unseren Kindern, den Weg zu unserem Gott zeigen. Er ist Ursprung und Ziel unseres Lebens. Er wird in Ewigkeit ganz für uns da sein und mit der Fülle des Lebens beschenken.


[1] Quelle: Priesterjahrheft 2006/07 des Bonifatiuswerkes
[2] Ps 16
[3] Ps 31,6; Lk 23,46
[4] Mt 28,20
[5] Mt 19,4; Mk 10,14; Lk 18,16
[6] Dan 12,2
[7] Dan 12,3